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Gegen-Stimmen aus Rumänien

„Bücken muß man sich, wenn man durch die Welt will“, heißt es in einem rumänischen Sprichwort. Proteste gegen das Ceausescu-Regime hat es zwar immer wieder gegeben, diese konnten aber von dem allgegenwärtigen Geheimdienst Securitate mühelos unterdrückt werden. Die meist unspektakulären Proteste versickerten in den Büros der internationalen Nachrichtenagenturen, beispielsweise die von dem Schriftsteller Paul Goma initiierte Oppositionsbewegung. Anfang 1977 rief der seit Jahren im eigenen Land verbotene Paul Goma in einem offenen Brief die Parteiführung auf, die Menschenrechte zu achten. Die von ihm verfaßten Aufrufe lösten eine Protestwelle in Rumänien aus, blieben aber ohne Widerhall im Westen.

Ebenso der große Bergarbeiterstreik im Schiltal im Sommer desselben Jahres oder die Gründung einer der ersten unabhängigen Gewerkschaften in Osteuropa überhaupt - im Jahre 1979 in Bukarest. Erst die Hungerrevolte vom 15.November 1987, an der mehrere tausend Arbeiter aus Kronstadt (Brasov) teilnahmen, rückte das Land ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Die katastrophale Lage der Wirtschaft, die flagranten Menschenrechtsverletzungen und nicht zuletzt die gezielte Unterdrückung der nationalen Minderheiten sowie der offene Konflikt zwischen den Bruderländern Ungarn und Rumänien liefern seit rund einem Jahr den Stoff für unzählige Horrormeldungen aus dem Imperium des Conducators. Empörung erweckte vor allem dessen Plan der sogenannten „Dorfsystematisierung“, in deren Verlauf 8.000 Dörfer dem Erdboden gleichgemacht und durch Wohnsilos und Agrarfabriken ersetzt werden sollen. Gegen diese Politik werden nun auch in Rumänien selbst Stimmen laut. So veröffentlichte kürzlich die Hochschullehrerin Doina Cornea aus Klausenburg (Cluj) einen Offenen Brief, in dem sie den Partei- und Staatschef aufforderte, die Dorfzerstörung unverzüglich einzustellen. Die Antwort kam prompt - vom Staatssicherheitsdienst. Einige Mitunterzeichner wie der Schriftsteller Teohar Mihadas wurden von der Securitate gezwungen, ihre Unterschrift zurückzuziehen. Ein anderer, Iuliu Filip, wurde bis zur Bewußtlosigkeit geschlagen und distanzierte sich daraufhin ebenfalls von Frau Cornea. Die Verfasserin des Briefes befindet sich zur Zeit unter Hausarrest.

Gegen die Dorfzerstörung protestierte am 30.September auch der rumänische Schriftsteller Aurel Dragos Munteanu und gab seinen Parteiaustritt bekannt. Aurel Dragos Munteanu bezieht sich in seinem inzwischen in den Westen gelangten Austrittsbrief nicht nur auf den von Ceausescu praktizierten kulturellen Völkermord, von dem in erster Linie die ungarischen und die deutschen Minderheiten bedroht sind, sondern auch auf die Rumänen. Sie haben genauso unter Hunger, Kälte und Umweltverschmutzung zu leiden. Auch rumänische Frauen sind durch Ceausescus wahnsinnige Geburtenförderungspolitik bedroht, die selbst Verhütungsmittel verbietet. Auch sie müssen ihr Leben bei illegalen Abtreibungen riskieren.

Die Kontrolle aller Bereiche des öffentlichen und privaten Lebens verletzt die persönliche Identität aller Bürger, und die Vernichtung der gewachsenen Bausubstanz rumänischer Städte zugunsten moderner „Legebatterien“ für Menschen bedroht auch die kulturelle Identität des rumänischen Volkes.

William Totok

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