Kein Grund zum Feiern in Rheinhausen

Der Jahrestag des Arbeitskampfes um den Erhalt der Krupp-Stahlhütte mobilisiert nur eine kleine Kollegenschar / Die Befriedung ist gelungen, doch die Hoffnungen sind zerstört - die ersten Kruppianer sind bei Thyssen und Mannesmann gelandet / Stahlboom bewirkt lediglich eine Verschiebung der Stillegungspläne  ■  Aus Rheinhausen W. Jakobs

„Viele Kollegen sind nicht einverstanden mit dem, was die Betriebsratsmehrheit gemacht hat. Wir fordern den Betriebsrat und die IG-Metall auf, sich an der Demo am 26.11. zu beteiligen.“ Im engen Hinterzimmer der Stahlkocherkneipe „Zum Reichsadler“, ein paar hundert Meter vom legendären Tor eins der Rheinhausener Krupp-Hütte entfernt, trifft der Vertrauensmann Dietmar Hauschke mit seinem Aufruf auf nahezu ungeteilte Zustimmumg. Die hier anwesenden Stahlkocher sind zum erneuten Kampf um Rheinhausen bereit. Ein wenig erinnert die Atmosphäre an die Hochzeiten des Arbeitskampfes, als sich in der „Menage“, der Krupp-Kantine, immer wieder Tausende von Menschen zu emotionsgeladenen Versammlungen einfanden.

Doch der Schein trügt. Wie unendlich groß die Diskrepanz zwischen der Entschlossenheit der etwa 80 hier versammelten Menschen und der realen politischen Mobilisierung im Werk ist, könnte nichts besser symbolisieren als der Umstand, daß zur selben Zeit in der „Menage“ eine Talkshow stattfindet, moderiert ausgerechnet von jenem Helmut Laakmann, der ohne jedes gewerkschaftliche Mandat mit seinen oft demagogischen aber immer mitreißenden Reden einen gar nicht hoch genug einzuschätzenden Beitrag zur Mobilisierung der Krupp -Belegschaft geleistet hat. Zwar spielt auch in dieser für den Rheinhausener „Offenen Kanal“ aufgezeichneten Talkshow mit dem Titel Menage offen der Arbeitskampf während der Befragung von Betriebsräten eine Rolle, aber eben nur als gewesene, als historische Erscheinung, nicht als akute Tagesaufgabe wie ein paar hundert Meter weiter im „Reichsadler“.

Nicht mal ein Hauch der damaligen Aufbruchstimmung ist in der „Menage“ zu spüren. Statt dessen brav-biedere Feierabendunterhaltung, die von den etwa 300 Gästen vorwiegend still konsumiert wird. Der Kampf ist vorbei - man hat sich eingerichtet, das Leben geht weiter. Menage offen ist eine der zahlreichen Aktivitäten des Vereins „Leben und Arbeiten in Rheinhausen“, der inzwischen 220 Mitglieder zählt und der sich zum Ziel gesetzt hat, nach dem verlorenen Arbeitskampf „viel dafür zu tun, daß Rheinhausen eine lebenswerte Zukunft für uns und unsere Familien hat“, wie Helmut Laakmann sagt.

Die 80 Menschen im „Reichsadler“ versuchen das auf anderen Wegen. Sie wollen da weiter machen, wo im April aufgegeben wurde, sie wollen alles aufrollen, neu anfangen. Es sind hier beileibe nicht nur die penetrant optimistischen Marxisten-Leninisten von der MLPD im Raum. Gekommen sind einfache Stahlkocher, die ihre Wut rausschreien, die „nicht vergessen können“ und nicht vergessen wollen. Ein türkischer Stahlarbeiter zählt die, die für ihn „auf der anderen Seite stehen“, namentlich auf. Neben Rau und Steinkühler rechnet er auch die beiden Betriebsratsvorsitzenden Theo Steegmann und Manfred Bruckschen dazu. Für Theo Steegmann, der selbst im Raum sitzt und der einer der entscheidenden Motoren und Strategen des Arbeitskampfes war, sind das bittere Minuten. Erneut wird ihm der Streikabbruch am 14.April vorgehalten. Erregt kontert Steegmann: „Fakt ist, daß die Nachtschicht im Walzwerk wieder arbeiten wollte. Der Streik brach uns unter dem Arsch weg.“ Daß es genauso war, wissen die meisten im Raum.

Und es ist nichts weiter als eine Legende, die sagt, es sei Johannes Rau gewesen, der seine Vermittlertätigkeit von der Beendigung des Streiks abhängig gemacht hätte. Eine Legende, die sich hartnäckig hält, obgleich schon die 'Süddeutsche Zeitung‘ im April die Wahrheit zu berichten wußte. Richtig ist, daß der Rheinhausener Betriebsrat, wohl wissend, daß der Streik nicht mehr lange aufrecht zu halten war, Rau bat, ein solches Junktim ins Spiel zu bringen. Ein Bluff, mit dessen Hilfe man zumindest symbolisch vermied, vor dem Krupp -Vorstand in die Knie gehen zu müssen.

Betriebsräte, Vertrauensleute, Mitglieder des Bürgerkomitees und der Fraueninitiative, die auf einem Semiar im Oktober den Rheinhausener Arbeitskampf auswerteten, kritisieren denn auch nicht den Streikabbruch selbst, sondern für sie wurde der Arbeitskampf verloren, weil es nicht gelang, „eine streikfähige Formel für alle Stahlwerke im Revier zu finden“. Gescheitert sei man, so heißt es weiter im Protokoll, weil IG Metall und SPD den Rheinhausener Kampf „eben nicht zum Modellfall für die ganze Branche erheben wollten oder konnten“. Das unflexible Festhalten an der Maximalforderung, „Erhalt des Standortes mit Walzwerk“, so die Aktivisten selbstkritisch, habe „höchstwahrscheinlich“ verhindert, daß mehr als beim jetzigen „Kompromiß“ erreicht wurde. An einen neuerlichen Kampf für einen anderen „Kompromiß“ glauben diese Aktivisten ebensowenig wie die große Mehrheit des Betriebsrates und der Vertrauensleute. Deshalb wird die Demonstration von Dietmar Hauschke und anderen zum 26.November auch alles andere als gewaltig ausfallen.

Abweichungen von der im Mai getroffenen Vereinbarung, die Verlangsamung des geplanten Arbeitsplatzabbaus, verdanken die Kruppianer nicht neu erweckter Kampfkraft, sondern allein dem unglaublichen Stahlboom. Derzeit kochen und verkaufen die beiden zur Fusion entschlossenen Unternehmen Mannesmann-Huckingen und Krupp-Rheinhausen monatlich mit etwa 8.000 Beschäftigten 600.000 Tonnen Stahl. Im neu fusionierten Unternehmen sollen nach dem Willen der Vorstände 4.300 Beschäftigte 340.000 Monatstonnen Stahl schmelzen. Allein die Krupp-Stahl AG, die in den letzten Jahren dreistellige Verluste einfuhr, rechnet aufgrund des Stahlbooms in diesem Jahr mit einem Gewinn von 160 Millionen Mark. Kein Wunder, daß angesichts dieser Zahlen die Schließung des ersten Hochofens in Rheinhausen zunächst um ein halbes Jahr verschoben wurde. In Rheinhausen wird lediglich das Walzwerk wie vereinbart geschlossen, also jener Betriebsteil, der als der eigentliche Verlustträger auch in den Alternativ-Gutachten benannt wurde. Knapp 200 Walzwerker sind inzwischen wie vereinbart zu Thyssen gewechselt.

An der Fusion wird festgehalten - auch von den Betriebsräten. Schon am 1.Januar 1989 wechseln fünf Rheinhausener Betriebsräte zu Mannesmann, um dort das Terrain für die Kruppianer zu bestellen. Die von den Betriebsräten beider Unternehmen aufgestellte Forderung nach dem Weiterbetrieb der Stahlbasis Rheinhausen steht der Fusion keinesfalls entgegen. Das fusionierte Unternehmen wird hier als Körper mit zwei Beinen gedacht, ein Bein in Huckingen das zweite in Rheinhausen.

Selbst die linken Mannesmann-Betriebsräte von der Gruppe „Konsequente Gewerkschafter“, die dort sechs der 23 Mandate stellen, rechnen nicht mehr damit, daß die Fusion noch scheitert. Auch die Aussicht, bei einer Fusion versetzt zu werden, schreckt die Mannesmänner offenbar nicht.

Klaus Richter, einer der sechs „Konsequenten“, die der IG -Metall-Vorstand einst mit Ausschlußverfahren verfolgte, hat in der Belegschaft „keinerlei Bewegung“ wahrgenommen. Die Kollegen „seien ruhig“ und vertrauten darauf, daß es schon so „schlimm nicht kommen wird“. Zum Teil führt Richter dieses Verhalten auch auf die Informationspolitik der Betriebsratsspitzen aus Rheinhausen und Huckingen zurück. Die Verhandlungen würden an den „Konsequenten“ vorbei in „einer Art Geheimdiplomatie geführt“. Für die Zukunft hofft Klaus Richter, daß die Rheinhausener Betriebsräte sich nicht der „festgefahrenen Frontstellung“ im Mannesmann-Betriebsrat anschließen, sondern als „Anwälte für eine Neuordnung des gesamten Betriebsrates fungieren“. Ob es so kommt, ist mehr als fraglich, denn im Rheinhausener Betriebsrat ist man auf die „Konsequenten“ sauer. Man spricht von „Unehrlichkeit“, weil die „Konsequenten“ mit der Parole hausieren gingen, durch die Fusion und die Aufnahme der Kruppianer dürfe niemand bei Mannesmann-Huckingen verdrängt werden. Diese Position hält Theo Steegmann für unehrlich, „denn ohne Fusion wäre Huckingen den Bach runter gegangen“. Da bleibt noch viel zu tun, bevor das neue Unternehmen auch tatsächlich eine Belegschaft hat.

Einer aus Rheinhausen wird von dem ganzen Ärger nicht mehr viel mitbekommen. Manfred Bruckschen, Betriebsratsvorsitzender, wird von der SPD mit einem Job versorgt, auf den er schon immer scharf war: Landtagsabegeordneter in Düsseldorf.