The Poet of the Underdog

■ „Big Time“ von Chris Blum ist eine nur teilweise gelungene Verfilmung der perfekt ausgetüfftelten Bühnenshow „Frank's wild years“ von Tom Waits

Die Frau hinter der Theke ist eine zerbröckelnde Schönheit mit einer tätowierten Träne und sie hat diese Rasiermessertraurigkeit, die nur noch schlimmer wird. Sie gehört zur düster, poetischen Halbwelt der Songs und Geschichten von Tom Waits, wo alle sich wie Hunde aufführen, ewige Nacht herrscht und die Hotelzimmer immer nach Diesel stinken. Und er singt von ihr mit dieser kaputten, häßlichen Stimme, die nur von Katastrophen berichten kann. Jetzt kann man auch sehen, daß Waits, wenn er singt, das Gesicht wie in Qualen zu Fratzen verzieht, daß er dazu mit verdrehten Gliedern wie ein Epileptiker tanzt und daß er diese Effekte ironisch, kalkuliert und mit virtouser musikalischer und körperlicher Stilisierung einsetzt.

In seiner Bühnenshow „Frank's Wild Years“ mit Songs aus seinen letzten drei Platten spielt Waits auf einer düsteren Bühne mal den schleimigen Ansager eines Nightclubs, mal Prediger, Trunkenbolt oder den unterhaltsamen Erzähler am Piano. Überraschend ist dabei nicht nur, wie schnell und überzeugend er in

diese Rollen schlüpfen kann, auch seine Reibeisenstimme ändert sich von Stück zu Stück: Waits krächzt in allen Registern, heult er wie ein Wolf, schreit oder verzerrt seine Stimme noch zusätzlich durch ein Megaphon.

Jeder Song hat auch sonst seine eigene Athmospäre: das Licht ändert sich (zum Teil hält sich Waits einfach eine nackte Glühbirne ans Gesicht), mal taucht ein Bett auf der Bühne auf. Die Musiker gruppieren sich neu auf der Bühne, die Instrumentierung ist exotisch abwechslungsreich mit Akkordeon, Sitar und Marimba. Die exzellente Band folgt mit spielerischer Leichtigkeit den Stilsprüngen in den Arrangements von Cooljazz zum Blues, von Polkas über disharmonisches Getöse zur schwülstigen Barmusik.

Diese Bühnenshow des perfekt inszenierten amerikanischen Alptraums hätte Chris Blum nur abzufilmen brauchen, und alles wäre gut gewesen. Mit sechs Kameras machte er auch sehr gute Aufnahmen bei zwei Konzerten, und der Ton ist bestens aufgenommen und in Dolby abgemischt. Aber leider versuchte der Regis

seur auch noch, die Show durch zusätzliche Aufnahmen, aufdringliche Schnitte und Nebenhandlungen aufzupeppen. Waits spielt da einen Spieler im Herrenklo, einen Hotelgast vor dem Ferseher, Beleuchter und Kartenabreißer. Aber durch diese kleinen Spielszenen verliert der Film seine Balance: unsere Aufmerksamkeit für die Show auf der Bühne und die Musik wird gestört, und Waits selber wirkt in diesen Rollen übertrieben und maniriert, ganz im Gegensatz zu seine Bühnenpräsenz mit der präzisen Einheit von Songtext, Schauspiel und Musik. Die abrupten Schnitte schaffen eine unangenehme Distanz zwischen dem Geschehen auf der Bühne und dem Zuschauer. Bei jedem guten Konzertfilm spürt man Anfang, Höhepunkte und wann es auf den Schluß zugeht. „Big Time“ ist dagegen plötzlich zu Ende, das letzte Stück hätte auch das erste sein können.

Blum verzichtete völlig darauf, das Publikum zu zeigen, weil „der Film (sonst) einer bestimmten Epoche zugeordnet gewesen wäre“. Aber dank Blum kann man später „Big Time“ wahrscheinlich aufs Jahr genau in die Epoche einordnen, als die Techniken der Vidioclips übertrieben und unpassend bei Kinofilmen eingesetzt wurden. Blum folgt da ganz unorginell den Moden - Waits ist einer von den genialen Eigenbrötlern, die selber Moden in Gang setzen.

Wilfried Hippen

Schauburg 23.00 Uhr