Schnoor weist CDU-Kritik zurück

Neue Details des Geiseldramas / Geiseln waren kurzzeitig allein im Auto / Eine der Geiseln bestreitet ein „Nickerchen“ Degowskis / Der Polizeieinsatzleiter sagte, er habe die Information nicht bewußt verschwiegen  ■  Aus Düsseldorf Walter Jakobs

Der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Schnoor hat die Behauptung des CDU-Oppositionsführers Bernhard Worms, im Innen- und Rechtsausschuß des Landtages sei bei der Ablaufschilderung des Gladbecker Geiseldramas gezielt „die Unwahrheit gesagt worden“, als „Ungeheuerlichkeit“ zurückgewiesen. Worms hatte am Montag erklärt, den Abgeordneten sei von der Polizei die Information, daß der Geiselgangster Dieter Degowski in Bremen-Vegesack zum Pinkeln kurzzeitig das Auto verlassen habe, „bewußt“ vorenthalten worden, um die günstige Eingriffssituation zu verschleiern. Zwar bestätigte die nordrhein-westfälische Polizei am Dienstag die von den beiden Geiseln Reinhold Alles und Andrea Blecker bei Polizeivernehmungen geschilderte „Pinkelpause“, doch der in Vegesack noch zuständige Gladbecker Einsatzleiter Meise bestritt, zum Zeitpunkt seiner Aussage vor dem Ausschuß davon gewußt zu haben. Meise hatte die Abgeordneten am 25.August lediglich darüber informiert, daß Degowski nach den Protokollaussagen der Geiseln in Bremen-Vegesack zeitweise eingenickt sei. Über die Protokolle, so die Erklärung des Einsatzleiters, habe er sich erst spät am Vorabend einen „groben Überblick“ verschaffen können. Bei dieser Durchsicht habe er die geschilderte „Pinkelpause“ übersehen. Sehr überzeugend klingt diese Verteidigung nicht, denn dieses Detail findet sich auf derselben Protokollseite wie die Schilderung des angeblichen „Nickerchens“ von Degowski. Laut Protokoll hat die Geisel alles ausgesagt: „Noch während ihrer (der Komplizen - d.Red.) Abwesenheit verließ Degowski kurzzeitig den PKW, ging einige Meter von uns weg, um dort zu urinieren.“ Zwar habe man an Flucht gedacht, aber „ein letztes Risiko war nicht auszuschließen, und zu dieser Zeit waren wir auch überzeugt, bald freigelassen zu werden“. Bei einer Vernehmung am 15.September schilderte Andrea Blecker die Situation so: Degowski sei „einmal kurz ausgestiegen. Er mußte austreten. Hierzu begab er sich hinter den Pkw (...) Seine Pistole nahm er mit. Nach zwei bis drei Minuten kam er wieder in den Wagen und setzte sich zwischen uns“. Daß Degowski den Wagen zeitweise verließ, hat Schnoor selbst nach eigenen Angaben erst durch die CDU-Veröffentlichung erfahren. Sein Polizeiinspekteur, Heinz Stork, weiß seit Anfang Oktober davon. Beim Lesen der Protokolle habe er zwar zunächst „gestutzt“, aber seinen Minister nicht unterrichtet, weil aus der Kenntnis dieses Details keine andere polizeiliche Lagebeurteilung erfolgt wäre. Auch Schnoor hält das Verlassen des Autos, das dem polizeilichen Fußobservanten nicht aufgefallen war, in jedem Fall für „völlig unbedeutend“. Selbst in Kenntnis dieses Vorgangs wäre der Zugriff wegen der unmittelbar erwarteten Freilassung der Geiseln nicht erfolgt, sagte Schnoor. Diese Linie wird durch das Gutachten des Bremer Generalstaatsanwaltes Günter Wendisch, der der Bremer Polizei schwere Fehler nachgewiesen hatte, gedeckt. In Vegesack, so Wendisch, „schied ein Zugriff unter Anwendung von Schußwaffen auch deshalb aus, weil davon ausgegangen werden konnte, daß die beiden Gladbecker Geiseln in Kürze freigelassen würden“. Ob es das berühmte Nickerchen von Degowski in Bremen-Vegesack überhaupt gegeben hat, ist im übrigen unklar. Während die männliche Geisel ein zeitweises Einschlafen bemerkt haben will, schildert Andrea Blecker die Situation laut Polizeiprotokoll so: „Eingeschlafen ist er (Degowski - d.Red.) während der gesamten Abwesenheit von Rösner und der Marion nicht.“ Am nächsten Dienstag wird der Landtag auf Antrag der Opposition in einer Sondersitzung erneut über das Geiseldrama debattieren. Die CDU will die Entlassung von Schnoor durchsetzen.