Vereine und Fans: ein mißlungener Doppelpaß

Bundesliga-Fußball: drei Monate nach dem ersten bundesweiten Fan-Kongreß  ■  Von Ernst Thoman

Bremen im August. Aus der Tiefe des Raumes gekommen, versuchten einhundert Fußball-Fans die Annäherung an den Profi zum Anfassen. Der erste bundesweite Fan-Kongreß bündelte seine Botschaften an die Bundesliga. Patenschaften zwischen Spielern und Fan-Clubs, Institutionalisierung „sozialkommunikativer Erfahrung“ via Fanprojekte, Integration Arbeitsloser in Unternehmen von Sponsoren, hießen drei von dreißig Forderungen und Vorschlägen an 38 Bundesligisten.

„Die Bilanz ist erschütternd“, kommentiert Dieter Bott, Organisator der Bremer Fan-Tage die Reaktion der Elite -Ligisten. „Die Notwendigkeit der Auseinandersetzung mit den Fans wird in den Vereinen nicht verstanden.“ Ganze vier Klubs antworteten und ließen schön grüßen. „Alles Gute weiterhin“, kam aus Frankfurt, Kaiserslautern und von Münchens Bayern. Der 1. FC Köln griff zur vorgedruckten Postkarte für alle Fälle von rascher Erledigung: „Wir haben an ihrem Angebot kein Interesse.“

Dieter Bott, per ABM drei Jahre in Mainhattan mit Fanarbeit befaßt und heute arbeitsloser Sozialwissenschaftler („Die Eintracht hat Detari-Millionen und für Fans keinen Pfennig.“) sieht in dem mißlungenen Doppelpaß zwischen Vereinen und Fankultur „die praktizierte Separierung zwischen Haupttribüne, Rasen und Stehplatz bestätigt.“ Die Triangel spielt ohne Takt, der Dreiklang tönt schief durch die objektive Entwertung der Zuschauer: „Die Mehrzahl der Erstligisten kalkuliert in den Etats die Finanzierung aus Eintrittskarten mit 30 Prozent.“

Quicke Manager wie Werder Bremens Willi Lemke wollen die Liga im Komplett-Paket verscherbeln. 40.000 Karten für 120.000 Mark gehen an „Beck's Bier“ oder „Frolic“. Bremen hat sein ausverkauftes Kartenhaus, der Werbeeinkäufer kann die Karte für vier Mark recyclen. Bayern-Bruder Hoeneß (Uli) träumt die Europaliga und wird in diesem November fünf Millionen umsetzen. Für Fans bleibt da keine freie Zeit, wiewohl Hoeneß (Uli) vor vier Jahren begeistert auf Fan -Wünsche einging. Hoeneß damals mündlich: „Wir schicken Spieler, die nicht auf der Bank sitzen, in die Fankurve. Wir besuchen Eure Fan-Veranstaltungen.“ Hoeneß heute: „Wir sind einfach nicht dazu gekommen.“

Zeit bleibt, liga-auf und liga-ab, für zeitlose Gedanken zur Genesung des kranken Kindes Bundesliga. Bei sinkenden Zuschauerzahlen und steigender Angst der Stürmer vor dem Netzangriff werden Regeländerungen und mehr Tam-Tam unterm Tribünendach empfohlen. Für die Therapie der „Nulldiät“ werden kalorienlose Aufwärmer wie „Play-Off“ oder „Sudden Death“ empfohlen, mehr Punkte bei mehr Toren, die Aufhebung der Abseitsregel, Zeitstrafe statt roter Pappe oder zwei Pfeifenmänner. Der selige FIFA-Präsident Stanley Rous befand bereits in den Sechzigern auf den Vorschlag hin, die Tore zu vergrößern: „Dann können wir auch die Torhüter einen Kopf kürzer machen.“

Leder-Schickeria

und Fankultur

Für Gunter Pilz, Dozent und Sportsoziologe an der Uni Hannover, wird die Therapiediskussion völlig falsch geführt: „Die Fans merken, daß sie von ihren Stars nicht verstanden werden.“ Die kalte Distanz zwischen Leder-Schickeria und einer faszinierenden Fankultur führt zur Alleinbeschäftigung der Kuttenträger in den Kurven. Gunter Pilz: „Die Unerreichbarkeit und Ausgrenzung, durch Trennzäune scharf inszeniert, veranlaßt die Fans im Stadion, ihre Identifikationsobjekte außerhalb des Fußballerlebnisses zu suchen.“

Dozent Pilz (derzeit mit der Habilitation über Gewalt im Sport in den letzten Zügen) redet und schreibt sich seit Jahren den Ärger über die Ignoranz der herrschenden Kicker -Gesellschaft vom Leib. Zentrale Forderung an die abgedrehten Profis ist, die Lebenswelt der Fans zu erfahren, ihre Bedürfnisse, ihre Überlebensstrategien. Pilz: „Spieler können sich überhaupt nicht vorstellen, von gleichaltrigen Fans soziale Erfahrung zu lernen.“

Lernen könnte die Liga am Beispiel St. Pauli. Mitten aus dem Zentrum der Fußball-Lust meldet Trainer Helmut Schulte nach der Bayern-Schelte wegen Bananen-und Tomatenhagel für Tormann Aumann: „Wir lassen uns kein Fanproblem einreden. Ich bin gegen Fangnetze, gegen mehr Zäune, gegen mehr Polizei. Der einzige Weg ist die Auseinandersetzung mit unseren Fans.“

Der ungewollt zum „neuen König von St. Pauli“ stilisierte Sauerländer weiter: „Als ich das erste Mal zu einer Fan -Veranstaltung fuhr, hatte ich ein bißchen Bammel. Am Ende war ich restlos begeistert. Fans wollen nicht wissen, was wir für tolle Autos fahren. Sie wollen reden von ihren Gedanken, Gefühlen.“ Und Schulte sagt vor allem: „Ein Fußballer, der diese Erfahrung nicht macht, verpaßt etwas ganz Wichtiges in seiner Karriere.“ Schulte und einige Spieler brachen letzte Woche sogar zu einem Kneipenbummel mit Fans auf.

Die Konkurrenz wird dem Trainer vom Millerntor mit Kopfschütteln begegnen. Vorbild ist die DFB-Leitzentrale in Frankfurt, die für Fanprojekte noch weniger übrig hat als die dortige Eintracht (deren Fan-Zuständiger vornehmlich die Ressorts Werbung und Vertrieb betreut). Vor der EURO '88 hatte Präses Neuberger für Fans nur ein „Draufhauen“ parat. Sein Sicherheitsbeauftragter Waldemar Hennessen, Landgerichtsdirektor in der Printenstadt Aachen, bemerkte zu den Vorschlägen der Betreuung ausländischer Fans nach den Spielen: „Ordentliche Fans gehen nach dem Spiel in ihr Hotel.“ Und für Schmuddelkinder bleibt die Polizei.