Genosse Polizist ist ins Grübeln gekommen

■ „Sozialdemokraten in der Polizei“ diskutierten Rolle der staatlichen Ordnungsmacht / Frust und Ärger über das Bild der Prügel-Polizei / Forderung nach Abkoppelung der Polizei von direkter politischer Einflußnahme / Nur dezente Verbesserungsvorschläge

„Das Berufsbild der Polizei in unserer Gesellschaft Anspruch und Wirklichkeit“: Der Titel der zentralen Podiumsdiskussion bei der Tagung der Sozialdemokraten in der Berliner Polizei (SIP) am Samstag gab sich bemüht neutral. Die Mühe war vergebens. Von Anfang an redeten das Podium und das überwiegend aus Polizisten zusammengesetzte Publikum im roten Rathaus Wedding über kaum etwas anderes als die üblen Übergriffe uniformierter Kollegen bei der IWF-Tagung, über die Angriffe auf die Presse und über den Schaden, den der Ruf der Polizei dadurch genommen hat.

Versuche wie der des Geschäftsführers des Bundes Deutscher Kriminalbeamter Berlin (BDK), Werner Thronicker, den von der Bevölkerung akzeptierten Schutzmann an der Ecke ins Gespräch zu bringen, gingen unter. Lautstarke, von heftiger Adrenalinausschüttung begleitete Reden des Polizeigewerkschafters Klaus Eisenreich (GdP) des seit Jahren wiederholten Inhalts, daß nicht länger Politik auf dem Rücken der Polizei ausgetragen werden dürfe, bekamen zwar Szenenapplaus, weil sie Balsam für wunde Polizistenseelen sind, halfen aber nicht weiter. Denn die politische Rolle der Berliner Polizei, das wurde in vielen Beiträgen beschrieben, wird nach der Absetzung des SPD -Pol.Präs. Hübner direkt von den CDU-Hardlinern Kewenig und seinem Staatssekretär Müllenbrock bestimmt, deren Polizeichef Schertz widerstandslos funktioniert, wenn er nicht von Müllenbrock, der persönlich die geschlossenen Einheiten „auf Vordermann“ brachte, einfach umgangen wird. Unter den Folgen dieser Politik, während der IWF-Tagung auch dem letzten deutlich geworden, leiden die Polizisten, die, wie Rechtsanwalt Eschen formulierte, „von der Bevölkerung geliebt werden wollen und die Akzeptanz in der Gesellschaft brauchen, weil sie ihre obrigkeitsstaatliche Funktion verloren haben“. Für eine „Abkoppelung“ von direktem politischem Einfluß plädierte daher GdP-Mann Eisenreich; Sicherheitsexperte Pätzold kritisierte die Zweckentfremdung der Polizei für parteipolitische Zwecke der Koalition. AundO sei eine umfassende Ausbildung des Polizeinachwuchses in gesellschaftspolitischen Fragen.

Mompers Schatten-Innensenator H.G.Lorenz will im unwahrscheinlichen Falle eines SPD-Wahlsiegs dafür sorgen, daß die Ordnungsmacht wegkommt vom derzeitigen Berufsbild des „Demo-Zerschlagers„; die Polizei müsse selbst offensiver ihre gesellschaftliche Funktion von Schutz- und Gefahrenabwehr darstellen „und auch Polizeikritikern klarmachen, daß wir für sie da sind“. Die sozialschädliche, organisierte Kriminalität sei verstärkt zu bekämpfen, die Schutzpolizei könne z.B. auch gegen Umweltdelikte eingesetzt werden. Bei Demonstrationen müsse mehr „Gelassenheit“ bei der Polizeiführung walten und es müsse „politisch klüger abgewogen werden“, ob man eine friedliche Demo auch dann mal laufen läßt, wenn sie nicht angemeldet ist, erläuterte Lorenz seine neue Berliner Linie, deren praktische Umsetzung aus der Hübner-Ära noch gut erinnerlich ist. Daß es in Sachen Übergriffe durch Polizisten auch vor einer Regierungsübernahme viel zu tun gäbe, war allen Diskutierenden klar, ebenso die Hemmnisse wie Korpsgeist und falsche Kameraderie, die Aufklärung von Straftaten in Uniform so gut wie immer verhindern.

Nur der Sprecher der Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Juristen, Schomburg, sprach sich trotz der dräuenden GdP für eine Kennzeichnung von Beamten aus, Lorenz vertraut darauf, daß die Staatsanwaltschaft die Übeltäter in der Polizei schon finden könne, wenn sie nur wolle. Der Genosse Kittlaus, Landespolizeidirektor, will offenbar am liebsten gar niemanden in seinen Apparat blicken lassen. Er will „verstärkt die Selbstreinigungskraft ansprechen“.

Thomas Rogalla