Gibt es eine neue Kultur?

■ 30 ReferentInnen sichteten am letzten Wochenende „Das neue Interesse an der Kultur“ / Veranstalter: Die „Kulturpolitische Gesellschaft“ und die Uni Oldenburg

Zu einer kritischen Bestandsaufnahme der gegenwärtigen Situation des Kulturbooms trafen sich am Wochenende 30 Referentinnen. Da Bundesbildungsminister Möllemann und sein niedersächsischer Kollege Cassens eröffneten bzw. begrüßten, kam es zum absehbaren Protest der Oldenburger StudentInnen der Kulturwissenschaften, deren Fächer gestrichen werden sollen, was die zuständigen Minister aber nicht hinderte, zynisch die Bedeutung der Kultur für die gesamtgesellschaftliche Entwicklung zu beteuern. Uni -Präsident Daxner nannte die Streichungspolitik eine unverantwortliche „wissenschaftstheoretische Flurbereinigung“ und forderte den „Schutz des Staats“ für diese Fächer.

(End-)gültige Antworten waren nicht erwartet, das Resultat der Tagung war eher das Ausspre

chen vieler nachdenkenswerter Fragen. So attestierte der Wiener Soziologe Rudolf Burger aus einer Analyse der Dialektik der Aufklärung heraus einen verbreiteten „Willen zum Mythos“, die vernunftleugnende Gottsuche im New -Age (besonders unter Intellektuellen), der er „Verzicht auf die Autonomie des Subjekts“ sowie die Ausblendung jeglicher Reflektion vorwarf. Der Reflektion bedarf es aber, um das Existieren in „einem Zustand, in dem man sich an nichts mehr halten kann“, auszuhalten.

Leider wurde versäumt, Begriffsbestimmungen und Definitionen der zentralen Begriffe zu versuchen, um wirklich analysieren zu können, was das alte und was das neue Interesse an der Kultur sei und ob es eine Neue Kultur gibt - zum Beispiel die Kultur des „homo sapiens informaticus“

Informatiker Haefner) oder ob das angeblich neue Interesse nur eine Interessenverschiebung im weiten Kulturspektrum darstellt.

Etwas zu locker wurde oft die angebliche „high culture“ der „Neo-Konservativen“ mit „ihrer Inszenierungs- und banalen Entertainment-Kultur“ als „der angebliche postmoderne Mist“ abgestempelt und verurteilt. So sprach die Theologin Dorothee Sölle in ihrer vielgelobten „Predigt“ vom „Kulturverfall“, und „Ausverkauf der Kultur“, von der „Auslieferung des Menschen an die Banalität“: „Kultur kann man das nur nennen, wenn man sich das Sehen verbietet“, konstatierte sie und forderte die „Utopie einer Kultur, die auch uns in der Tradition der Freiheitsbewegungen beheimatet“. Ihrem christlich-humanitären Ansatz kann man kaum wiedersprechen - es tat auch niemand -, aber er sieht die Realsituation unserer Gesellschaft zu sehr durch die Schwarz-Weiß-Brille, der Kulturbegriff ist zu einseitig eingeengt.

Darauf wies besonders der Künstler Thomas Lehnerer hin, als er den schroffen Unterschied zwischen Kunst und Kulturarbeit klarstellte. Da Kunst im Gegensatz zu letzterer immer ein Anspruch auf autonomer Eigenexistenz vertritt.

Im Arbeitsschwerpunkt „Authentische Kultur/Inszenierte Kultur“ wurden besonders die Auswirkungen der großinszenierten Kulturspektakel auf die Identifikation bzw. Entfremdung der Bewohner mit ihrer Stadt dis

kutiert. Beispiel: „Berlin spielt Metropole, anstatt städtische (Stadtteil-)Kultur zu betreiben“. Aufwertung der Zentren/Metropolen bedingt die Verödung des Rests, wobei wirklich Lokalspezifisches als Folklore abgedrängt wird. Doch der dies ausmachende Soziologe Walter Siebel ging noch weiter: Darum sei eine kritische Auseinandersetzung mit „unserem Bild vom richtigen Leben nötig“.

Das Erwirken von mehr persönlicher Souveränität des Einzelnen wäre Zeichen einer emanzipatorischen Stadtkultur, nicht die einfache Umverteilung der Kulturgüter von oben nach unten, wobei Kultur immer noch in der Kategorie der Warenwirtschaft verfangen bliebe.

Der Philosoph Wolfgang Welsch referierte die neostrukturalistischen Gegenwartsdiagnosen von Braudrillard und Lyotard und erinnerte, daß Demokratie nicht vom Konsens, sondern gerade von der Divergenz von Grundorientierungen lebt. Er sieht die Pluralität als Form der Utopie, wobei die Kunst als Elementarschule dieser Pluralität gesehen wird. Eine Gesamtkultur gibt es nicht, die Rede von Konsens ist daher unsinnig.

Da die teilnehmenden Bildenden KünstlerInnen, SchriftstellerInnen und FilmemacherInnen von den Kulturfunktionären leider in die Ecken und an den Schluß der Veranstaltung plaziert wurden, bleiben sie auch hier notwendiger und konsequenterweise außen vor.

Achim Könneke