Ein Lied für die Eskimorolle

■ Nicht immer virtuos, aber originell: „Accordeons go crazy“ spielten Dienstagabend im Packhaus zwischen allen Stühlen

Schon der Einzug setzte Zeichen: nicht auf dem normalen Weg betrat das englische Sextett die Bühne, sondern es enterten den Saal durch den Vordereingang, jeder mit einem Mitglied der weitverzweigten Akkordeonfamilie bewaffnet, Drummerin Ann Day etwa spielte auf einem Zieharmonika-Lampion. Das blieb dann aber auch das einzige Stück des Abends, bei dem ausschließlich Quetschkommoden die Töne angaben - meist beließ man es bei nur zwei Exemplaren dieser Gattung und kombinierte sie mit einer Vielzahl gelegentlich recht exotischer Instrumente.

Accordeons go crazy machen es einem also nicht leicht mit der Zuordnung: Einerseits entpuppen sie sich bei ihrer Parforce-Tour durchs weltmusikalische Akkordeonreportoire als Gaukler-und Klamauktruppe, die sich selbst nicht für voll nimmt, andererseits schimmern zwischendrin lauter ernstgemeinte, leicht avantgardistische Passagen durch. Verstärkt wird dieser uneinheitliche Eindruck noch durch die Bühnenpräsenz: Lediglich Ersatz-Schlagzeugerin Ann Day und ansatzweise Clive Bell (Akkordeon und Flöten) versprühen jene Form von Lockerheit und Spielfreude, die dem „go crazy“ im Bandna

men entspricht. Vielleicht lags auch nur am halbvollen Saal. Die aber, die gekommen waren, hatten trotzdem einen Riesenspaß.

Z.B. an dem kalifornischen „Sidewalk Surfin'“, einem Zydeco -Rap, diversen Songs zu obskuren Inhalten (etwa zur Eskimorolle beim Paddeln oder zum Problem, dauernd von Stühlen zu fallen), einer Symphonie für vier Bläsergruppen oder dem verballhornten „See my baby jive“. Aber auch die freier aufgebauten Stücke, etwa dem Akkordeon-Duett zwischen Bandleader Mike Adcock und Clive Bell, eine an die Minimal Music des Penguin Cafe Orchestra erinnernde Komposition, oder ein dem Free Jazz entlehntes Klanggemälde mit Daumenklavier, exotischen Flöten, verfremdeten Trompetentönen, perkussiver Bearbeitung des Klaviers und mechanischem Spielzeug riefen begeisterte Reaktionen hervor. Überhaupt waren es die erstaunlichen Klangvariationen mit Posaunen, Trompeten, Geigen, Flöten, Bass, Piano und Exoten wie der (südostasiatischen?) Khene, die dem Gesamtkonzept der Gruppe einen gewissen Halt gaben. „Get rich quick“, sangen sie zum Schluß. Dafür muß alles noch etwas stimmiger werden.

JüS