Freude im Staat Palästina

■ Die besetzten Gebiete nach der Unabhängigkeits-Erklärung

Seit der Nacht zum Dienstag haben die PalästinenserInnen einen eigenen Staat. In den besetzten Gebieten wurde er noch am Tag der Deklaration begeistert gefeiert. Die Frage ist nun, wie es politisch weitergeht. Ein palästinensischer und ein israelischer Gast-Autor umreißen die Situation in ihren Ländern und die Rolle der Deklarationen von Algier für eine friedliche Lösung.

Tausende strömten noch am Dienstag auf die Straßen, um mit Feuerwerk, Gesang und Tänzen die Proklamation eines unabhängigen Staates zu feiern - daran konnte auch die beispiellose israelische Militärpräsenz und die fünftägige Ausgangssperre nichts ändern. Von den Balkons und aus den Fenstern wehten unzählige der von der Besatzungmacht verbotenen palästinensische Fahnen, während über Lautsprecher immer wieder die Erklärung von PLO-Chef Arafat verlesen wurde. Überall ertönte die palästinensische Hymne Biladi, Biladi (Mein Land, mein Land). Drei Palästinenser wurden bei Auseinandersetzungen verletzt; am Mittwoch morgen wurde ein junger Palästinenser erschossen.

Während der Gaza-Streifen bis Dienstagmittag telefonisch noch erreichbar war, wurde die Westbank hermetisch abgeriegelt. Die Telefonleitungen sind schon seit Freitag gekappt. Nicht einmal der offizielle israelische Rundfunk durfte seinen militärischen Berichterstatter in das Gebiet des neuen Staates schicken. Soweit bekannt, kam es in Ramallah und Bethlehem zu Demonstrationen.

Im arabischen Ostjerusalem, versammelten sich dreihundert palästinensische Persönlichkeiten in der Al Aqsa Moschee und unterzeichneten die Unabhängigkeitserklärung. Zu den Honoratioren gehörte unter anderen Hanna Siniora, der Chefredakteur der Zeitung 'Al Fajr‘, der in einem Interview erklärte: „Wir sind außer uns vor Freude. Wir werden auf die Straße gehen und unseren eigenen Staat ebenso feiern, wie die Israelis die Gründung ihres Staates gefeiert haben“. Die Freudenfeiern fanden allerdings angesichts der Allgegenwart des Militärs vorwiegend in geschlossenen Räumen statt. Nachbarn gratulierten sich gegenseitig auf den Straßen, in den Geschäften wurden Bonbons verteilt. Verabredungsgemäß wurden bei Einbruch der Dämmerung palästinensische Fahnen aus den Fenstern gehängt.

„Die Resolution von Algier beweist, daß die Intifada tatsächlich politische Erfolge erzielt, so wir wir uns das in den Monaten des Volksaufstands vorgestellt und gewünscht haben“, erklärte ein Ingenieur aus Gaza, der in Tel Aviv in einem Hotel arbeitet. Am Dienstag erschien er allerdings nicht zur Arbeit, denn die Palästinenser begingen die Geburtsstunde ihres Staates auch mit einem Generalstreik nicht nur in der Westbank und dem Gaza-Streifen, sondern als Zeichen der Solidarität auch unter der arabischen Minderheit in Israel.

Die historische Entscheidung war zum Abschluß der Tagung des Palästinensischen Nationalrats in Algier in der Nacht zum Dienstag verkündet worden. Die Delegierten verzichteten zunächst darauf, die Grenzen des jungen Staates zu definieren, forderten aber in einer gesonderten politischen Erklärung den Abzug der israelischen Truppen aus den besetzten arabischen Gebieten, auch aus dem von Israel annektierten Ostjerusalem. Diese Gebiete sollen für eine Übergangsperiode unter UNO-Aufsicht gestellt werden.

In einer weiteren Resolution ermächtigte der Nationalrat das neugewählte Exekutivkomitee und den Zentralrat, zu einem späteren Zeitpunkt eine provisorische Regierung zu bilden. Als Grundlage von Verhandlungen im Rahmen einer internationalen Nahost-Friedenskonferenz werden die UNO -Resolutionen 242 und 338 genannt, die eine indirekte Anerkennung Israels in seinen Grenzen vor 1967 beinhaltet. Gleichzeitig enthält die Erklärung eine Absage an den Terrorismus. Danach werden bewaffnete Aktionen auf militärische Ziele in der Westbank und dem Gaza-Streifen begrenzt, also nicht mehr, wie noch 1985, auch in Israel selbst. Die Anerkennung der UNO-Resolutionen 242 und 338 sowie eine Absage an terroristische Aktionen waren in der Vergangenheit oft genannte Vorbedigungen der USA für Gespräche mit der PLO. Die politische Erklärung wurde mit 253 gegen 46 Stimmen bei zehn Enthaltungen angenommen - ein Novum, da der Nationalrat bislang stets am Konsensprinzip festhielt.

Beate Seel