Queen's speech enthüllt Visionen Orwells

Alljährlich trägt die Königin von England die Erklärung der britischen Regierung vor / Die Fassade von Prunk und Pomp verdeckt jede Ordnungspolitik Thatchers  ■  Aus London Rolf Paasch

Das alljährliche Ritual der Queen's speech, das ist die auf die Spitze getriebene Heuchelei des britischen Establishments, der vielsagende Offenbarungseid des anachronistischen Regierungssystems der konstitutionellen Monarchie. Die Königin redet, die Premierministerin hat ihr die Worthülsen in den Mund gelegt. Wo andernorts aufgeklärte Monarchen wie in Spanien die Demokratie retten, oder wie in den Niederlanden nach einer liberalen Rolle suchen, da besteht die britische Krone auch weiterhin auf Prunk und Pomp, damit die alte Ordnung um des Gottes der Anglikanischen Kirche willen nur nicht auseinanderbricht. Während nach außen hin viktorianische Werte propagiert werden, halten die Visionen Orwells - bereits in Paragraphen gefaßt - durch die Hintertür in das reparaturbedürftige Staatsgebäude Großbritanniens Einzug. Die Queen setzt an. Die taz berichtet, was zwischen den Zeilen steht:

Die Außenseiter: Die Regierung wird ein Melderegister für Fußball-Hooligans einführen. Die Kosten dafür werden viele Clubs der zweiten und dritten Liga in den Ruin treiben, während die Hooligans ihren Frust in Zukunft vor den Stadiontoren ablassen müssen. Doch die Maßnahme hat den Vorteil, daß sich Innenminister Hurd am Beispiel der Fußballfans in aller Ruhe anschauen kann, wie die bereits diskutierte allgemeine Meldepflicht am besten eingerichtet werden kann.

Die Kolonien: In Nordirland müssen demnächst alle Kandidaten für Parlaments- und Bezirkswahlen öffentlich der Gewalt abschwören und dürfen in den letzten fünf Jahren nicht mehr im Knast gewesen sein. Nach dem Auftrittsverbot für „Sympathisanten“ sogenannter extremistischer Organisationen in Radio und TV wird die Regierung mit diesem Eid die Aktivitäten der legalen, republikanischen Sinn-Fein-Partei, die als politischer Arm der IRA auftritt, weiter beschneiden. Sinn Fein dagegen freut sich bereits auf die unverhofften Propagandamöglichkeiten einer solchen Regelung. Der Verstoß ihrer Bezirksräte gegen den Eid zum Gewaltverzicht dürfte in Nordirland zu einer nicht abreißenden Kette von Nachwahlen führen.

Die Umwelt: Die Regierung Thatcher will Umweltschutz durch die totale Privatisierung. Zunächst die Elektrizitätsindustrie mit einem Wert von 60 Milliarden Mark, später im Jahr dann das Wasser. Erstere wird zu einer Erhöhung der Strompreise führen, letzteres vermutlich zu einer weiteren Verschlechterung der Trinkwasserqualität. Während die staatlichen Auflagen für die in zwei Stromerzeugungsunternehmen gespaltene Elektrizitätsindustrie beträchtlich sein werden - schließlich muß die Beibehaltung der unökonomischen AKW's gesetzlich abgesichert werden wird der „watch dog“, die Aufsichtsbehörde über die Wasserwerke, noch zahnloser sein als die verzottelten Corgis (Hofhunde) der Königin.

Die Sicherheit: Zunächst wird nach 200 Jahren offiziell zugegeben, daß es in Großbritannien einen Geheimdienst gibt: den MI5 gegen die Staatsfeinde des Inneren. Die Existenz des MI6, der für äußere Angelegenheiten zuständig ist, sofern er nicht gerade den MI5 bekämpft - bleibt dagegen weiter geheim. Die revolutionäre Enthüllung der Existenz des MI5 war unumgänglich geworden, weil die ehemaligen Agenten in einem nächsten Schritt zur „lebenslänglichen Vertraulichkeit“ verpflichtet werden sollen. Die Disziplinierung der Spione ihrer Majestät war wiederum nötig geworden, weil die verarmten Ex-Agenten den britischen Verlegern mit ihren enthüllenden Geheimdienstmemoiren die Bude einrannten, um wie unlängst der Autor des Spycatcher, Peter Wright, ihre kärgliche Staatspension aufzubessern. Viel bedenklicher allerdings ist die sogenannte Reform des „Official Secrets Act“, mit dem die drakonische Geheimhaltungsakte aus dem Jahre 1911 noch verschlimmbessert wird. Grundregel: Von der Speisekarte des Verteidigungsministeriums bis zum Arbeitsplan des königlichen Gärtners bleiben alle offiziellen Informationen und Dokumente geheim. Neuerung: Die bisherige Möglichkeit für einen Beamten, undemokratische, kriminelle oder staatsgefährdende Aktivitäten innerhalb des Staatsapparates zu enthüllen und diesen Akt der Untreue vor Gericht „im Interesse der Öffentlichkeit“ zu verteidigen, entfällt. In Zukunft machen sich selbst die Journalisten, die eine solche anonyme Enthüllung publizieren, strafbar. Seit Bekanntwerden dieser Verschärfung des Gesetzes weist die liberale Wochenzeitung 'Observer‘ ihre Leser mit einem Logo darauf hin, daß der betreffende Artikel demnächst nicht mehr erscheinen darf.