: Kuba - Ein Reisetagebuch
■ Joris Ivens Film „Kuba - ein Reisetagebuch“ aus dem Jahr 1960 heute in DDR II, 22.00 Uhr
Am 18. November 1898 wurde Joris Ivens geboren. Er ist der bedeutendste Dokumentarfilmer in der Geschichte des Films. Anfang September führte Ivens seinen neuesten Film „Der Wind“ bei den Filmfestspielen in Venedig vor. Wir bringen hier einen Auszug aus der 1965 im Ostberliner Henschelverlag Kunst und Gesellschaft erschienenen Biographie „Joris Ivens
-Dokumentarist der Wahrheit“ von Hans Wegner.
Ivens hielt sich nach seiner Ankunft in Kuba im Herbst 1960 nicht mit langen theoretischen Vorreden auf, sondern begann zu arbeiten. Das wickelte sich so ab: „Vom Abend meiner Ankunft an war ich mit Arbeit überhäuft. Es begann mit einem Vortrag, aus dem schnell eine Unterhaltung wurde. Zum Institut gehören rund dreihundert Personen. Es waren alle anwesend, auch die Sekretärinnen und die Elektriker.
Am zweiten Tag wurde mein Film Die Seine traf sich mit Paris gezeigt. Die anschließend geführte Diskussion war viel konkreter als am Vorabend. Da wir von einem bestimmten Thema ausgingen, konnten wir die Rolle des Dokumentarfilms, seinen Stil und seine Bedeutung als Mittel zur Vertretung von Kenntnissen im ganzen Land erörtern.
Als wir an jenem Abend das Institut verließen, sagte Guevarra zu mir: 'Sieh, da ist Fidel Castro, die Ministerratssitzung muß beendet sein.‘
Ich sah eine Menschenansammlung, wir bahnten uns einen Weg, und ich stand vor Fidel, der in einem Cafe an der Ecke der 23.Straße an einem Tisch saß. Guevarra stellte mich vor, und unsere Unterhaltung begann ohne Einleitung: 'Man muß ihm den Chaplin-Filmclub zeigen‘, sagte Fidel, und man erklärte mir, daß das größte Kino der Stadt, Blanguita, mit sechstausend Plätzen, ein Filmklub geworden sei. Weil der Publikumsstrom so gewaltig war, mußte man festlegen, daß jedes Mitglied nur zweimal in der Woche dorthin gehen durfte.
'Erinnere mich daran‘, sagte Fidel nebenbei zu Guevarra, 'daß zur Zeit der Filmvorführungen unbedingt mehr Autobusse auf dieser Linie eingesetzt werden müssen, und außerdem müssen unterschiedliche Preise für die Plätze festgelegt werden!‘
Die beiden Assistenten von Ivens, Jose Massip und Jorge Fraga, schrieben:
„Filmkünstlern, besonders Kameraleuten, bereitet die kubanische Landschaft große Schwierigkeiten. Das Grün, das dem menschlichen Auge so differenziert erscheint, verliert vor dem mechanischen Auge der Fotolinse alle Schattierungen, es erscheint im Schwarzweiß-Film nur als dunkle, wenig nuancierte Fläche. Das heißt, wenn die Filmhandlung vor dem Hintergrund einer ausdrucksstarken Landschaft abrollt, erscheint diese auf der Leinwand ihres Ausdrucks weitgehend beraubt.
Dieses Problem ist wahrscheinlich nur dadurch zu lösen, daß man eine geeignete Beziehung zwischen Landschaft und Himmel schafft. Der Himmel Kubas kommt diesem Bemühen sehr entgegen; Ivens erinnert sich nicht, jemals einen Himmel gesehen zu haben, der mit dem unseren verglichen werden könnte. Sein erstaunlicher plastischer Reichtum rührt nicht allein von den wunderbaren Schattierungen seiner blauen Färbung her, sondern vor allem von der Vielfalt seiner Wolkenbildungen. Wird er klug in die Bildkomposition einbezogen, so kann er die störende Wirkung des diffusen Grüns mindern. Aber auch andere Erscheinungen innerhalb der Landschaft können diese Funktion erfüllen, eine Bresche in das unbesiegbare Grün zu schlagen: ein Baumstumpf, ein Bach, Felsenbildungen. Selbstverständlich müssen diese Faktoren unter dem Aspekt der plastischen Formen und der Komposition ausgewählt werden, nicht nur unter dem der Farbe. Das kubanische Grün ist unbesiegbar (obgleich es möglich ist, daß zu bestimmten Tagesstunden seine verschiedenen Schattierungen durch eine bestimmte Beleuchtung herausgehoben werden).
Die kubanischen Kameraleute müßten das Problem der monochromen Landschaft ihrer Heimat studieren und analysieren. Die Lösung wäre ein wertvoller Beitrag zur guten fotografischen Qualität, die das neue kubanische Filmschaffen erstreben muß.
Wir sind in Trinidad und stehen vor der Frage, wie wir diese alte kubanische Stadt in unseren Dokumentarfilm über Kuba einbeziehen können. Bei unserer Einfahrt in die Stadt bietet sich uns eine gute Gelegenheit für einen ironischen Kommentar, der die vorherrschend dramatische Form des Dokumentarfilms auflockern würde. Für die Besucher der Stadt sind ihre gepflasterten Straßen ein Anziehungspunkt. Die Leute aus Trinidad aber verabscheuen dieselben Straßen, weil sie für den Wagen- und für den Fußgängerverkehr gleichermaßen unbequem sind. Wir erkennen jedoch sehr bald, daß wir uns damit nur einer oberflächlichen Ironie bedient hätten, die die Form nicht bereichert, sondern sie nur ärmer gemacht hätte.“
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