Nationalismus

■ Der Serbe Milosevic spielt mit dem Feuer

Eine wesentliche Kraft zogen die kommunistischen Partisanen im Zweiten Weltkrieg aus der Idee einer geeinten Nation in Jugoslawien. Nicht nur die Befreiung vom kapitalistischen Joch wurde da versprochen, vor allem die Überbrückung der Unterschiede in dem Vielvölkerstaat mit seinem verwirrenden Gemisch aus Sprachen und Religionen. Der Kampf gegen die Kollaborateure und gegen die großserbischen Hegemonialgelüste waren entscheidend dafür, daß die Kommunisten damals in den Augen der Mehrheit in fast allen Landesteilen auch moralisch als integer galten. Viel von diesem Vertrauen wurde schon zu Lebzeiten des legendären Kroaten Tito verspielt, doch gelang es dem Staatsgründer immer wieder, die keimenden nationalen Konflikte unter der Decke zu halten. Und mit der sorgfältig ausgearbeiteten Verfassung von 1974 sollte ein Jugoslawien geschaffen werden, das Titos überragender Autorität als Mittler nicht mehr bedurfte.

Es ist alles anders gekommen. Unter dem Druck der Wirtschaftskrise wurden die Risse zwischen dem industriell entwickelten Norden und dem unterentwickelten Süden immer größer. Die Unterschiede zwischen den ehemals zum Habsburger –Reich gehörenden katholischen Republiken Slowenien und Kroatien und dem zum osmanischen Reich gehörenden orthodoxen Serbien, dem zu großen Teilen mohammedanischen Bosnien und den südlichen Republiken Montenegro und Macedonien scheinen fast unüberbrückbar geworden. Und da die Autorität des Bundes der Kommunisten durch wirtschaftliche und soziale Erschütterungen, durch die Korruption vieler ihrer Führer und das Scheitern des durch die Bürokratie geknebelten Selbstverwaltungsmodells gelitten hat, ist keine politische Kraft in Sicht, die wieder zu einer Klammer für das Land werden könnte.

Während in Slowenien die „kleine wirtschaftliche und politische Freiheit“ wächst und die slowenische Parteiführung ihre eigene Perestroika durchführt, hat Milosevic in Serbien auf die nationalistische Karte ohne Demokratisierung gesetzt. Die serbische Parteiführung möchte die von Tito eingebauten Sicherungen rückgängig machen, durch die Serbiens Stimme im Konzert der Republiken nicht zu laut werden sollte. Milosevic will eine Verfassungsänderung, die seiner Partei die unumschränkte Herrschaft über die autonomen serbischen Provinzen Wojwodina und Kosovo sichert. Und gleichzeitig möchte er deren Stimme in den gesamtjugoslawischen Gremien der Partei und des Staates für Serbien instrumentalisieren. Wenn jede andere Republik nur eine Stimme hat, könnte Serbien dann mit dreien sprechen. Deshalb müssen die Parteiführungen in den beiden Provinzen ausgewechselt werden.

Wenn sich nun auch die Bevölkerung im Kosovo erhebt und den abgesetzten Parteigrößen ihre Unterstützung gibt, heißt das aber noch nicht, daß sie ihre Führung liebt. Zu oft haben sich die albanischen Kommunisten als „Jugoslawen“ erwiesen und sind mit repressiven Mitteln gegen die eigene Bevölkerung vorgegangen. Auch in anderen Republiken hat der serbische Druck den fast abgewirtschafteten heimischen Parteiführern den Rücken gestärkt. Für Milosevic ist es deshalb schwer geworden, seine Ziele im Bundesstaat durchzusetzen.

Auch die Demonstration der Million in Belgrad kann daran nichts ändern. Die nationalistische Rhetorik hat rassistische Gefühle gegen die Albaner hochgeputscht. Ohne ein Programm der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Erneuerung ist der serbische Parteichef zu einem politischen Risiko für Jugoslawien geworden. Denn ohne ein solches Programm kann er seine Ziele nur verfolgen, indem er weiterhin auf den Nationalismus setzt. Die Hoffnungen mancher Belgrader Intellektueller auf eine Demokratisierungspolitik in Serbien sind jedenfalls auf Sand gebaut. Dafür spricht Milosevics autoritäres Vorgehen in der eigenen Partei. Und das ist eine Zukunftsaussicht, die für die Minderheiten in Serbien gefährlich ist.

Erich Rathfelder