Soziales immer, aber Kultur?

■ Wen und was KulturanimateurInnen in Tenever animieren, erforscht aus Anlaß der Eröffnung des „Kulturbüros“ im Herz der Häßlichkeit

„Ich bin's manchmal leid.“ Es war ihr herausgerutscht. Denn eigentlich war es die Stunde des Erfolgs und Zeitungen bindet man ohnehin nicht die Schwierigkeiten eines Modellprojekts auf die Nase: Andrea Esser hatte gerade am Dienstag um 12 Uhr 12 mit drei weiteren Kulturpädago

gInnen in Tenever Das Kulturbüro eröffnet, Neuwiederstraße 12, 1. Stock, genau dort wo Klein-Manhattan am häßlichsten ist: Wohnsilo der Gewoba, seit langem viele Wohnungen leer, neuerdings mit Spätaussiedlern gefüllt, Fahrstuhl bedrohlich, das Treppenhaus pissestinkender Brutalbeton.

Noch in der Nacht hatten Andrea Esser, Gerold Gerdes, Elisabeth Köhler und Clemens Bergmann die (Radio-)Ton Collage gebastelt, mit dem sie jetzt ihr Bürovorhaben situationskulturell vorstellten. “...Muß sich wirklich die ganze Gesellschaft ändern, damit es vor meiner Wohnung sauberer wird?“ Knackknack, „Habe ich das richtig verstanden, Kulturanimateure...?“. In den drei liebevoll hergerichteten engen Räumen, die künftig als auch als Cafe und Kleinstbühne dienen werden, drängten sich LehrerInnen von der GSO, Sanierungsbeauftragte, Arbeitersamariterbundler, Arbeitsloseninitiativler, Häuslerinnen der Familie. Die vier KulturpädagogInnen hatten ihre Arbeit mit Kontaktaufnahmen zu den örtlichen Re

präsentantInnen begonnen. Der rege Besuch bei der Büroeröffnung bewies die entstehende Kooperationsbereitschaft in einer Region, in der die Notwendigkeit nun gerade von Kultur nicht selbstverständlich ist. „Soziales“ ja, immer, aber Kultur ist Luxus. Daher Andra Essers Seufzer: „Manchmal bin ich's leid. Immer wieder dieses: Kultuuur, muß das sein, was soll das?“

Die vier in Tenever gehören zu 20 Kulturpädagogen (flotter auch KulturanimateurInnen genannt), die im Rahmen eines zweijährigen Modellprojekts in den Neubaugebieten Tenever, Kattenturm, Grohnder Düne, Vareler Beeke kulturpädagogische Dienste aufbauen. Das Projekt wird zu 2/3 aus ABM-Geldern, zu 1/3 als Fortbildung über die Volkshochschule finanziert. Die Zwanzig arbeiten deshalb jeweils ca. fünf Wochen in den Stadtteilen (ABM), in zwei Wochen werden sie theoretisch und medienpraktisch (VHS) fortgebildet. Die Gruppen in den Neubauvierteln setzen sich dann nach Neigung zusammen, aber auch nach Maßgaben: Frauen und Männer halbe

und so, daß die verschiedenen medienpraktischen Schwerpunkte zusammenkommen.

Was das immer soll mit der Kultur, haben die vier zuerst im Sommer mit der Organisation eines Flohmarktes deutlich gemacht: Nicht mehr so klein vorm Mütterzentrum, sondern richtig prächtig auf dem Marktplatz, mit kulturanimatorischen Feuerschluckern, Musikgruppen von Folkgruppe der GSO, über Milan mit der Heimorgel bis den StepptänzerInnen aus dem Ostertor. Und mit einem Mitmachzirkus, der ein rauschender Kindererfolg wurde. Man merkte:Sowas könnte Tenevers Kultur animieren. Aus dem Flohmarkt soll ein festes Fest werden, jeden Monat einmal.

Aber auch Kultur, die es schon gibt, will animiert werden. Hagen von Beek tauchte auf, der seit Jahren in Tenever wohnt und vor sich hin Geschichten schreibt: Er las zur Büroeinweihung. Kulturbüro heißt aber auch, ledigen Müttern einen Raum für Stricktreffs besorgen und dem ASP KünsterInnen für's geplante AusländerInnenfest.

Uta Stolle