Melancholie im Hafenviertel

■ Marc Almond war Mittwoch mit „Melancholy Rose“ im Modernes: herzig / Jaques Brel im Hafenviertel

In den zwanziger Jahren gab es mal einen Stummfilmkomiker, der sich in seiner süßlich verbindlichen Art wie eine Diva aufführte, ohne allerdings wirklich eine zu sein. Denn daran hinderte ihn zum einen sein etwas mausgesichtiges Aussehen sowie sein offensichtlicher Hang zu überakzentuierten Schauspielerei.

Harry Langdon ist 1957 wiedergeboren worden. Fortan nennt er sich Marc Almond und singt. Sein Aussehen brauchte er dafür nicht zu verändern und die theatralischen Selbstinszenierungen auch nicht. Diese Reinkarnation des umjubelten Gesangsstars war am leidigen Buß-und Bettag zu Gast im Modernsten. Schon das Intro kam einer Erhebung in den musikalischen Adelsstand gleich. Ein Klangteppich von Synthesizer und Piano füllte die leere Bühne mit Erwartung, auf der umrahmt von flackernden Kunstkerzen auf einem Podest ein plüschiger Thron stand. Gerade recht für den Maestro aus dem heimeligen Leeds also.

„This could be magic“ war dann auch sein im Sambastil gehaltener Titel, den er sichtlich gutgelaunt und leicht programmatisch präsentierte. Im wohlklingenden Akzent des mittleren Nordens ermunterte er sein Publikum den Abend zu genießen und war ganz der Entertainer.

In blutorangenrotes Licht getaucht gefiel er sich im Tom Jones Gestus und konnte sich dabei auf seine Stimme verlassen. Denn die facettenreichen Ausdrucksmöglichkeiten waren dem absoluten Mittelpunkt des Abends nicht abzusprechen. Seine vierköpfige Band hatte zwar mit La Magia einen Namen, aber verdient hatte

sie ihn nicht. An ihrem Vortrag war nun ganz und gar nichts Magisches. Diszipliniert begleitete sie Herrn Almond, allerdings ohne eigene Konturen. Ihr war es lediglich vorbehalten, einen manchmal fast orchestralen Rahmen zu liefern - sehr kompakt und grundsolide.

Vom Popsänger bis zum Chansonnier reichte die Palette des Sangesinterpreten dort oben vor dem Königsstuhl. Zu einem hymnischen Stampfbeat mit viel Nebel und hektischen Scheinwerferkegeln, die die Hallendecke absuchten, erging er sich in ausladenden Starmanieren um sogleich ins andere Extrem überzugleiten. „These my dreams are yours“ hieß es da mit aller gebotenen Schmalzigkeit und eben jenem Pathos, der den wohl-und warmgefüllten Aufführungsort in Wallung versetzte.

Endlich, ein Jaques Brel Song war gerade im schallenden Lachen des Engländers verhallt, endlich räkelte er sich lasziv auf seinem Götterthron hoch oben über dem Auditorium, und diffuses Licht von unten unterstrich die debilen Posen. Aber, natürlich, er meinte es gar nicht so, weiter ging's mit einem süßlich-schwülem Tango und dem anzüglichen “...it's almost too hot in your bed„. Das Modernste -Publikum folgte Marc Almond in jede musikalische Richtung, und er genoß es amüsiert. Nach seiner Zeit des Techno-Pop -Duos Soft Cell hat er seinem Repertoire noch einiges hinzugefügt und ist auf dem Weg, sich als ernsthafter Interpret ins Geld zu singen. Das Zeug dazu hat er, und wie eine Diva vermag er sich ja ohnehin schon geben.

Jürgen Francke