Macht der Bürokratie - Grenzen der Feminisierung

■ Für die österreichische Politikwissenschaftlerin Eva Kreisky stößt die „Feminisierung“ der Bürokratie auf strukturelle Grenzen

Dr.habil.Eva Kreisky, 44, forscht und lehrt am Wiener Institut für höhere Studien mit dem Schwerpunkt „Bürokratie“. Erfahrungen vor Ort konnte sie in der Mitarbeit an dem Frauenförderprogramm für den österreichischen Bundesdienst sammeln. Eva Kreisky ist seit Beginn der siebziger Jahre der autonomen Frauenbewegung verbunden

taz: Eva Kreisky, Sie sind eine der wenigen Wissenschaftlerinnen, die Bürokratiekritik mit feministischen Ansätzen verbindet. Warum ist Bürokratie ein blinder Fleck in der Frauenforschung?

Eva Kreisky: Es hat mit der Geschichte der neuen Frauenbewegung zu tun, den herrschenden Institutionen den Rücken zu kehren. Ihre Anfänge wurzeln in den außerparlamentarischen Orientierungen der Studentenbewegung und die anti-institutionelle, antibürokratische Haltung wurde fast zur zweiten Haut. Auf Dauer hat eine solche Strategie allerdings zu Problemen geführt, weil es für niemanden möglich ist, diesem Staat und seinen Institutionen den Rücken zu kehren. Für mich ist dies ganz deutlich geworden mit dem Beginn der ökonomischen Krise und der Arbeitslosigkeit und sichtbaren Verarmung von Frauen.

Sie nehmen eine sehr kritische Haltung zu der Integration von Frauen in die staatlichen Institutionen und in den öffentlichen Dienst ein. Die quantitative Steigerung des Frauenanteils reicht für Sie nicht

Mit der Bezeichnung öffentlicher Dienst ist die Verharmlosung bereits angelegt. Der Begriff impliziert: es handelt sich um ein Arbeitsfeld. Wenn ich das als bloßes Arbeitsfeld für Frauen darstelle und wahrnehme, so ist der Herrschaftsaspekt amputiert. Ich versuche eine Machtanalyse des bürokratischen Systems. Für die Entfaltungs- und Arbeitsmöglichkeiten von Frauen sehe ich Restriktionen, die genau in dieser Machtstruktur begründet liegen. Die Kenntnis dieser Grenzen ist wichtig, um politisch handlungsfähig zu sein. Alles andere führt auf den Weg der Illusionen. Für mich ist die Überlegung wesentlich, was Bürokratie ausmacht. Es ist die Formalisierung, die Abstraktion von Leben, von Emotionen, von Leidenschaften, die Abstraktion vom Menschen. Insofern ist die Bürokratie eine zutiefst unmenschliche Form, unabhängig von dem einzelnen Menschen, der darin tätig ist.

Aber könnte dieses Organisationsprinzip nicht doch durch die Teilhabe von Frauen unterlaufen werden? Wenn wir davon ausgehen, daß Frauen sich durch ihren Sozialcharakter in ihrer Arbeit mehr am Menschen orientieren?

Sicher kann man diese Überlegung anstellen, ob irgendwann Quantität in Qualität umschlägt, und daß sich durch Feminisierung die Strukturen verändern. Nur eine Automatik sehe ich hier sicherlich nicht. Für mich muß die Feminisierung von ganz radikalen Strukturreformen begleitet werden.

Worin könnten diese bestehen?

Im internen Bereich ist eine Enthierarchisierung in öffentlichen Verwaltungen denkbar und realisierbar. In Skandinavien gibt es Versuche, die Arbeitsorganisation zu demokratisieren, das heißt, das Spannungsverhältnis zwischen den Untergebenen und dem allmächtigen Vorgesetzten zu reduzieren. Aber ein entscheidender Punkt ist folgender: meine Bürokratieeinschätzung geht in die Richtung, daß die Lebensprobleme der Menschen, ihre Krisen und Notlagen durch das bürokratische System nicht gelöst werden. Bürokratie funktioniert wie ein Verschiebebahnhof. Die Probleme erscheinen mal in dieser, mal in jener bürokratischen Form. Die Probleme zu lösen, bleibt aber letztlich den Betroffenen überlassen. Wenn Frauen in ihrer Krisensituation, in der Arbeitslosigkeit, ohnehin alleine dastehen, dann frage ich mich, wozu brauchen wir überhaupt das bürokratische System? Hier kann es Formem kooperativer Selbstorganisation geben, die mit demokratischeren Formen zur Lösung der Probleme beitragen können. Es kommt darauf an, die staatlichen Insitutionen daür zu instrumentalisieren, denn ganz ohne Verwaltung werden wir sicherlich nicht auskommen.

Sie verwenden den Begriff „Feminisierung“ aber auch als analytische Kategorie. Er bezeichnet die Eigenschaften und Verhaltensweisen, die sowohl die Menschen, die im bürokratischen Apparat arbeiten als auch die Klienten und Klientinnen aufweisen müssen, um zu funktionieren. Eigenschaften, die gesellschaftlich Frauen zugewiesen werden, wie Fügsamkeit, Unterwürfigkeit, Gehorsam. Warum diese Anbindung an das gesellschaftliche Frauenbild?

Es ist für mich unbestritten, daß die politischen Herrschaftstrukturen darauf hinauslaufen, immer mehr Menschen zu apathisieren, zu passivieren. Das sind politische Verhaltensweisen, die man uns Frauen schon immer zugeschrieben hat. Wenn es stimmt, daß der Trend der Passivierung zunimmt, heißt das, daß wir Frauen Bündnispartner bekommen werden, nämlich Männer, die in gleicher Weise machtlos, ohnmächtig sich gegen diese Institutionen nicht mehr zur Wehr setzen können. Wir können das strukturelle Problem nicht lösen, indem wir Frauen nun auch Herrschende werden. Wir müssen zwar hinein, um Informationen zu bekommen, um zu sabotieren, um mitzugestalten, aber gleichzeitig müssen wir am Abbau dieser Strukturen arbeiten.

Aber Sie haben auch davon gesprochen, daß das Feindbild hier ist der böse Bürokrat hier bin ich - so nicht möglich ist, weil es eine „Internalisierung des bürokratischen Phänomens“ gibt. Wie sehen Sie hier die Rolle der Frauen? Sehen Sie eine Chance, daß Frauen doch anders agieren können?

Wenn Frauen sich ihrer Qualitäten bewußt sind und auch der Qualität einer potentiell anderen Lebenserfahrung, und diese Qualität in bürokratische Strukturen hineinnehmen, so hat das sicherlich einen sprengenden Effekt. Ein Beispiel dafür: es gab in Innsbruck eine alternative Gemeinderätin, die in einem Ausschuß arbeitete, der sonst nur von Männern besetzt war. Dieser Ausschuß begann zu einer Zeit morgens, als die städtischen Kindergärten noch gar nicht geöffnet hatten. Die Gemeinderätin kam einmal zu so einer Sitzung im Pyjama, mit den beiden Kindern an der Hand. Das ist für mich ein Beispiel, wie Frauen ihre Lebenswelt hineintragen können. Wenn dagegen Frauen sich mit dem Nadelstreifenkostüm und dem Aktenköfferchen auf den Weg begeben, dann würde ich behaupten, daß eine solche Feminisierung nicht zur Veränderung der Strukturen führt.

Das Interview: Helga Lukoschat