: Der Friseur bricht sein Schweigen
■ Wedelmeiers, Kunickguts und die Partei, die Partei, die Partei...
Nun kann ich nicht mehr anders, sagte mir der Friseur, ich wollte mich von der offiziellen Politik zurückziehen, weil alles so durchsichtig geworden ist, dieses Karussell von Namen, Positionen und Skandalen, und dann dies. Jetzt werfen die Wedelmeiers und Kunickguts und Scherfleinzähler Nebelkerzen, daß es nur so raucht. Der Friseur hustete, als habe er selbst eine abbe-kommen. Jetzt tun sie alle so, als müßte die Partei die Lösung bringen, die Partei muß sprechen.
Die Partei, die Partei, die hat immer Recht, rezitierte ich den Schlager aus der Tätärä. Guck mal, fuhr mein Informant unbeirrt fort, wenn der Grobecker jetzt, wenn auch nur kommissarisch, das Innenressort übernimmt, dann könnte er doch, als späte Rache für 1918, den Banken den Auftrag geben, endlich mal die richtige Seite der Revolution zu unterstützen. Polizisten marschieren in die Bank für Gemeinwirtschaft und beschlagnahmen die Gelder für die gute Sache. Halt, rief ich, da liegt auch mein Geld, könnten die nicht mit einer anderen Bank anfangen.
Mensch, bist du kleinlich, der Friseur schüttelte den Kopf. Oder wenn der Franke das Innenressort übernimmt, dann würde der alle Polizisten zum Theaterbesuch verdonnern, oder ihnen Bücher vorlesen lassen, Gemälde ausleihen, die kämen gar nicht mehr zum Einsatz, so kunstbeflissen wären die dann.
Oder wenn der Geiselmeyer mal das Kunstressort übernehmen würde, dachte ich laut weiter, dann könnte er die Verarbeitung von Skandalen mit künstlerischen Mitteln unterstützen.
Einmal in Fahrt überschlugen sich unsere Gedanken: überhaupt wäre es am besten, wenn es einen Skandalsenator gäbe, mit der Meyerschen Interpretation von Verantwortung, also aussitzen (ist er übrigens gar nicht weit vom Bundes-Kohl entfernt, gab der Friseur zu bedenken). Also einen Skandalsenator, der alles und jedes auf sich nimmt, wird einfach besser bezahlt als die anderen, bekommt später auch kein Staatsbegräbnis, oder nur dritter Klasse, rettet aber über Jahrzehnte die SPD-Mehrheit. Sagen wir mal: Skandal am Uni-See, ach, da ist doch bestimmt wieder Senator XY schuld, Verschleierung von Bilanzen bei der Feuerwehr, klar, Senator XZ.
Deswegen muß jetzt die Partei ran, stoppte der Friseur unseren gemeinsamen Flug, denn die Partei soll ja dieses Geschiebe von Namen und Positionen satt haben, und zwar gründlich. Nur, meinte ich einwenden zu müssen, es klingt so, wenn die das alle sagen, als seien sie selbst gar nicht drin in dieser Partei, als stünden sie quasi außen vor?
Der Friseur kicherte. Also müssen wir warten, bis die Partei, die Partei gesprochen hat?, fragte ich kleinlaut, weil ich mir vom Treffen mit dem Friseur die komplette Liste der Neubesetzungen versprochen hatte. Das kann dauern, antwortete der Friseur, übrigens, dein Schlager aus der DDR, der geht so weiter: Die Partei, die Partei, die hat immer Recht gegen Ausbeutung und Unterdrückerei...
Der Friseur ließ mich stehen, und ich kratzte meine Glatze im Dunst der Nebelkerzen.
Euer Friseurbefrager Ali
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