Nato-Austritt bleibt umstritten

Gegenkongreß zur anstehenden Nordatlantik-Versammlung / Grüne kritisieren Friedensbewegung Aufrüstungskongreß von der Öffentlichkeit unbemerkt / Massives Polizeiaufgebot in Hamburg  ■  Aus Hamburg Kai Fabig

Rund 400 Friedensbewegte diskutierten am Samstag und Sonntag in der Hamburger Uni über die anstehende Modernisierung der atomaren Arsenale, die Frage des Nato-Austritts und die sich entwickelnde Militärachse Bonn-Paris. Gleichzeitig wurden in der Hansestadt 5.000 Polizisten und Grenzschützer zusammengezogen, die den 188 Nato-Parlamentariern, die von Montag bis Freitag im Hamburger Rathaus ihre Nordatlantische Versammlung (NAV) abhalten werden, das richtige Gefühl für Sicherheit geben sollen.

Die NAV, die, obwohl sie keine reale Kompetenz besitzt, von ihren KritikerInnen und BefürworterInnen ernst genommen wird, war Anlaß für den friedenspolitischen Kongreß „Abrüstung: Alternativen zur Politik der Nato“. Vertreten war ein Spektrum von abrüstungswilligen Nato-Befürwortern innerhalb der SPD bis zu autonomen „Nato-Zerschlägern“.

Schon aus der relativ geringen Beteiligung war ablesbar, daß große Teile der Friedensbewegung an bessere Zeiten glauben. Auf dem Hintergrund des Mittelstreckenraketen -Abkommens (INF-Vertrag) hält sich hartnäckig der Eindruck, daß jetzt ein echter Abrüstungsprozeß in Gang gekommen sei, analysierte Reinhard Kaiser von den Grünen. Das Gegenteil aber sei der Fall. Von einer 50prozentigen Reduzierung der strategischen Waffen (START-Verhandlungen) oder vom Verbot aller chemischen Waffen sei keine Rede mehr. Die auf Nato -Ebene längst beschlossene Modernisiserung der atomaren Arsenale und der konventionellen Waffensysteme hingegen bedeute eine reale Aufrüstung. Dieser Aufrüstungsprozeß aber gehe fast vollständig an der Öffentlichkeit vorbei. Über die Frage des Nato-Austritts besteht innerhalb der Friedensbewegung weiterhin keine Einigkeit.

Während die Grünen das Militärbündnis, das sich auch als politisches Bündnis der „freien Welt“ sieht, für „strukturell abrüstungsunfähig“ halten, vertrat das sozialdemokratische NAV-Mitglied Karsten Voigt die Ansicht, daß die Nato „nicht nur reformierbar, sondern darüberhinaus ein Instrument der Reform der Sicherheitspolitik“ sei. Ein Nato-Austritt der BRD werde nur „destabilisierend wirken“ und konkrete Abrüstung verhindern, so der Sozialdemokrat gestern auf der abschließenden Pressekonferenz. Demgegenüber konzentrierte sich die Diskussion am Abend vorher auf die Frage, ob die Forderung nach einem Nato-Austritt taktisch klug sei, da dafür zur Zeit keine Mehrheiten zu gewinnen seien. Während die Grünen die Ansicht vertraten, daß ihre Forderung nach einseitigen Abrüstungsschritten der BRD ehrlicherweise mit der nach dem Nato-Austritt verbunden werden müsse, da einseitige Abrüstungsschritte ohnehin zum Rausschmiß aus dem Militärbündnis führen würden, wollte Dieter S. Lutz vom Hamburger Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik die Auflösung beider Militärblöcke durch beidseitige Abrüstung erreichen. In einer gemeinsamen Erklärung, die Voigt ausdrücklich nicht mitträgt, wurde trotz aller Differenzen das Hauptgewicht auf einseitige Abrüstungsschritte und Ablehnung einer Nato-Mitgliedschaft, die „die Abrüstung be- und verhindert“, gelegt.

Demgegenüber wird die Nordatlantische Versammlung in der kommenden Woche aller Voraussicht nach die Modernisierung der atomaren Nato-Arsenale befürworten. Von der Diskussion über das Hauptthema „Gorbatschows Herausforderung für das Bündnis“ zu dem Ex-Bundeskanzler Helmut Schmidt ein Referat halten wird, ist nach den Äußerungen Ton Frinkings, niederländischer Christdemokrat und Präsident der NAV, auf der gestrigen Pressekonferenz nichts Überraschendes zu erwarten. Mit Begriffen wie „Eiserner Vorhang“ bewegte er sich immer noch in der Terminologie des Kalten Krieges.