Neue Männer, neue Weinerlichkeit

■ Öffentliche Schwächeanfälle von Männern auf dem Medienmarkt: das Bekenntnis zum Defizit, zur Schwäche und zur Sucht nach der Frau / Gegen solch einsichtige und therapiebedürftige Wesen ist der Kampf um Frauenemanzipation doch absurd, oder?

Heide Soltau

Seltsame Klagen machen seit kurzem die Runde: Männer bekennen öffentlich ihre Schwäche. So geschehen kürzlich auf der Frauenseite der 'Frankfurter Rundschau‘: Es gibt mehr männliche Totgeburten; kleine Jungen verfügen über ein schwächeres Immunsystem; ihre Sterberate liegt über der von Mädchen; sie leiden häufiger an Verhaltensstörungen, und sie haben mehr Schwierigkeiten in der Schule. Männer bevölkern zu einem höheren Prozentsatz Heime und Pflegestationen, begehen dreimal so oft Suizid und sterben im Durchschnitt acht Jahre früher als Frauen... Kurzum: Ob Herzinfarkt, Kreislaufstörungen oder psychische Krankheiten, betroffen sind vor allem Männer.

Autor dieser physischen und psychischen Bankrotterklärung des männlichen Geschlechts war kein jugendlicher Leichtfuß, sondern ein gestander Mann von fünfzig Jahren: der Berliner Soziologieprofessor Walter Hollstein. Auf der Frauenseite der 'FR‘ bot er in Kurzfassung an, was ein Kapitel seines neuen Buches Nicht Herrscher, aber kräftig füllt. Was mag den Mann in gesicherter Lebensstellung zu diesem Schwächeanfall verführt haben? Immerhin haben Männer vor knapp hundert Jahren noch exakt das Gegenteil behauptet. Und damit nicht genug. 1897 sprach die Mehrzahl der deutschen Professoren Frauen die Befähigung zum Studium ab - wegen geistiger und körperlicher Schwäche. Da war von der Anfälligkeit des weiblichen „Geschlechtsapparates“ die Rede und von der geringeren Hirnsubstanz der Frauen. Keiner der „hervorragenden Universitätsprofessoren, Frauenlehrer und Schriftsteller“ - so wurden die Herrschaften tituliert hätte wohl je daran gedacht, daß sich einmal einer ihrer Enkel erheben und sie, die Männer, als das schwächere Geschlecht bezeichnen würde.

Nichts geschieht zufällig, auch und gerade in der Wissenschaft. Das wenigstens dürfte die Linke behalten haben: Wenn eine Disziplin die Methoden wechselt und Dinge unter die Lupe nimmt, die bis dahin nicht von Interesse waren, muß es Gründe dafür geben.

Als sich 1897 die Professoren zur Geschlechterfrage äußerten und dem weiblichen Geschlecht mit überwältigender Mehrheit Schwäche bescheinigten, hatten in Berlin gerade die ersten Frauen Abitur gemacht, und es stand zu befürchten, daß sie nun auch studieren wollten - was übrigens in den meisten anderen europäischen Ländern längst möglich war. Die Strategie der „hervorragenden Universitätsprofessoren“ war also recht durchsichtig: Es galt, der weiblichen Flut in die Männerwelt Einhalt zu gebieten, und so brachte man schnell die Parole vom „physiologischen Schwachsinn des Weibes“ unter das Volk. Flucht nach vorn ins Haus?

Und die „hervorragenden Universitätsprofessoren“ heute? Welchen Zweck verfolgen sie mit dem Bekenntnis ihrer Schwäche? Wollen sie den Weg der Frauen einschlagen, und haben sie vor, sich aus der Öffentlichkeit hinaus an den Ort zu begeben, der von je her dem schwächeren Geschlecht vorbehalten war? Ein Plädoyer für die Flucht nach vorn ins Haus. Freiwillig und ohne Druck von Seiten der Frauen?

Schön wär's. Doch das ist weit gefehlt. 300.000 Hausmänner soll es geben, eine winzige Minderheit, die in absehbarer Zeit wohl auch nicht anwachsen wird. Eine vom deutschen Jugendinstitut in München durchgeführte Studie zum Thema „familiales Zusammenleben“ kommt zu dem Ergebnis, daß „das alte Familienmodell noch Bestand hat. „Entgegen unserer Annahme“, schreiben die AutorInnen, sei für die meisten Männer und Frauen, die Familienarbeit immer noch Sache der Frauen, obwohl es heute mehr verheiratete Frauen gibt, die auch berufstätig sind. Von nennenswerten Veränderungen der Männer ist wenig zu merken. Vor zwei Jahren hatten Sigrid Metz-Göckel und Ursula Müller in ihrer 'Brigitte'-Studie: Der Mann zwar einen Einstellungswandel feststellen können, in der Realität aber, in puncto Übernahme von Hausarbeit und Kindererziehung, vergeblich nach dem neuen Mann gefahndet.

Soziologieprofessor Hollstein ist da anderer Ansicht. Er nämlich will die „Neumänner“ schon entdeckt haben: in den bürgerlichen Mittelschichten. Dort, unter Lehrern und Sozialarbeitern herrsche Unzufriedenheit und Unsicherheit und die Bereitschaft, traditionelle Männlichkeitsbilder über Bord zu werfen: Sie helfen im Haushalt und hüten die Kinder. Sagen die Männer. Denn befragt wurden ausschließlich sie, und ob ihr Selbstbild mit der Realität zusammenpaßt, ist mehr als fraglich. Gleichwohl behauptet Hollstein: „Die Männerwelt ist in Bewegung.“

Wo Mann diese Behauptung als Tatsache ausgibt, sie mit der plötzlich entdeckten Schwäche des männlichen Geschlechts rhetorisch verknüpft und das Ganze in die Medien lanciert, geht es im Kern um die gleiche Sache wie schon vor hundert Jahren: um die Angst vor der Frau. Nur die Mittel haben sich geändert. Während Mann damals die Frauen klein hielt, um sich als Herr im Hause zu beweisen, macht Mann sich im Zeitalter drohender Quoten lieber selber klein.

Das hört sich dann so an: Das starke Geschlecht ist in Wirklichkeit kraftlos und schwach und auf die therapeutische Unterstützung der Frau angewiesen. Sie hält den Mann funktionstüchtig, denn er ist auf ihre Pflege, Bewunderung und Verzärtelung angewiesen. Die Frau ist für den Mann wie eine Droge, er weiß es nur nicht, meint Wilfried Wieck - der sich feministischer Psychotherapeut nennt und mit seinem Buch Männer lassen lieben äußerst erfolgreich ist.

Die durch Frauenbewegung und Quoten aufgeschreckten Männer fordern „eine Umwertung der Werte“ (Hollstein) und machen die erstaunlichsten Entdeckungen. So stellen sie fest, daß sie unter dem Stichwort Mann weder in Bibliotheken und Buchhandlungen noch in der Wissenschaft geführt werden und plädieren für eine Männerforschung. Sie beklagen sich öffentlich über ihre Diskriminierung als nichteheliche Väter und wollen mehr Rechte für sich und ihre Kinder. Das Familienministerium in Bonn sponsert eine Studie über teilzeitarbeitende Männer und Hausmänner. Eines der Ergebnisse: die Nurhausmänner entwickeln ein Hausmannsyndrom, werden unzufrieden und leiden unter ihrer Isolation. Die glückliche Lösung für alle Beteiligten ist Teilzeitarbeit. Das alles ist bekannt - nur eben andersherum. Der Mann an sich

Schön, wenn Männer in sich gehen; gut, wenn sie sich ändern wollen. Aber warum dieser Rummel? Warum der Kniefall vor der Frauenwelt? Daß Männer - auch - leiden, ist längst bekannt, selbst radikalsten Feministinnen. Es scheint fast, als wollten es Männer nicht länger hinnehmen, daß Frauen und ihre Bewegung nun schon seit zwei Jahrzehnten für Aufruhr sorgen und sich in immer neuen Variationen über eigene Schwächen und Stärken, erotische und emotionale Probleme auslassen. Wo selbst die konservativen Christdemokraten die Frauen hätscheln und Heiner Geißler den „Abschied von der Männergesellschaft“ verkündet und wo auch profilierte Männerhochburgen wie unsere Universitäten nicht umhin konnten, Wissenschaftlerinnen ein Forschungseckchen einzuräumen, da packt die Herren der blanke Neid.

Da mögen sie nicht mehr untätig zusehen, wie der Zug der Zeit an ihnen vorbeifährt, und drehen den Spieß einfach um. Und siehe da: der arme, diskriminierte Mann ist geboren. Nun betritt er die Bühne der Öffentlichkeit und schickt sich an, den „Mann an sich“ ins Gespräch zu bringen und seine Nöte und Seelenqualen zur Schau zu stellen. So einfach ist das. Wenn hinten die Angst lauert und vorne der Neid nagt, zeigt man Seiten, die man ansonsten lieber bedeckt hält...

Dabei haben sich die neuen schwachen Männer geradezu als Musterschüler bewiesen und genau das getan, womit schon die Frauenbewegung erfolgreich war: Sie hatten ihr Coming-out mit Erfahrungsberichten verlassener Männer und sicherten sich dann einen Platz im Verlagsgeschäft. Nach der neuen frau brachte Rowohlt die Reihe MANN heraus, natürlich großgeschrieben und ohne das bedeutungsschwangere Wort „neu“. Schließlich gibt es inzwischen auch in deutscher Sprache - die USA sind uns wie immer um eine Nasenlänge voraus - die ersten umfassenderen Abhandlungen zur Situation des Mannes. Und stets gilt die Devise: Abkupfern ist leichter als Neudenken. Im Jahre eins nach Norwood

1986 erschien in der Bundesrepublik das Buch der amerikanischen Familientherapeutin Robin Norwood: Wenn Frauen zu sehr lieben. Die heimliche Sucht gebraucht zu werden. Es eroberte im Nu Platz eins der 'Spiegel' -Bestsellerlisten und ist bis heute ungeschlagener Renner. Im Jahr eins nach Norwood zog der feministische Therapeut Wieck nach. Seine Antwort: Männer lassen lieben. Die Sucht nach der Frau. Es dauerte nicht lange, bis auch dieser Band auf der Bestsellerliste höher rutschte und nun Platz zwei besetzt hält. Womit die Welt des Proporzes wiederhergestellt wäre - abgesehen von dem kleinen Schönheitsfehler, daß Frau Norwood über Herrn Wieck steht.

Die Rechnung des Suchttherapeuten ist aufgegangen. Er hat inzwischen seinen Siegeszug durch die Medien angetreten, ist als begehrter Gast auf Talkshows zum Anwalt der armen gekränkten Männer avanciert und sitzt Seite an Seite mit frauenbewegter Prominenz. An öffentlichen Streicheleinheiten fehlt es ihm nicht. „Ich danke Wilfried Wieck“, offenbarte sich kürzlich in Hamburg eine Frau. „Sein Buch hat mir geholfen, weil es am Ende Rezepte hat.“ (Wieck stellt neun Regeln auf und gibt Tips, was Frauen tun können, damit Männer sich emanzipieren. Oberstes Gebot: ihn nicht verwöhnen!)

Gesetzte Herren von fünfzig Jahren wie Wieck und Hollstein, die nie versäumen, der Frauenbewegung ein Kompliment zu machen, um dann mit einem „Aber“ fortzufahren, sprechen ungezählten Zeitgeistlern aus dem Herzen. Nach dem Motto: die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen picken sich die Autoren geschickt das Passende aus der feministischen Literatur heraus und stimmen selbstverständlich nur den Feministinnen zu, die bereit sind, Männer „an die Hand zu nehmen“ und ihnen bei ihrer Emanzipation zu helfen, wie es Wieck charmant ausdrückt. Frauen, die sich dieser Hebammenkunst verweigern, wird - wie Hollstein es ausdrückt - „Sexismus“ unterstellt. Mit der Strategie des großen „Aber“ sind Männer äußerst erfolgreich: Für Frauen sind wir alle, aber... Frauen müssen in Führungspositionen, aber... Wer so lieb und verständnisvoll auftritt, macht sich, ob er will oder nicht, zum Sprachrohr derer, die den ganzen Frauenkram für übertrieben halten und konsequente Quotierungen ablehnen. Bei so netten, einsichtigen Männern ist der elende Kampf um Gleichberechtigung doch nicht mehr nötig! N'est-ce pas?

Es sieht so aus, als würden sich die Geschlechterverhältnisse am Ende der achtziger Jahre harmonisch entspannen. An Robin Norwoods Rezept, die Sucht des Zu-Sehr-Liebens per Selbsthilfe gemeinsam mit anderen Betroffenen zu bekämpfen, haben sich ungezählte Leserinnen orientiert. Aus den schlichten Frauengruppen der siebziger Jahre sind Robin-Norwood-Gruppen geworden. Damit das Feuer weiter köchelt, haben Verlag und Autorin den Erfahrungshungrigen bereits einen neuen Happen serviert, der ebenso reißend Absatz findet: Briefe von Frauen, die zu sehr lieben. Glück - billig und einfach

Der Erfolg Norwoods ist bemerkenswert. Immerhin überschwemmen jährlich zig Ratgeber den Lesemarkt, die alle nach dem gleichen Strickmuster verfaßt zu sein scheinen: ein paar Fallgeschichten, ein Quäntchen Selbsterlebtes und eine Prise aus der Psychokiste - fertig ist das Buch. Einziger Unterschied: Die Formeln sind im Laufe der Jahre griffiger geworden. Die Diagnosen sind dieselben - wenn auch heute anders benannt. Betty Friedans Weiblichkeitswahn bezeichnete im Kern nichts anderes als die Sucht der Frauen, sich für Mann und Familie aufzuopfern.

Was aber zunächst wie die ewige Wiederkehr des Gleichen erscheint, hat sich verändert. Die Bücher sind psychologischer geworden und orientieren sich wieder stärker an Paarbeziehungen, während politische Gesichtspunkte zunehmend in den Hintergrund treten. Zugegeben: Die ersten Frauenbücher mögen den Feind zu einseitig draußen, in der Männerwelt, gesehen haben, die aktuellen Ratgeber aber beschäftigen sich zu einseitig mit dem Innenleben, den Irrungen und Wirrungen der Liebe. Auf dieser Welle reitet auch der feministische Psychotherapeut Wilfried Wieck.

Seine Handreichungen zur Emanzipation von Männern werden von Frauen gekauft und verschlungen. Von Frauen übrigens, die schon einige Jahre auf dem Buckel haben. Gut Vierzig war das Durchschnittsalter des zahlreich erschienenen Publikums kürzlich auf einer Veranstaltung in Hamburg, auf der Wilfried Wieck nebst Lebensgefährtin Irmgard Hülsemann sprach. Die Suche nach privatem Glück läßt Frauen unterschiedslos zu Fans von Norwood und Wieck werden. Und daß ein Mann ihnen einen eingängigen Leitfaden zur Veränderung des männlichen Geschlechts an die Hand gibt, wird dankbar honoriert. So billig und so einfach war das Glück bisher noch nicht zu haben.

Es scheint, als sollte nach zwanzig Jahren Frauenpower, nach Frauencafes und Frauenarbeit, Frauenprojekten und Frauenreisen, nach den Debatten und Diskussionen mit Männern und gegen Männer endlich Ruhe einkehren im Geschlechterdschungel. Ruhe zu Zweit. Harmonie.

Walter Hollstein: Nicht Herrscher, aber kräftig. Hoffmann & Campe

Wilfried Wieck: Männer lassen lieben. Kreuz Verlag