Die Last mit der Vergangenheit

Die Schwierigkeiten der Stadt Dachau, mit dem KZ zu leben / Die Initiative für die Errichtung einer Jugendbegegnungsstätte wird abgelehnt / Auch die Landesregierung will die Vergangenheitsbewältigung staatlich vereinnahmen, um die „Bürde“ der Erinnerung an das Konzentrationslager zu tilgen  ■  Von Ralf Homann

Dachau (taz) - Mit einem Gewirr von Rohren greift der alte Wasserkessel von der Küche hinüber ins Bad. Auf dem Boden liegen verstreut abgesplittete Fliesen. Die vernagelten Fenster werfen kaum Licht in die Räume. Das Haus 2919 ist längst verlassen; auch sein Nachbar 2918. Sie sind Ruinen deutscher Geschichte.

Die Gebäude sind Teil der ehemaligen SS-Kaserne. An diesem Ort wurden die Wachmannschaften für das nur einen Steinwurf entfernte Konzentrationslager Dachau ausgebildet. Hier begannen die Karrieren vieler Kommandanten der Lager Auschwitz, Ravensbrück, Flossenburg, Sachsenhausen.

In den sechziger Jahren errichtete in Dachau das Comitee International de Dachau und der Freistaat eine Gedenkstätte. Der Besucherstrom erreicht nun knapp die Millionengrenze. Immer mehr junge Besucher aus dem In- und Ausland kommen in die Dachauer KZ-Gedenkstätte. Für viele ist es nur ein Kurzbesuch. Mit der S-Bahn von München aus oder auf Klassenfahrt als Haltepunkt zwischen Olympiagelände und Hofbräuhaus.

Durch die Schlitze der vernagelten Fenster geht der Blick auf die ehemalige „Straße der SS“, heute die „Straße der KZ -Opfer“. Obwohl kurz nach der Befreiung des Lagers umbenannt, überwand die Stadt Dachau erst im Herbst vergangenen Jahres ihren Widerstand und stellte ein Straßenschild auf. Die „Straße der KZ-Opfer“ endet am Maschendrahtzaun. Dahinter weitere Gebäude der SS; jetzt eine Kaserne der bayerischen Bereitschaftspolizei.

Auf einer Wiese neben der Kaserne fand letztes Jahr das fünfte Internationale Jugendbegegnungszeltlager Dachau statt. Über 300 Jugendliche aus 13 Ländern - darunter erstmals aus der DDR - lagerten auf dem ehemaligen SS -Ausbildungsgelände. 15 Zeitzeugen - ehemalige Verfolgte diskutierten ihre Erfahrungen mit den Jugendlichen. Bereitschaftspolizisten, die auch neben der Kaserne wohnen, versuchten im Sommer 1987, das Zeltlager zu verhindern, die Teilnehmer zu kriminalisieren. „Polizeifeindliche Gruppen unter den Teilnehmern werden schnell bemerken, daß dies ihr Gegenüber von der WAA Wackersdorf ist“, hieß es in einem Schreiben an die Stadtführung mit dem Ziel, der Initiative den Platz zu verweigern: „Beschädigungen der Wohnanlage und der Kraftfahrzeuge sowie Übergriffe auf Personen können nicht ausgeschlossen werden.“

Der Förderverein Internationale Jugendbegegnungsstätte Dachau fordert seit 1984 zusammen mit konfessionellen Jugendverbänden, der DGB-Jugend und ehemaliger Verfolgter für Dachau eine Jugendbegegnungsstätte, damit die Jugendlichen länger vor Ort bleiben können. Die Zeltlager sind für die Initiative ein kleiner Vorgriff bis zur Verwirklichung der festen Begegnungsstätte.

Das sieht wohl auch die Stadt Dachau so: In diesem Jahr wurde der Initiative jedes städtische Gelände verweigert. Das Internationale Jugendlager mußte deshalb in das Naherholungsgebiet der Nachbargemeinde ausweichen.

Der CSU-majorisierte Stadt- und Landkreis Dachau lehnt die Jugendbegegnungsstätte strikt ab. Die Stadt Dachau verweist auf die „Bürde, die ihr bereits durch die Errichtung des ersten Konzentrationslagers auf deutschem Boden vom NS -Regime aufgeladen wurde“. Sie sieht nicht, daß eine internationale Begegnungsstätte ein Weg wäre, das Gleichheitszeichen Dachau KZ aufzulösen. Eine Begegnungsstätte könnte dazu benutzt werden, „tages- oder allgemeinpolitische Themen weltöffentlich zu emotionalisieren“. Die Beschäftigung mit dem „nie wieder“ der Verfolgten darf für CSU-Landrat Hansjörg Christmann nicht dazu führen, daß zum Beispiel Franz Josef Strauß in die Nähe des Nationalsozialismus gerückt werde (Wie bitte? d.S.). „Das ist der Kernpunkt, warum wir diese Politisierung fürchten, und warum wir sie durch Organisationsstrukturen von Dachau fernhalten wollen.“

Die örtliche CSU plädiert deshalb für den Staat als verantwortliche Autorität für die Jugendbegegnung in Dachau. Ein pluraler Träger mit Vertretern der Verfolgtenorganisationen, jüdischer Gemeinden, Gewerkschaften und christlichen Kirchen, wie ihn der Förderverein sich vorstellt, ist für Christmann „nicht geeignet, Leitlinien für die Aufarbeitung deutscher Geschichte einem pädagogischen Personal vorzugeben“. Und selbstverständlich kann Christmann auch das Mißtrauen der Verfolgten in den freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat nicht verstehen.

Die bayerische Staatsregierung versteht die Sorgen des Landrats. Vergangene Woche veröffentlichte sie ihre „Konzeption für eine Verbesserung der pädagogischen Betreuung jugendlicher Besucher der KZ-Gedenkstätte Dachau“. Ganz im Sinne der örtlichen CSU will sie keine Jugendbegegnungsstätte, die eine kritische Auseinandersetzung mit der Vergangenheit erlaubt. Eine öffentliche Stiftung unter der Leitung von Freistaat, Landkreis und Stadt Dachau soll stattdessen ein Jugendgästehaus betreiben. Kirchen, Gewerkschaften und das Internationale Dachau-Komitee werden in einen bedeutungslosen Beirat abgedrängt; andere Verfolgtenorganisationen gar nicht erst erwähnt.

Für den Förderverein ist dies eine „Verstaatlichung“ von Geschichte und Jugendbegegnung. „Die Initiatoren, Anreger und Praktiker werden übergangen“, meint der Vorsitzende der Initiative, Rolf Hanusch. Das Staatsministerium für Unterricht und Kultus sieht das anders: Das Konzept der Staatsregierung seien Lösungsvorschläge für die Diskussion im bayerischen Landtag. Sie beginnt Ende November.

Zwischen den Häusern 2919 und 2918 beginnt die „Straße der Befreiung“. Bis heute weist kein Schild auf sie hin. Sie führte vorbei an der ehemaligen Villa des Lagerkommandanten. Jetzt ist dort eine unscheinbare Kiesgrube. Als das Gerücht aufkam, die Villa könnte der internationalen Jugendbegegnungsstätte in Dachau ein Dach geben, riß die Stadt sie im Sommer 1987 kurzerhand ab. Gartenabfälle füllen die Grube und herangeschaffte Erde läßt sie zuwachsen.