CDU-Basis schoß den Vogel ab

Palastrevolution bei den rheinland-pfälzischen Christdemokraten / Umweltminister Wilhem neuer Parteivorsitzender Vogel tritt am 2. Dezember auch als Ministerpräsident ab / Noch kein Nachfolger in Sicht  ■  Von Klaus-Peter Klingelschmitt

Koblenz (taz) - „Gott schütze Rheinland-Pfalz!“ Theatralisch verabschiedete sich der Ex-Parteivorsitzende der rheinland -pfälzischen CDU und langjährige Ministerpräsident Bernhard Vogel (58) am Freitagabend von der Parteibasis - nach einer verheerenden Wahlniederlage, stürmte durch die Koblenzer Rhein-Mosel-Halle und ward danach nicht mehr gesehen. Nur 189 von 450 Delegierten auf dem 35.ordentlichen Landesparteitag der rheinland-pfälzischen Christdemokraten wollten den Ministerpräsidenten noch als Parteivorsitzenden haben. Die übergroße Mehrheit (258 Delegierte) stimmte den amtierenden Umweltminister Hans-Otto Wilhelm (48) auf den Sessel des Parteivorsitzenden und zwang so den geschlagenen Vogel, auch das Ministerpräsidentenamt aufzugeben. In knapp drei Wochen - am 2.Dezember 1988 - wird das Bundesland Rheinland-Pfalz ohne einen „ordentlichen“ Ministerpräsidenten dastehen, falls es dem Kantersieger Wilhelm nicht gelingen sollte, bis zu Vogels Rücktrittstermin einen mehrheitsfähigen Kandidaten aus dem Hut zu zaubern. „Erpressungsversuch“

Daß Vogel zwangsläufig auch das Ministerpräsidentenamt abgeben wird, hat sich der Landesvater allerdings selbst zuzuschreiben. Seine Ankündigung, im Falle eines Wahlsieges von Wilhelm, auch als Ministerpräsident zurücktreten zu wollen, wurde von der Mehrheit der Delegierten als „Erpressungsversuch“ gewertet. Vogel überschätze seinen „Marktwert“ an der Parteibasis, denn der Pressionsversuch wurde zum Bumerang für den Ministerpräsidenten. Dabei ist Vogel bei der Basis als Ministerpräsident nach wie vor unumstritten. Ein Delegierter brachte die Stimmung im Saale kurz vor der entscheidenten Abstimmung auf den Punkt: Würde heute Bernhard Vogels Wiederwahl zum Ministerpräsidenten auf der Tagesordnung stehen, könnte er an die 100 Prozent der Stimmen einfahren.“ Doch für Vogel gab es kein Zurück mehr hinter die von ihm selbst aufgestellte Maxime der Verknüpfung des Ministerpräsidentenamtes mit dem Parteivorsitz - „aus Glaubwürdigkeitsgründen“. Hans-Otto Wilhelm, der seine Kampfkandidatur ausdrücklich mit der „von der Mehrheit der Menschen draußen im Lande“ angeblich gewünschten Trennung beider Ämter begründet hatte, bot Vogel - nach seinem stürmisch gefeierten Sieg - publikumswirksam noch einmal die Hand zur Versöhnung: „Bernhard, ergreif die ausgestreckte Hand, denn meine Wahl ist kein Anlaß, das Ministerpräsidentenamt abzugeben. Im Gegenteil: Die Faszination, die von der Union ausgeht, ist gewachsen.“ Doch Vogel warf das Handtuch, kreidebleich und mit einem bitterbösen Blick auf den erfolgreichen Herausforderer. „Brutus“ selbst geholt

Ministerpräsident Bernhard Vogel hatte sich seinen „Brutus“ im Juni 1987 selbst ins Kabinett geholt. Als Nachfolger des zum Bundesumweltminister gekürten Klaus Töpfer sollte der als „kämpferisch“ apostrophierte Hans-Otto Wilhelm - bis dato Fraktionsführer der CDU im Landtag - das Erbe des christdemokratischen Senkrechtstarters Töpfer mit Verve verwalten. Vogel selbst war zu diesem Zeitpunkt schon mehr als nur angeschlagen: Die Partei lastete ihm die katastrophale Wahlniederlage der Union bei den Landtagswahlen 1987 an, bei der die Christdemokraten im Land der Steckrüben und Weintrauben die absolute Mehrheit einbüßten und seitdem mit der unbequemen FDP als kleinem Brüderle koalieren müssen. Die Parteibasis warf dem Ministerpräsidenten und Parteivorsitzenden wiederholt die „Vernachlässigung der Parteiarbeit“ vor. „Der Abstand zwischen der Führung und der Basis ist zu groß geworden“, meinte auf dem Parteitag etwa der Koblenzer Regierungspräsident Theo Zwanziger, der Vogel erst vor Wochenfrist öffentlich bloßgestellt hatte. Zwanziger schlug das Angebot des Ministerpräsidenten aus, für den von Vogel zum Generalsekretär der rheinland-pfälzischen CDU erkorenen Georg Gölter Kultusminister des Landes zu werden. Der in der Partei beliebte Zwanziger setzte auf Wilhelm, denn die Partei brauche „kein Duckmäusertum und keinen Opportunismus“, sondern eine „Erneuerung“. Vogel habe jeden Kontakt zur Parteibasis verloren, weil ihm von seinen Beratern in der Staatskanzlei „jeden Morgen die Füße geküßt“ würden. Wie bei den Grünen

In der für Unionsverhältnisse gnadenlos geführten Debatte um den Parteivorsitz, die zeitweise an die „Qualität“ grüner Parteitagsauseinandersetzungen heranreichte, lief auch der Generalsekretär der CDU und Parteitagsdelegierte der Südpfalz, Heiner Geißler, ins offene Messer einer zur Palastrevolution bereiten Basis: Buh-Rufe und Pfiffe begleiteten Geißlers Versuch, dem amtierenden Ministerpräsidenten die Stange zu halten. Als Geißler gar darauf insistierte, daß Vogel - im Rahmen des repräsentativen Demokratiemodells - zwar vom Landtag, doch damit indirekt vom „rheinland-pfälzischen Volk“ zum Ministerpräsidenten gewählt worden sei und von einem Parteitag nicht einfach abgewählt werden könne, kam es in der Halle zu tumultartigen Szenen, die in den Rufen: „Geißler raus!“ gipfelten. Gerade das fruchtlose Engagement Geißlers für Vogel und auch das Votum des Bundeskanzlers für den gescheiterten Kandidaten ließen die Wahl in der Provinz zu einer Angelegenheit von bundesweiter Bedeutung für die Union werden. Geißler selbst hatte zuvor das Schreckensszenario an die Wand gemalt: In Schleswig-Holstein liege die Partei danieder, in Niedersachsen gehe das Krisengespenst um, und jetzt werde auch noch in Rheinland -Pfalz - „ohne Not“ - von der Union ein Ministerpräsident geschlachtet.

Den schwarzen Peter hat jetzt der Parteivorsitzende Wilhelm. Die FDP drängt auf die umgehende Wahl eines neuen Ministerpräsidenten, doch Wilhelm hat noch keinen Kandidaten. Mehrere Delegierte spielten denn auch am Sonnabend mit dem Feuer: Schließlich sei Wilhelm mit einem „Superergebnis“ zum Parteivorsitzenden gewählt worden. Da könne der Mann doch auch gleich Ministerpräsident werden. Doch das würde wohl bei der Union dem Faß die Krone ins Gesicht schlagen, wenn Wilhelm - der mit dem Argument der Trennung zwischen Parteivorsitz und Ministerpräsidentenamt Parteivorsitzender wurde - anschließend beide Ämter wieder in Personalunion verwalten würde. Doch eine andere Variante wird inzwischen innerhalb der rheinland-pfälzischen Union auch diskutiert. Wilhelm gibt den Parteivorsitz wieder ab und wird Ministerpräsident. Und dafür wird der von Wilhelm ausdrücklich gewünschte Vertreter im Parteivorsitz, der Innenminister Rudi Geil, Parteivorsitzender. Die Spekulantenbörse ist seit Sonnabend eröffnet.