Die Töchter blicken auf Vater Staat

■ Internationale Konferenz „Vater Staat und seine Frauen - 70 Jahre Frauenwahlrecht“ / Bestandsaufnahme der Präsenz von Frauen im repräsentativen System / Verhindern patriarchales Politik- und Staatsverständnis den Zugang zur Politik?

Heute vor 70 Jahren, am 19.November 1918, wurde das Frauenwahlrecht in Deutschland per Verordnung des „Rates der Volksbeauftragten“ Recht und Gesetz. Zu den Wahlurnen durften die Frauen dann zum ersten Mal am 19.Januar 1919 schreiten. 41 weibliche Abgeordnete gab es in der Nationalversammlung, das entsprach einem Anteil von 9,5 Prozent. 70 Jahre später, 1988, im deutschen Bundestag liegt der Anteil der Frauen bei 15,4 Prozent. Diese Steigerung geht allerdings allein auf das Konto der Grünen, die als kleine Partei mit Quotierung plötzlich deutlich mehr weibliche Abgeordnete ins Parlament brachten. Der Frauenanteil im Bundestag hatte sich zuvor bei satten neun Prozent eingependelt, in der Legislaturperiode 1972 bis 1976 gab es sogar den historischen Tiefstand von 5,5 Prozent.

„Vater Staat und seine Frauen„- die Arbeitsstelle Frauenforschung an der Technischen Universität Berlin nahm das Jubiläum des Frauenwahlrechts zum Anlaß für eine einwöchige, internationale Fachkonferenz, die am Montag begann. Renommierte Wissenschaftlerinnen und Politikerinnen referierten auf einem Symposium im Berliner Reichstag über das Verhältnis der Frauen zum Staat. Einer Bestandsaufnahme über die Präsenz der Frauen im repräsentativen System war der erste Tag gewidmet: die Bundesrepublik, so wurde deutlich, liegt im Mittelfeld. Nur die skandinavischen Länder haben mit einem Frauenanteil zwischen 30 und 40 Prozent in den Parlamenten die „kritische Masse“ erreicht. Hier könnte Quantität in Qualität umschlagen, wie es die Professorin Drude Dahlerup aus Dänemark formulierte, denn Frauen in der Politik bedeutet eben nicht zwangsläufig eine „Politik für Frauen“.

Die „Erfolge“ der skandinavischen Länder können aber nicht nur mit einem hohen Bildungsstand der Frauen und einer relativ stabilen ökonomischen Situation erklärt werden. Sehr klar zeigte das Symposium, daß die Ursachen für den souveränen Umgang mit dem Staat und seinen Institutionen auch in der demokratischen Tradition der skandinavischen Länder liegen. In Deutschland und Österreich dagegen, mit ihrer obrigkeitsstaatlichen Tradition und der Erfahrung des Faschismus, ist das Verhältnis zum Staat widersprüchlichlicher und gebrochener. Auf eine andere Tradition verwiesen die Beiträge der US-amerikanischen Referentinnen: dort spielt der Staat eine eher marginale Rolle für das Selbstverständnis der Bürgerinnen. Frauenpolitik artikuliert sich deshalb weniger in Forderungen an den Staat und die Gesetzgebung - wie in der Bundesrepublik-, sondern in aktiver Einmischung in Gesellschaft und Wirtschaft.

Es ging auch um Vater Staat als Arbeitgeber: daß der öffentliche Dienst mittlerweile einer der wichtigsten Felder für Frauenarbeitsplätze ist, war unumstritten. 1986 betrug der Frauenanteil im öffentlichen Dienst 40 Prozent, 1960 waren es lediglich 25,6 Prozent. In leitenden Positionen im höheren Dienst finden sich Frauen allerdings nur in verschwindend geringer Zahl, zu 6,7 Prozent. Kritische Töne gegenüber einer Frauenförderung, die die Machtstrukturen bürokratischer Systeme außen vor läßt, formulierte Eva Kreisky. Die österreichische Politikwissenschaftlerin und Tochter von Bruno Kreisky plädiert für eine Strategie, die Frauenförderung oder „Feminisierung“ nur mit einer radikalen Strukturreform zusammendenken will. Sie diagnostizierte aber auch die „Internalisierung des bürokratischen Phänomens“ in den Köpfen von Männern und Frauen. Ein Befund, den der stark reglementierte Ablauf der Konferenz, der kaum Zeit für Diskussionen, Einschätzung und Kritik ließ und alles in einen starren Zeitplan preßte, leider bestätigte.

Die patriarchalen Ideologien, die die bürgerliche Philosophie hervorbringt und die in die Staatstheorien eingeflossen sind, waren das Thema des dritten Tages. In Auseinandersetzung mit politischer Theorie sollte unter anderem geklärt werden, welche - zum Teil nicht bewußten, verinnerlichten - politischen Konzepte Frauen daran hindern, in der Politik mitzumischen. Im engeren Sinne zum Thema sprach nur Christine Woesler de Panafieu, politische Beraterin in Paris. In nur zehn Minuten Redezeit stellte sie in vier knappen Thesen die Grundprinzipien patriarchaler Ideologie vor. Dazu gehört nach ihrer Auffassung das Denken (und Handeln) in Dualismen. Zum Beispiel würden Frauen als Naturwesen, Männer als geschichtliche Wesen betrachtet. Auch Feministinnen seien häufig diesem dualistischen Denken verhaftet und betrachteten sich selbst als „der Natur näher“ als Männer. Als weiteres grundlegendes Merkmal patriarchaler Philosophie analysierte sie die „Negation weiblicher Produktivität“. Sowohl in der bürgerlichen als auch in der marxistischen Ideologie werde die Arbeit der Frauen nicht in anerkannten Kategorien erfaßt und stattdessen in „Mutterliebe“ und „Weiblichkeit“ transformiert. Als drittes grundlegendes Prinzip patriarchaler Ideologie definierte sie ein „utilitaristisches (an bloßer Nützlichkeit orientiertes, d.Red.) Rationalitätsprinzip“. Die Suche nach einfachen Lösungen in einer komplexen Umwelt sei auch in der Frauenbewegung verbreitet, stellte Christine Woesler de Panafieu fest, allerdings hätten die Feministinnen wesentlich zur Veränderung beigetragen. Frauen würden heutzutage nicht mehr „selbstverständlich“ als Naturwesen betrachtet.

Die meisten anderen Referentinnen scheiterten an der knappen Redezeit, die in krassem Mißverhältnis stand zu den langen Reden, die sie vorbereitet hatten. Obwohl ihnen ihre Redezeit von zehn bzw. 30 Minuten lange vorher bekannt war, hatten sie es nicht für nötig gehalten, ihre Thesen entsprechend zu straffen und zuzuspitzen. Als dann auch Silvia Kontos, die mit ihrer Forderung nach „Lohn für Hausarbeit“ einer der frühen und führenden Persönlichkeiten der Frauenbewegung war, ihren Vortrag zerhackstücken mußte, äußerte sich der Unmut des Publikums in Buh-Rufen. Frau mochte nicht einsehen, warum immer dann, wenn es kompliziert wurde, nur noch Stichworte gesagt werden konnten, warum immer dann, wenn es spannend und interessant wurde, die Redezeit vorbei war.

Helga Lukoschat/Gunhild Schöller