PERSPEKTIVEN FRAGEN

■ Georg Bussmann am 11.11. über „Arbeit in Geschichte - Geschichte in Arbeit“ in der NGfBK

Anläßlich des 50. Jahrestages des unter dem Namen „Reichskristallnacht“ bekanntgewordenen Pogroms forderte die Jüdische Gemeinde zu Hamburg die Schließung einer Ausstellung für die Tage des 8. und 9. Novembers, weil in ihr NS-Symbole ambivalent gebraucht würden. Es handelt sich dabei um eine Schau mit dem Titel „Arbeit in Geschichte Geschichte in Arbeit“ im Hamburger Kunstverein. Den Umschlag des dazugehörigen Katalogs ziert das Ornament der Masse. Verantwortlich für die Ausstellung zeichnet Georg Bussmann, dem Konzept und Realisation oblag. Bussmanns Intention: Die Ausstellung stellt die Frage nach der Geschichte, ihre Antwort ist die Kunst.

Es geht, wenn man dem Titel Glauben schenken will, darum, sich Geschichte arbeitend anzueignen, sich mit ihr auseinanderzusetzen, und zwar insbesondere mit der jüngeren deutschen Geschichte. Die Beschäftigung mit der Zeit des Nationalsozialismus hat Konjunktur, auch in der Kunst. Äußerer banaler Anlaß ist diese seltsame Form von Zahlenmystik, die uns veranlaßt, runde Jahrestage besonders zu begehen. Aber das reicht wohl nicht, die Aktualität dieses brisanten Themas zu erklären. Es scheint so, als ob da eine alte Wunde wieder aufbricht. Das Verdrängte kehrt zurück, und manch einer scheitert in dem Versuch, es zu bewältigen. Auch die junge Generation der in Hamburg ausgestellten Nachgeborenen ist scheinbar mit einem schamvollen Erbe belastet. Der Rachegott des Alten Testaments verfolgt die Sündigen bis ins dritte und vierte Glied, wie es in der Bibel heißt. Letztlich sind wir wohl alle genötigt, den Ort, wo wir stehen, in seiner Geschichtlichkeit, als das, was aus der Vergangenheit geboren wurde, anzuerkennen, in seinen guten wie in seinen bösen Traditionslinien. Die Republik und ihre Gesellschaft, in die wir ungefragt hineingeboren worden sind, verdankt ja ihre Existenz auch der personellen Kontinuität der Täter. Das gilt für Richter, Ärzte und Politiker genauso wie für die Künstler. Die Breker/Ludwig-Diskussion zeugt von der neuerlichen Virulenz in der Auseinandersetzung zwischen Kunst und Geschichte. In der Durchschau der aus den letzten Jahren stammenden Werke in der Hamburger Ausstellung wird ein Bruch sichtbar, eine Differenz zwischen dem Heute und dem, was noch in den siebziger Jahren der Trend war. Damals regierte die Konzeptkunst. Sie war aufklärerisch, unsinnlich, dennoch manchmal fast hermetisch, sie war theorieverliebt und vor allem auch kritisch.

Damals stellte Georg Bussmann als Leiter des Frankfurter Kunstvereins eine erste umfassende Ausstellung über die Kunst im Dritten Reich vor. Diese 1974 stattfindende Unternehmung, so sagte es Bussmann seinerzeit, sollte keine reine Kunstausstellung sein, sondern eher Dokumentation, die zeige, in welchem Maße die Kunst welcher Politik diene. „Wenn Kunst grundsätzlich mit ihrer Epoche und Gesellschaftsform zu identifizieren ist, so behält eine derart arbeitende Methode auch Gültigkeit für andere Epochen.“ Hier haben wir den analytischen, aufklärerischen Impetus, den Geist der Zeit. Dementsprechend war die Ausstellung didaktisch aufgearbeitet, das hieß neben jedem Nazibild jede Menge Text.

Die Zeiten ändern sich und wir uns in ihnen. Das gilt auch für Bussmann, wenn er zur Hamburger Ausstellung formuliert, „neben Formen kritisch distanzierter Abrechnung treten Annäherungen, das heißt Versuche, Mythen und Ästhetiken, die der Faschismus seinen Zwecken dienlich machte, zurückzugewinnen, eine andere Nutzung zu erproben, um so das, was diesen Formen anhängt, von innen her aufzulösen“. Der damals mitunter rigide auftretende linke Antifaschismus mag auch eine Form von Abwehr von Faszination und Schrecken des nationalsozialistischen Gebahrens gewesen sein. Heute geht es scheinbar darum, sich dieser Gefahr auszusetzen, den „Hitler in uns“ zu spüren, um so mit diesem Komplex umgehen zu können. „Neben die Haltung des Antifaschismus tritt die Bemühung darum, 'Nicht-Faschist‘ (Theweleit) zu sein.“

In den jetzt ohne jeden Text gehängten Bildern in Hamburg wird 'die‘ Geschichte zu Geschichten, zum von der Geschichte erzählenden Mythos. Dabei ist, um mit Roland Barthes zu sprechen, der Mythos ein Mitteilungssystem, das nicht durch das Objekt seiner Botschaft definiert wird, sondern durch die Art und Weise, wie er die Botschaft ausspricht, wobei diese nicht aus der Natur der Sache, sondern aus deren Geschichte gewonnen ist.

So gesehen ist die Ausstellung symptomatisch für die Entwicklung der Kunst überhaupt und setzt eine Linie fort, die auf der documenta V, 1972, von Harald Szeemann als „individuelle Mythologien“ ausgesprochen wurde.

Hat man es also in Hamburg etwa mit Blut- und Boden-Malerei und brutalisiertem Übermenschentum wie ehedem zu tun? Georg Bussmann war am letzten Freitag in die NGfBK nach Berlin gekommen, nicht um die Ausstellung, die auch durch die Presse angegriffen wurde, zu rechtfertigen, wenigstens nicht direkt. Vielmehr setzte er auf das Einverständnis der wenigen Zuhörer über die Notwendigkeit der Ausstellung. Er versuchte statt dessen, eine Antwort auf die Frage nach der Auswahl der Künstler zu finden und zu erklären, wie deren Bilder funktionieren.

Bussmann begann seinen Diavortrag mit dem ältesten Künstler, der eigentlichen Vaterfigur der künstlerischen Nachkriegsgeneration, Joseph Beuys. Seine Vitrine zum Thema Auschwitz, mit Fettblöcken auf Elektrokocher und Dauerwürsten blieb allerdings am angestammten Ort in Darmstadt. Beuys steht im Katalog für die Frage nach dem Mythos. Lebensgeschichte schlägt hier in Mythologie um. Beuys Absturz als Stukapilot auf der Krim, wonach Tataren den Bewußtlosen dadurch vorm Tode retteten, daß sie ihn mit Fett einschmierten und in Filz einrollten, beinhaltet das Motiv des Ikarus und das des Phönix, aber auch Tod und Auferstehung. Zum Problem wird dieses Verbrennen des Alten, wenn man das als symptomatisch für die bundesdeutsche Nachkriegsgesellschaft interpretiert. Aber bei Beuys ist der mythische Gestus auch im Werk präsent, indem er an das Material gebunden wird und dessen Ordnung im Raum. Beuys mythische Strahlkraft wird zu einer Implikation des Werks. Der Betrachter soll im Erlebnis des Werks geradezu einer heilenden Wirkung ausgesetzt werden in homöopathischen Dosen. Man muß es durch sich hindurchgehen lassen. Beuys teilt hier viel mit Artauds „Theater der Grausamkeit“. Kein billiger Effekt ist gemeint, sondern kathatischer Schock.

Bei Hanne Darboven wird die „Arbeit in Geschichte“ als Fleißarbeit zum Heilungsverprechen. Mit Schrift bedeckt sie über hundert Blätter, um sich dem Schicksal eines jüdischen Künstlers zu nähern.

Wolfgang Flatz fährt eine andere Strategie. Auf Resopal prangt sein Konterfei in gleicher Pose neben dem Hitlers. In dieser Art Rollenspiel wird der Mythos Hitler konterkariert und als Trivialität vorgestellt.

Auch Anselm Kiefer kommt nur im Katalog vor. Kiefer begründet seine Absage mit der Künstlerliste der Ausstellung und wollte dann selbst mit Bussmann die Sache in die Hand nehmen. Dazu kam es nicht, leider, ist doch deutsche Geschichte Kiefers Thema par excellence. In seinen düsteren Riesenformaten vom „Märkischen Sand“ oder seinen Ansichten von wie ausgebrannt wirkenden Totenhallen geht es um Nachspielen und Hineinfühlen in ein totenschwangeres Pathos. Bussmann interpretiert seine Arbeit als quasi psychoanalytischen Prozeß. Das Annehmen der Faszination ist die Voraussetzung von deren Verarbeitung. Es ist ein Spiel mit dem Feuer. Ein Bild zeigt eine Art hölzernen Dachboden, an dessen Seiten feierlich die Fackeln lodern.

Auch die sogenannten Wilden wie Baselitz, Lüpertz oder Dahn und Dokoupil verwenden 'deutsche Motive‘. Stahlhelme, ein Hakenkreuzwagen im Wald oder zwei Schwerter-haltende nackte Recken. Hier kommt der Verdacht einer leichtsinnigen Masche auf, die sich als Protest gegen ein unausgesprochenes Bilderverbot gibt. Sicher verstärken die Motive die barbarische Manier der Malerei noch. Dennoch bleiben sie bei diesen Künstlern ein Thema unter vielen. Was bleibt, ist die brutale Attitüde.

Rosemarie Trockel ist jemand, der sich nicht scheut, das Hakenkreuz zu verwenden. Es kommt als Muster in ihren wollenen Strickbildern vor oder als zu einer Art Sturmhaube verarbeitet. Ebenfalls das Hakenkreuz, schwarz auf gelbem Grund gemalt, benutzt Helmut Federle, ein Schweizer übrigens. Bei ihm heißt das Bild „Asian Sign“. Es wird am Tabu gerührt, weil das Hakenkreuz im Bewußtsein der Leute als Symbol für den nationalsozialistischen Terror steht. Das Zeichen, das älter ist und in fast allen Kulturen der Erde vorkommt, ist durch seine geschichtliche Rolle desavouiert. Die Wiederverwendung der Swastika scheint ein Indiz für den Versuch der Befreiung vom Glauben an das Zeichen, ein postmodernes Spiel mit der Beziehungslosigkeit zwischen Bedeutendes und Bedeutetes. Ähnliches läßt sich auch beim christlichen Kreuz beobachten. Es ist nurmehr ein einfacher Schmuck an der Kleidung.

Am Ende die, wie Bussmann sie nennt, Erhabenen. Exemplarisch ist eine Arbeit von Marie Jo Lafontaine mit dem Titel „Die Schönheit kein Zufall“, einem Nietzsche-Zitat aus der Götzen-Dämmerung. Zu sehen ist eine Art dreigliedriger Altar, in dem neben zwei gebrochenen Farbflächen rechts ein formatfüllender Mädchenkopf plaziert ist. Auch hier ein riesiges Format, das Bildnis des weißen Mädchens ist eine Fotografie. Lafontaine arbeitet an Begriffen, die der Faschismus für sich in Anspruch genommen hatte und pervertierte, indem er beispielsweise den Begriff der Schönheit durch den der Rasse untergrub. In dieser neo -klassizistischen Inszenierung wird dieser Begriff wieder gefeiert, ohne die Berührungsängste mit Ästhetik oder Ideologie des Faschismus. Bussmann versteht dieses Konzept als Frage. Neben der Arbeit von Hanne Darboven hat sie sicher ihre Berechtigung. Die Wiederaneignung von im Faschismus mißbrauchten Formen ist auch ein Beweis einer Pluralität der Anschauungen, die heute möglich ist. Bussmann sagt es so: „Je schärfer, unversöhnlicher und ausschließlicher da die Gegenstände aufeinanderstoßen, um so eher verspricht das, daß alles, was auch an potentiell Faschistischem in der Kultur umgeht, symbolisch ausgetragen und damit ausbalanciert werden kann.“

Der Faschismus wird nicht herbeigemalt, sondern umgekehrt, er schafft sich die seinige Malerei. Die Gefahr geht daher wohl von der Wirklichkeit aus.

Die NGfBK plant, die Hamburger Ausstellung im März nach Berlin zu bringen. Ob die Leihgeber alle mitspielen, ist noch fraglich, ebenso ob die geeigneten Räume zur Verfügung stehen werden.

Roland Berg