Wenn Richter Richter richten

Klage bayerischer Richter und Staatsanwälte gegen Freistaat zugelassen / Verwaltungsgericht erklärt „Maulkorberlaß“ als rechtswidrig / Urteil mit Pferdefuß  ■  Aus München Luitgard Koch

„Die dienstaufsichtlichen Maßnahmen sind aufzuheben“, verkündete gestern die 5.Kammer des Verwaltungsgerichts München. Damit bescheinigte das Gericht den höchsten Gerichtspräsidenten in Bayern - angefangen vom Verwaltungsgerichtshof, Oberlandesgericht bis hin zum Sozialgerichtspräsident -, rechtswidrig gehandelt zu haben. Grund: Die Behördenleiter hatten Dienstaufsichtsmaßnahmen gegen 21 bayerische Richter und Staatsanwälte verhängt. Zusammen mit über 500 Kollegen aus dem Bundesgebiet hatten sie in einer 'Zeit'-Anzeige jenen Kollegen und Kolleginnen ihren „Respekt“ bekundet, die Anfang Januar 1987 in Mutlangen mit einer Sitzblockade die Zufahrt zum US -Atomraketendepot versperrten. Damit war Bayern wieder einmal vorn. Denn in keinem anderen Bundesland bekamen die Staatsjuristen deshalb Ärger mit ihren Vorgesetzten. Mit der Anzeige „Richter blockierten Atomraketen“ sei gegen das Gebot zur Mäßigung und Zurückhaltung bei politischer Betätigung im öffentlichen Leben verstoßen worden, hieß es zur Begründung. Gegen diesen „Maulkorberlaß“ zogen ein Dutzend bayerischer Richter und Staatsanwälte vor Gericht, um für ihre politischen Freiheitsrechte zu kämpfen.

Das gestrige Urteil hat jedoch einen Pferdefuß. Zwar werden die Dienstaufsichtsmaßnahmen zunächst aufgehoben, da die Richter nach Ansicht des Gerichts weder ihren „Amtsbonus unzulässig in Anspruch genommen Fortsetzung Seite 2

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haben“ noch das Verhalten der Mutlanger Richter gebilligt hätten. Lediglich eine Respekt-Bekundung habe stattgefunden. Die sei jedoch nicht mit „sich solidarisch erklären“ oder gar mit dem Billigen des respektierten Verhaltens gleichzusetzen, wie die Dienstvorgesetzten behauptet hatten. Nach diesen Wortklaubereien zugunsten der Gemaßregelten schlägt das richterliche Urteil aber plötzlich einen Purzelbaum rückwärts. „Das bedeutet jedoch nicht, daß die Kläger keinen Pflichtverstoß begangen haben“, heißt es in der zweiten Hälfte der Begründung. Das Verhalten der engagierten Richter und Staatsanwälte ist nach Ansicht des Gerichts „pflichtwidrig“. Diese Pflichtwidrigkeit sei jedoch geringer einzustufen als der den Klägern zur Last gelegte Pflichtverstoß. Gleichzeitig stellte das Gericht fest, daß nun die dienstaufsichtsführenden Gerichtspräsidenten entscheiden können, ob sie die friedensbewegten Richter verwarnen wollen oder nicht. „Juristisch war dieser Pferdefuß weder notwendig noch zulässig“, erklärte der Münchner Anwalt und Verteidiger Gerd Tersteegen gegenüber der taz. Das Gericht hatte nur über die Anträge der Verteidiger zu entscheiden, ob der „Maulkorberlaß“ rechts und verfassungswidrig sei. Tersteegen sieht in der Urteilsbegründung sogar eine „Verschärfung der Maßstäbe“. Selbst der Landesanwalt des Freistaats bezeichnete das Urteil als „skurril“. Vom Urteilsspruch her hätten die Kläger gesiegt, inhaltlich sei jedoch dem Freistaat Recht gegeben worden.