Manöver um Krieg und Frieden

■ Nur mit einem Waffenstillstand läßt sich die Hungerkatastrophe im Sudan aufhalten / Von Peter Niggli

In den nächsten Wochen droht das Friedensabkommen mit der Guerilla der Südsudanesischen Volksbefreiungsarmee (SPLA) die Regierung in Khartum einer Zerreißprobe auszusetzen. Die zweitstärkste der drei Regierungsparteien, die Democratic Unionist Party (UDP), schloß am Mittwoch abend mit der SPLA ein Abkommen. Sofern Regierung und Parlament ihm zustimen, würde nach fünf Jahren Krieg ein Waffenstillstand in Kraft treten, der seit drei Jahren andauernde Ausnahmezustand aufgehoben und - der wichtigste Punkt von allen - die parlamentarische Behandlung der neuen islamischen Gesetze vertagt werden. Sie sollen auf einer Verfassungskonferenz im kommenden Jahr behandelt werden; alle Kräfte des Landes einschließlich der Guerilla sollen daran teilnehmen.

Die Muslimbrüder haben das Abkommen selbstverständlich im voraus als „Konspiration gegen den Islam“ denunziert. Sie sind erst im Mai dieses Jahres als dritter Partner in die „Regierung des nationalen Konsens“ eingetreten. Aber auch Premierminister Sadiq al-Mahdi von der größten Regierungspartei, der Umma, zeigt wenig Begeisterung, wenn er jetzt auch das Abkommen begrüßt. So kündigte er etwa im Vorfeld der Friedensmission an, er prüfe ein neues Gesetz, nach welchem jegliche Kontakte mit der SPLA als „Hochverrat“ geahndet würden. Und gegenüber der Presse ließ er gar verlauten, entgegen allen bisherigen Annahmen ließe sich der Krieg gegen die SPLA gewinnen: „Allerdings würde dies bedeuten, alle wirtschaftlichen Entwicklungsanstrengungen einzustellen und die Generalmobilmachung anzuordnen.“

Während dieser denkwürdigen Rede fanden den zweiten Tag Massendemonstrationen von Tausenden von Sekundarschülern statt, die Brot und Zucker statt der Generalmobilmachung forderten. Sind in den vergangenen Jahren die traditionellen Schülerdemonstrationen im Herbst von den Muslimbrüdern gegen die Regierung manipuliert worden, so standen jetzt die Fundamentalisten selbst im Mittelpunkt der Angriffe, weil ein Muslimbruder der verantwortliche Minister für die Versorgung der Hauptstadt mit Grundnahrungsmitteln ist. Viele Erwachsene haben sich deshalb dieses Jahr mit einem kräftigen Steinwurf gegen die Polizei dem Protest der Schüler angeschlossen.

Während die DUP mit dem SPLA-Führer John Garang in Addis Abeba über den Frieden spricht, der sudanesische Premier sich windet und das Volk für Brot auf die Straße geht, ist die Guerilla selbst daran, Juba, der Hautpstadt der ehemals autonomen Region Südsudan, die Luft abzuschneiden. Die Nahrungsmittel sind der Stadt ausgegangen. Die Kirche verdächtigt die nordsudanesischen Händler, die den Basar in Juba kontrollieren, die letzten Reste an Getreide zu horten. Die sporadischen internationalen Versorgungsflüge können die Not von Zehntausenden von Bewohnern und Flüchtlingen in der Stadt kaum mildern. Dabei darf sich Juba noch glücklich schätzen. Dutzende anderer Städte im Südsudan werden durch keine Hilfsaktion erreicht. Und für eine großangelegte Aktion auf der Seite der SPLA, die diese Gebiete beherrscht, hat sich noch kein Hilfswerk durchringen können.

Not und Hunger der sieben Millionen Südsudanesen - von 22 Millionen Sudanesen insgesamt - haben mittlerweile, wie die Hilfs-Professionals sagen, „äthiopische Ausmaße“ erreicht. Eineinhalb bis zwei Millionen Menschen haben sich nach Khartum geflüchtet oder sind dorthin unterwegs, über 300.000 nahmen den Weg nach Äthiopien. Die Eisenbahnlinie von Süden nach Norden, die den Flüchtenden den Weg weist, ist links und rechts von den verwesenden Leichen derjenigen übersät, die beim Gewaltmarsch vollkommen entkräftet zusammengebrochen sind. In den durch die Regierung beherrschten Städten des Südens dürften nochmals eine halbe Million Menschen dem Hungertod entgegengehen. Was auf dem flachen, durch die Guerilla beherrschten Land passiert, entzieht sich der Kenntnis Außenstehender völlig. Wollte man all diesen, plus den nordsudanesischen Opfern der jüngsten Flutkatastrophe helfen, müßten pro Monat 8- bis 10.000 Tonnen Getreide verteilt werden, Gegenwärtig wird aber Hilfe nur in „homöopathischen Dosen“ verabreicht, als letzte Mahlzeit vor dem Tod.

Das gilt auch für die Hauptstadt, die allgemein zugänglich ist. Noch immer lähmen hier politische Streitigkeiten eine effektive Hilfe für die südsudanesischen Flüchtlinge, deren Kartonhütten im August weggespült worden sind. Einflußreiche Bürokraten in der Regierung sprechen diesen Menschen die Berechtigung ab, rund um Khartum zu siedeln. Pläne werden von Büro zu Büro geschoben, die ihre Repatriierung in die „Heimat“ vorsehen - nur daß diese dank Krieg und Gegenkrieg der Stammesmilizen unbewohnbar geworden ist.

Demgegenüber kann der drohende Genozid im Südsudan effektiv nur angegangen werden, wenn ein Waffenstillstand durchgesetzt werden könnte. Daran zeigen jetzt die Regierung wie die SPLA ein gesteigertes Interesse. Die DUP -Friedensinitiative ist in diesem Zusammenhang ein Zeichen von Realismus dieser zweitgrößten Regierungspartei, ein Zeichen, das von allen Oppositionsparteien und -zeitungen in Khartum begrüßt wurde. Im Streit um die Friedensinitiative allerdings wird das große Problem des Sudans nicht zur Diskussion stehen - die rasante Talfahrt in den wirtschaftlichen Bankrott -, sondern die die religiösen Hitzköpfe bewegende Frage nach der Stellung des Islam im politischen Leben des Sudan.