Kalte Füße bei Namibias Volksgenossen

Viele der in Namibia lebenden Buren sehen in der angekündigten Unabhängigkeit das „Reich des Bösen“ über sich hereinbrechen / Zulauf zu rassischem Messianismus - doch die Mehrheit der Afrikaaner wartet ab / Genfer Namibia-Angola-Verhandlungen verlängert  ■  Aus Windhoek Knut Pedersen

Bei den Vierer-Gesprächen über Angola und Namibia, die am Freitag in Genf wiederaufgenommen worden waren, zeichnete sich am Sonntag eine positive Entwicklung ab. Delegationsteilnehmer vertraten die Ansicht, daß die Gespräche, die ursprünglich am Sonntag zu Ende gehen sollten, noch einige Tage fortgeführt werden könnten.

Der Leiter der angolanischen Delegation, Generalstabschef Antonio Dos Santos, wollte darüber hinaus nicht ausschließen, das es zu einem Abkommen zwischen Angola, Kuba und Südafrika kommen könnte. „Hier oder woanders, wir werden zu einer Einigung kommen“, sagte der General und fügte hinzu, die Position Angolas sei flexibel, und auch Südafrika habe eine gewisse Flexibilität gezeigt.

Am Sonntag morgen war der amerikanische Vermittler Chester Crocker noch einmal mit der südafrikanischen Delegation zusammengetroffen, um die Reaktion der Kubaner und Angolaner auf den amerikanischen Vorschlag zum Abzug der etwa 50.000 kubanischen Soldaten aus Angola zu besprechen. Dieser Plan steht im Mittelpunkt der Verhandlungen, die auf eine Unabhängigkeit des von Südafrika kontrollierten Namibias hinauslaufen sollen.

Die kleine, blonde Frau im weißen Kleid mit Seidenschal ist offensichtlich eine Herausforderung für die wuchtigen Männer in kurzen Hosen, deren pralle Waden nur mühsam von kniehohen Wollsocken umspannt werden. Ein Raunen und Rutschen geht durch den Saal, als Gwen Lister in den vorderen Reihen Platz nimmt. „Daß die wagt hierherzukommen“, zischt mein Nachbar in Afrikaans. „Hau ab und laß‘ dich von deinen Negerfreunden bespringen“, grölt jemand hinten im Saal. Feindliches Gelächter. Gwen Lister, die Chefredakteurin des 'Namibian‘, ist derartige Anfeindungen gewöhnt. Vor drei Wochen ging in ihrer Zeitung - einmal wieder - eine Bombe hoch. Und zwei Rechtsanwälte, die sich öffentlich für den Unabhängigkeitsplan der Vereinten Nationen einsetzen, wurden von den „Grauen Wölfen“ unter Beschuß genommen. Mitglieder dieser klandestinen, rechtsextremen Terrororganisation sitzen wohl im Saal, der an diesem Abend mit wachsender Unruhe auf den Messias der südafrikanischen Neo-Nazis wartet: Eugene TerreBlanche, der Führer der „Afrikaaner Weerstandsbeweging“ (AAWB).

Erst wird gebetet und die „Vryheid“ der „Afrikaner -Volksgenossen“ beschworen. Dann stellt sich das Podium vor: Respektable Herren mit Mittelscheitel sitzen Seite an Seite mit SA-Schlägertypen und einem alkoholdurchtränkten Rotgesicht, das angeblich seinerzeit „den ersten Schuß auf die SWAPO“ abgefeuert haben soll. Ein professoraler Redner mit steifer Gestik wird von den rund 250 Buren im Saal gutmütig als Auftakt geduldet. Nach spärlichem Applaus tritt endlich - Nomen est omen - Eugene TerreBlanche ans Mikrophon: Ein mittelgroßer, rundlicher Mann mit Kugelkopf, der beinahe linkisch seine kleinen Hände auf der Brust verkreuzt, um ein makellos weißes Taschentuch nahe am Mund zu halten. Aber zunächst geifert er nicht. Mit tiefer, warmer Stimme spricht er zu seinen Anhängern wie ein millenaristischer Prediger zum erwählten Volk.

„Das Reich des weißen Mannes im südlichen Afrika ist Gottes Reich auf Erden.“ Der runde Körper schwankt bedächtlich, die Stimme wird langsam drohender: „Pieter Botha hat in Mozambique dem Kommunismus das Bett gemacht.“ Aus dem Saal kommen erste Zwischenrufe: „Verräter! Verräter!“ Eugene TerreBlanche legt zu: „Ein Weißer ohne Waffe ist in Afrika ein toter Mann.“ Das sind Worte, die man hier versteht. „Nur ein toter Kaffer ist ein guter Kaffer“, grölt unter Applaus ein baumstarker Rohling. „Neun Zehntel der UN-Truppen werden nicht einmal weiß sein“, nimmt der AWB-Chef die Stimmung auf. „Die werden keinen Finger rühren, wenn die SWAPO unsere Frauen und Kinder massakriert.“ Der Saal gerät in Aufruhr, die Stimme TerreBlanches überschlägt sich und bricht plotzlich in ein weinerliches Flüstern zusammen: „Wir müssen unsere Identität retten, um den Reichtum Gottes zu bewahren.“ Wie ein Mann springen alle auf und singen die Burenhymne Die Stem van Suid-Afrika - alle bis auf Gwen Lister und andere Journalisten, die mit gesenktem Kopf sitzen bleiben. Beschimpft und herumgestoßen gelingt ihnen in extremis ein heikler Rückzug.

Wer hat Angst vorm

Schwarzen Mann?

„Noch glauben die meisten Weißen hier nicht an die Unabhängigkeit. Wenn sie merken, daß es dieses Mal wirklich ernst für sie wird, werden viele ihr Heil im Extremismus, vielleicht sogar im terroristischen Widerstand suchen.“ Die Meinung des SWAPO-nahen Rechtsanwalts Pierre Roux bleibt nicht unwidersprochen. „Seit zehn Jahren haben sich die Weißen hier auf die schwarze Machtübernahme mehr oder weniger bewußt vorbereitet“, glaubt Joachim Pütz von den 'Namibien Nachrichten‘, einer deutschen Wochenzeitung. „Es gibt - zumindest auf dem Papier - keine Apartheid mehr, und in der Übergangsregierung sitzen schwarze Minister. Wenn die SWAPO realistisch und pragmatisch vorgeht, werden die meisten bleiben.“ Realistisch und pragmatisch? Bei kürzlichen Gesprächen zwischen Vertretern der weißen Geschäftswelt und der SWAPO in Zambia haben sich besorgte Gemüter nach „dem Status von Buchhandlungen im unabhängigen Namibien“ erkundigt... Bis zur Karikatur wird die Angst vor einer ungewissen Zukunft spürbar.

Die weiße Bevölkerungsgruppe - 80.000 der rund 1,2 Millionen Einwohner Namibias - formt keinen einheitlichen Interessensblock. Annähernd die Hälfte sind Buren aus Südafrika, die zumeist im Verwaltungs- und Staatsapparat beschäftigt sind. In diesen Posten sehen sie sich - sicher zu Recht - in einem unabhängigen Namibien bedroht, zumal sie politisch als „Kollaborateure der südafrikanischen Besatzungsmacht“ gelten werden. Kaum verwunderlich, daß sich in den Reihen derer, die mehr als zweihundert Jahre nach Jacob Cotzee den Orangefluß in umgekehrter Richtung überqueren müßten, der nachdrücklichste Widerstand gegen eine Veränderung des Status quo formiert. Der Strohhalm ihrer Hoffnung: Aus innenpolitischen Gründen kann es sich die südafrikanische Regierung nicht leisten, sie „einfach fallenzulassen“. Im Burenlager würde der erzwungene Exodus der namibischen Brüder unweigerlich die bereits starke rechtsextreme Opposition begünstigen.

„Für die deutsche Gemeischaft sieht die Situation besser aus“, glaubt Ulli Eins von der „deutschen Interessensgemeinschaft“, der ebenfalls an den Gesprächen mit der SWAPO in Zambia teilgenommen hat. Das mag zutreffen: In Landwirtschaft und Handel haben die Deutschen - rund ein Drittel aller Weißen - nach wie vor das Heft in der Hand. Auf den größten Ranchen des Landes, die sich nicht selten über mehrere tausend Hektar ausdehnen, wird den Rindern und Schafen auf gut Deutsch zugeredet. Und in der Hauptstadt kauft man nach wie vor zwischen Kaiserstraße und Göringstraße ein - Hermanns Vater war der erste Verwalter „Deutsch-Süd-West-Afrikas“. Bis heute funktioniert die frühere Kolonie mit teutonischer Gründlichkeit und jener provinziellen Borniertheit, mit der die 110.000 Einwohner Windhoeks besorglich ihre Parkuhren füttern. (In einem Land, das dreimal so groß ist wie die Bundesrepublik und kaum eine Seele pro Quadratkilometer zählt...)

„Was soll man nach all diesen Jahren hier von der SWAPO erwarten ?“ Der alteingesessene Deutsche, der auf dem hiesigen „Oktoberfest“ gemütlich sein Zapfbier trinkt, „harrt der Dinge, die da kommen mögen“. Diese Einstellung teilt er mit der Mehrzahl seiner Landsleute, ebenso wie eine „skeptische Haltung“ gegenüber der schwarzen Befreiungsbewegung. „Sam Nujoma ist ein ungebildeter Mann, der früher bei der südafrikanischen Eisenbahn Löcher in Kartons gedrückt hat“, meint der Alte, fügt dann aber hinzu: „Hoffentlich gewinnt die SWAPO die Wahlen haushoch: Dann können sie es sich leisten, tolerant zu bleiben.“ Solches Kalkül und „das gute Beispiel in Zimbabwe“, wo die Weißen ihre wirtschaftliche Macht in die Unabhängigkeit retten konnten, sind heute der Stoff, aus dem man in Windhoek Zukunftsträume macht.