JEDER KENNT JEDEN

■ Senatsrockwettbewerb, 4. Teil: Zuschauerreaktionen im und ums Quartier

Das zum zweiten Mal in die Endausscheidung gelangte No Zen Orchestra lärmt bereits in den letzten Zügen. Bei dem Auftritt muß es sich, vorsichtig ausgedrückt, um innovative Fortschrittsmusik gehandelt haben. Auf der Bühne agieren mit polyphoner Uneinigkeit ungefähr so viele Menschen wie davor versammelt sind. Zum Abschluß räumt die Menge das Feld und zwei Männer im Anzug geben noch einen umweltkritischen Neue -deutsche-Welle-Schlager mit Begleitmusik vom Band an die Hörerschaft ab. Als einer der beiden seiner Trompete die ohrmuschelverkrampfendsten Laute entlockt, rufe ich mir mühsam den wohltätigen Sinn dieser Veranstaltung ins Gemüt, auf die mich Jurorin Doro Peters irgendwann mal ausdrücklich hinwies. Zum Glück kam ich zu spät.

Die Space Cowboys folgen im Anschluß. Prima, denke ich, noch nie gesehen, abwarten, was die abziehen. Ich rieche sofort potentiellen Zündstoff, als der Drummer eine Tüte mit Bierdosen auf der Bühne ausleert. In einem Ohr hallt mir noch das beiläufig aufgefangene „deren ganzes Rhythmusgerüst läuft doch von Band“, von Juror Goldt an einen Gesprächspartner ausgestoßen, nach. Mit der Hoffnung „vier Männer müssen doch ausreichen für wenigstens ein, zwei gute Stücke“ warte ich geduldig ab und wärme mich an dem prasselnden Lagerfeuer, das über TV flimmert. Der Sänger im Anzug krümmt sich halbwegs wie Ian Dury und singt stakkato -artig dazu, der Cowboyhut-Gitarrero läßt seine Disakkorde über dem Publikum gewittern, und der Drummer verläßt nach fast jedem Stück seinen Platz, obwohl er ein richtig tolles E-Drum-Equipment beschlagen darf. Aber den wirklichen Hithammer enthalten sie mir vor.

Über die treffende Beschreibung meditierend, treffe ich auf M. „Die kenne ich übrigens“, meint sie. Ich versuche, den warnenden Unterton in ihrer Stimme ausfindig zu machen. Sie winkt ab. Wir trennen uns human-philosophisch: „Es gibt nette Menschen - die sind leider Musiker, und es gibt Musiker, das sind auch noch Menschen.“

Dieser seelische Beistand treibt mich an einen Tisch zu Fotograf Owsnitzki. Im folgenden Gespräch fällt mehrmals der Begriff „taz“ und mein Name. Ein Finger an der Schulter sticht auf mich ein. „Sag‘ mal, hast du den Artikel über 'The Crew‘ geschrieben? Also, das fand ich wirklich gemein und unfair, die machen doch so tolle Musik“, belehrt mich eine Fan-Fach-Frau. Der festentschlossene Blick macht ein „Das ist doch Geschmackssache“ nutzlos. Der Mensch ein Stuhl weiter begrüßt mich mit „Ich bin einer der debilen Pennbrüder.“ Wissend um die Schwierigkeit der Menschheit, einen emotionalen Zustand offen darzustellen und Kritik zu üben, ahne ich, was er mir wirklich damit sagen will.

Auch bei den 54 Models weiß ich schon, was ich nicht schreiben darf, denn F., ein Bekannter meiner Freundin, kennt den Sänger. Trotzdem kann ich nichts dafür, wenn der sein dünnes Haar so konsequent nach hinten und vorne schmeißt, als wäre es frisch gewaschen. Wieder regieren nur Männer die Bühne: zwei Gitarren, Baß, Drums, Keyboard und eine Flasche Jim Beam. Und Großartiges bleibt auch nicht im Ohr stecken. Eine Kollage aus Dark-wavigem, Cool-bluesigem drückt von oben auf die Schädeldecke und weckt Gefühle wie nach einer durchgemachten Party am frühen Morgen in einer siffigen Küche. Der Sänger, der später noch seinen untrainierten Oberkörper vorstellen wird, klagt, als ob er sie sauber machen muß. Plötzlich fällt mein Blick auf den Gitarristen in der anderen Ecke. Kaum zu glauben - dort bezwingt mein ehemaliger Schulkamerad Peter sein Instrument! Derartig eingeschüchtert, fällt mir noch eine objektive Formulierung ein: Große Chancen für einen Gewinnerpreis halte ich für unwahrscheinlich.

Connie Kolb