Ohnmacht und Erfolg

■ „Der Wunsch des Schriftstellers nach Kommunikation ist so gefährlich wie löblich.“

(...) Selbst die größten Konformisten verschlingen Bücher, wohl auch Dramen, die sie schockieren und unbehaglich machen wollen. Brechts Dreigroschenoper war ein Beispiel, neuere deutsche Beispiele sind die Romane von Günter Grass. Dieser scheinbare Widerspruch ist sehr lehrreich. Der konformistische Bürger unserer Gesellschaft ist kein Dummkopf, er ist weder völlig unsensibel noch ohne allen Wirklichkeitssinn. Man kann sich darauf verlassen: Er weiß, daß nicht alles zum besten steht. Da wirkt jedes Buch, das ihn kritisiert, ohne ihn aber unwiderruflich aus seinen Gefühlsmustern herauszusprengen, als Sicherheitsventil, auch wenn es das gar nicht beabsichtigt. Es verringert die Spannung zwischen seiner Lebensweise und seiner Kritik an ihr; es ermöglicht ihm, seine Aufgeschlossenheit, sein Wirklichkeitsbewußtsein zu beweisen; seinen Willen, politischen Argumenten Gehör zu schenken. Darin erinnert es einigermaßen an eine gutgemeinte, aber unwirksame Predigt, die, sagen wir, in Wien oder in Paris vor etlichen Jahrhunderten vor wohlhabenden Kirchgängern gehalten wurde. Ergebnis: ein gewisses Gruseln, aber nicht der tiefe Aufruhr, den ein Savonarola oder einer der anderen großen Bußprediger bewirkt hätte. Wir sprechen oft vom Masochismus unseres Publikums, aber eine der glänzenden Theorien des Masochismus behauptet, Masochismus sei in Wirklichkeit keine einfache psychische Reaktion, ein Mann, der in den Kindheitsstadien seiner Libidolaufbahn bestraft und bedroht wurde, freut sich der Prügel, die er erhält, vielleicht deshalb, weil er empfindet, eigentlich solle er kastriert werden und komme daher sehr gut weg, indem er nur gepeitscht werde. Wie immer man dazu stehen mag; wenn man den sog. Masochismus des Kunst- und Literaturpublikums unserer Wohlstandsgesellschaften erklären will, stimmt das sicher.

Tatsächlich haben sogar die erschütterndsten Bücher, Filme, Dramen und Gedichte über die atomare Katastrophe eine Doppelwirkung. Sie warnen uns nicht nur, sondern gleichzeitig gewöhnen sie uns an den Gedanken an einen Atomkrieg und alles, was dazugehört; ganz ähnlich wie modernes Kinderspielzeug die Kinder dazu anhält, Langstreckenraketen und dergleichen als selbstverständlich zu betrachten. Selbst ein Film wie die Atomtodvision Dr.Seltsam verpackt das eigentliche Grauen in so viel Unterhaltung, daß die Gesamtmischung leichtverdaulich, ja angenehm wird. So wird uns die Bombe, die uns gut unterhalten hat, vertraut, fast eine Art freundliches Ungeheuer.

Literarische Massenkommunikationsmittel in alter Zeit waren Predigten und Mysterienspiele. Ihr Publikum hatte nichts dagegen, unterhalten zu werden, hätte es aber als Gotteslästerung empfunden, sie hauptsächlich nach ihrem Unterhaltungswert zu beurteilen. Die heutige zahlende Kundschaft aber ist zur Meinung erzogen worden, daß sie immer im Recht sei. Sie wird daher unter Umständen damit drohen, ihr Geld anderswo hinzutragen, wenn ihr nicht genau das vorgesetzt wird, was sie mag. (...)

Eine nichttyrannische Zensur, die mehr oder minder durch Überredung im Interesse des schließlichen Erfolgs funktioniert, ist in mancher Hinsicht noch gefähricher als die rohe, engstirnige Unterdrückung. Mit roher Unterdrückung stoßen wir geradlinig einfach zusammen, Kopf gegen Kopf. Die andere Zensurform aber erweckt die Hoffnung, durch Lavieren zuletzt den rechten Kurs halten zu können. Deshalb ist des Schriftstellers Wunsch nach Kommunikation ebenso gefährlich wie löblich. Denn zu jeder Kommunikation gehört eine Bereitwilligkeit, zu einem Einverständnis zu kommen. In vielen Ländern kann das sogar bedeuten, daß man sich über die Verwendung und Nicht-Verwendung von Worten einigt. (...)

Aus Frieds Rede an der Universität Princeton, gehalten 1966