göttlich leichtsinnig tiefsinnlich

■ „Mensch Hermann“, Dreimännerstück von vier freien Theatern (Shakespeare Company, Rote Grütze, Theaterhaus Stuttgart, Theaterhof Priessental) im Theater am Leibnizplatz

So schön mit andern Männern gespielt haben Micha Müller, Norbert Kentrup und Martin Lüttge sicher schon lange nicht mehr, so hingebungsvoll Tiefsinniges leichtsinnig gespielt, und wir ZuschauerInnen, als wir uns denn ausgejubelt hatten, gingen mit diesem Gelächter, das hinter dem Sonnengeflecht unaufhörlich bis in die Gesichtsfalten aufsteigt, und manch einer begann, immer noch selig lächelnd, die Recherche vom Sprachzentrum aus: „Hast Du das verstanden, war das ein Vater-und-Sohn-Stück?“

Ja, schon. Und ein Bruder-Bruder-Stück. Da holen zu Anfang zwei tücksch vergnügte Figuren in Hausmeisterkitteln einen sich sträubenden durchschnittlichen Jedermann mit Namen Hermann Wendelin Friedlich (Micha Müller) aus dem Publikum, spielen über zwei Stunden ihr Spiel mit ihm oder in ihm, dem chronischen gefährlichen Nichttäter, spielen Gott und die Welt, spielen je länger je lieber Gabriel, Gottes braven pietistischen Lieblingsengel (Norbert Kentrup), und seinen in Ungnade gefallenen Bruder Lucifer (Martin Lüttge). Und dann ist das Spiel ganz plötzlich aus, Gabriel und Luci schicken ihren Jedermann hastig zurück auf seinen Zuschauersitz und

verlassen den Raum. Die feindlichen Brüder haben sich versöhnt. Gabriel hat Lucifer mit einer solchen Zartheit am Horn gestreichelt, daß Jedermanns pietistische und luciferische Hälften im Auflachen des Publikums dahingeschmolzen sind.

Autor und Regisseur Holger Franke hat Autobiographisches untergebracht, wie die Geschichte vom harten Bauernvater mit Nazianklängen, den der Sohn nicht sterben lassen kann, solange er für all sein Unglück seinen und alle Väter verantwortlich macht. Er hat eine hedonistisch-feministisch getönte Geschichte vom Sündenfall untergebracht und maskulinisch ergänzt: Nachdem Gottvater die von Eva entdeckte genüßliche Sexualität verboten hat, spaltet sich auch die Freundschaft der Engel: Gabriel verrät die Lust und den Bruder und wird schwertbewehrter Türhüter vor dem Paradies, Lucifer, der gegen den rigiden Vater aufsteht, büßt es mit der höllischen Verbannung.

Frankes Philosophie vom Sündenfall und umzu wird in viele saftige Scenen zerbrochen, wird als Traumspiel noch einer orientierenden Vorwärtsrückwärts-Chronologie beraubt. Ein Hort für Spekulationen, Verwirrung.

So verwirrend „Mensch Hermann“ als religionsphilosophierendes Stück sein mag, so göttlich ist es als Spiel. Es gibt soviel so hemmungslos Heiteres, daß ich am liebsten „nochmal, nochmal!“ gerufen hätte. Die beiden Patriarchen in wallendem Grau (Gott) und Rot (Lucifer) als hoheitlich beleidigte Leberwürste, sich über Michelangelos berühmten Schöpfungsfinger elektrisierend, Comic und Sixtinische Kapelle gleichermaßen. Oder: Lucifer nutzt Hermann Wendelin Friedlichs Wunsch, ein Friedensheld zu sein, und schickt ihn nackt an die Rampe, damit er übt, zu sein wie er ist. Und der sagt irgendwann nach Minuten sehr gefaßt, sehr ernst:“ Das ist lang.“ Oder Gabriel, im bis kurz vor den Schwanz decolletierten Engelskleid, jubiliert gar spitzentanzend inbrünstig, wie schön es da im Paradies war, und es rührt und macht einen stutzig zugleich, welche Leiche wohl unter diesem Blütenteppich liegt. All die Duette Kentrup/Lüttge, pendelnd zwischen Bibelzitaten und kräftigen Kalauern im „Rote-Grütze„-Stil, sind so leicht, so schnell, so heiter, Volk von Bremen, das kommt ganz selten mal hier vorbei.

Uta Stolle

Vorstellungen NUR: 17., 19., 20. 11.