Keine Lehren aus dem Deutschen Herbst

Antwort zur Großen Anfrage der Grünen zur RAF vom Bundeskabinett verabschiedet / Weizsäcker hat nicht alleinige Entscheidungsgewalt über Gnadenakt, behauptet die Bundesregierung / Keine Aufhebung des Kontaktsperre-Gesetzes  ■  Von Max Thomas Mehr

Berlin (taz) - Im letzten Oktober, zehn Jahre danach, hatten die Grünen in einer Großen Anfrage die Bundesregierung nach „Lehren aus dem Deutschen Herbst“ gefragt. Sie wollten detailliert bis in die Geschichte der RAF-Verfolgung der siebziger Jahre zurück auch Ungereimtheiten, etwa über den Tod von Ulrike Meinhof, Andreas Baader, Jan Carl Raspe und Gudrun Ensslin in den Stammheimer Zellen, erklärt haben. Vor allem aber ging es ihnen darum, politische Versäumnisse und den Versuch eines politischen Dialogs mit der RAF zum Gegenstand einer Parlamentsdebatte zu machen. Die in der letzten Woche vom Bundeskabinett verabschiedeten Antworten zeigen, daß die CDU/FDP-Koalition in schroffer Weise die gesamte Problemsicht der Grünen ablehnt und letztlich in der Terrorismusbekämpfung die Haltung der SPD/FDP-Regierung im Herbst 1977 genauso mitträgt, wie sie die Fehler in der Auseinandersetzung mit der RAF staatlicherseits nicht sehen kann. Die Parlamentsdebatte Anfang nächsten Jahres läßt nicht viel Gutes erwarten. Im Gegenteil: Die Antworten, vom Innenministerium und Justizministerium formuliert, machen zum Beispiel deutlich, daß etwa in der von Weizsäcker in Gang gesetzten Begnadigungsdiskussion von Peter Jürgen Boock und Angelika Speitel keinesfalls der Bundespräsident die alleinige Entscheidungsgewalt über die Gnadenerweise haben soll. Bisher ging man davon aus, Weizsäcker allein sei für die Entscheidung zuständig und das Justizministerium habe lediglich formell die Gnadenentscheidungen gegenzuzeichnen. In der Antwort auf Frage 62, ob die Bundesregierung die Ausübung des Gnadenrechts gegen ehemalige RAF-Mitglieder auch zu früheren Zeitpunkten fördern würde, heißt es: „Die Bundesregierung, die einen Gnadenerweis gegenzuzeichnen hat, wird entsprechend den für das Gnadenrecht geltenden Grundsätzen jeden konkreten Einzelfall prüfen. Dies ist auch ein Gebot der Gleichbehandlung von Straftätern.“ Mit anderen Worten, die Entscheidung des Bundespräsidenten wird von Zimmermann und Engelhard nachgeprüft.

Aus den Antworten geht auch hervor, daß nicht daran gedacht wird, bestimmte, speziell wegen der RAF-Hysterie in den siebziger Jahren geschaffene Gesetze wie etwa das „Kontaktsperregesetz“ wiederaufzuheben. Noch nicht einmal die formalen Voraussetzungen für einen Dialog mit den Gefangenen der RAF und zwischen einzelnen Gefangenen sieht die Bundesregierung beeinträchtigt, trotz gegenteiliger Gesetzeslage. Auf eine entsprechende Frage, für einen Dialog mit den Gefangenen die gesetzlichen Bedingungen zu schaffen, heißt es lapidar, die inhaftierten RAF-Mitglieder „verfügen bereits jetzt durch Schriftwechsel, durch Vermittlung von Besuchern und von Verteidigern über vielfältige Möglichkeiten, miteinander zu korrespondieren. Die in der Frage enthaltene Annahme, daß die Häftlinge nicht untereinander in einem 'Dialog ständen‘, trifft daher nicht zu. Im übrigen wird darauf hingewiesen, daß über Kontakte zwischen Häftlingen nicht die Bundesregierung, sondern die hierfür zuständigen Gerichte und Vollzugsbehörden zu entscheiden haben“. Den Grünen aber ging es um eine den Dialog fördernde Gesetzeslage. Immer wieder sind Anwälte mit Strafverfahren wegen Unterstützung einer „terroristischen Vereinigung“ bedroht, wenn sie den Dialog, etwa zwischen Gefangenen, organisieren: Legendär sind die Urteile gegen die Anwälte Ströbele und Groenewold, denen nichts anderes vorgeworfen wurde, als ein Info-System zwischen den Gefangenen hergestellt zu haben.

Die Beantwortung der von Antje Vollmer initiierten Anfrage enthält aber auch interessante historische und aktuelle Details. So gab es zum Beispiel im Herbst 1977 nach den Erkenntnissen der Bundesregierung keinen Abgeordneten, der auch nur versucht hätte, die Gefangenen in Stammheim zu Gesprächen zu besuchen.

Des weiteren gibt jetzt eine regierungsamtliche Äußerung zur Frage der „Aussteiger“: Das Entgegenkommen des Staates für Aussteiger setzt keinesfalls voraus, daß diese ihre früheren Genossen verraten. In diesem Zusammenhang wird beispielhaft auf zehn Fälle verwiesen, darunter Till Meyer, Christof Wackernagel und Siegfried Haag. In einer anderen Antwort geht es ohne Namensnennung um noch akute Fälle von „Aussteigern“ im Knast: „Nach Kenntnis der Bundesregierung kann in vom Generalbundesanwalt geführten Strafverfahren bei drei Strafgefangenen aus dem RAF-Bereich davon ausgegangen werden, daß sie sich vom Terrorismus losgesagt haben.“ Nach anderen Informationen aus Bonn handelt es sich dabei neben Boock und Speitel auch um Verena Becker. Der taz sind allerdings mehr Aussteiger bekannt.