Immer noch ein paar Grade ketzerischer

■ Erich Fried ist am Dienstag abend in Baden-Baden im Alter von 67 Jahren gestorben. Er hatte Krebs.

Er war einer der wichtigsten deutschsprachigen politischen Dichter. Als Jude 1938 von den Nazis aus Österreich vertrieben, lebte er seitdem in London. Trotzdem hat er sich Zeit seines Lebens auch hierzulande immer eingemischt, links wie rechts, seit der Studentenbewegung geschrieben und gedichtet gegen Sympathisantenhatz genauso wie gegen den billigen Antifaschismus. Über das Zusammengehören von Liebe und Politik im Leben und im Werk des Dichters äußert sich Hazel Rosenstrauch. In einer Passage seiner Rede an der US -amerikanischen Universität Princeton von 1966 geht Fried selbst auf Macht und Ohnmacht literarischer Störversuche ein.

Alle, die irgendetwas von Erich Fried wußten, wußten, daß er schwer krank ist und „bald“ sterben wird. Und alle waren erstaunt, wie er nicht nur trotz, sondern mit seinem Krebs gelebt hat, Operationen zwischen Lesungen, Fernsehdiskussionen und Liebesgeschichten einschob. Typisch Erich, auch noch gegen den zerfressenen Körper mit Willenskraft und Trotz zu kämpfen - ohne Verdrängung.

Salbungsvolles Nach-Rufen hat er sich nicht verdient, seine literarischen Leistungen sind in Büchern nachzulesen, Zeichnungen und Filme sind erhalten, über seine politische Rolle werden sich die Linken auch noch in den nächsten Jahren in die Haare kriegen.

„Wieder ein Mahner gestorben“, sagte mir die Freundin, etwas älter als Erich und eine scharfe Kritikerin mancher Position, die er vertrat, als ich von ihr erfuhr, daß er in Baden-Baden gestorben ist. Mahner, Aufrüttler, Vermittler von Wissens-, Denk- und Verhaltensmöglichkeiten und vor allem einem Habitus, der für Jüngere so beeindruckend war, daß sie in einer schwer akzeptierbaren Weise hingeflossen sind; in gefährlicher Nähe zu ergebenen Bewunderern - auch noch, wenn er mit der nächsten Bemerkung, dem nächsten Gedicht vor solcher Hingebung warnte.

In den letzten Jahren war es in gewissen Kreisen ehemaliger Bewunderer schick geworden, auf Erich Fried zu schimpfen, sich von dieser grauen Masse abzuheben, indem man seine Gedichte und Moralapostel-Rolle je nachdem schlecht, eitel oder gefährlich nannte.

Und er tat auch vieles, das gute und beste Freunde nicht mehr verstehen oder nur mit laienpsychologischen Deutungen ertragen konnten - wie seine Bekehrungsversuche des Neonazis Kühnen. Er war nicht nur Oberekel und eine Art Hauptfeind weil aus den „eigenen“ Reihen - für Zionisten. Bei aller lyrischen Preisung der Liebe hat er auch mit seinem Verbrauch von jungen Frauen vielen Feministinnen und Libertins Stoßseufzer entrungen.

Die Kunst, sich Feinde zu machen, hat immerhin so gut funktioniert, daß ungefähr zur selben Zeit, als offizielle Institutionen nun doch ihre Preise an ihn verliehen oder ihn, wie die Österreicher, reichlich spät als einen der Ihren reklamierten, neue Beschimpfer auftraten. Er hat auch für sie noch Verständnis und Erklärungen bereit gehabt, nicht zuletzt, weil ja Kritik sein Lebenselement war. Rechts und links und Etablierte versus Außenseiter lassen sich nicht als Kästchen verwenden, und ein hehres Wort über das, was er konnte und wollte, heben wir für geübtere Einordner auf. Aber was unbedingt hierher gehört und was nicht alle wissen, die ihn primär von öffentlichen Auftritten kannten (und was sich in kein Archiv packen läßt: Das sind die vielen Namen der Leute, denen Erich geholfen hat, die in seinem Haus in Dartmouth Road einliefen, für die er in seinem Gewusel Zeit fand und nicht selten auch Geld, Kontakte, Wohnungen, Ärzte organisierte. Die Telephonabhörer und Postkontrollierer müssen sich alle Finger abgeschleckt haben, weil es ein solches Kommunikationszentrum gab - aber es lag glücklicherweise in England, nicht in der Bundesrepubilk. Die Sorglosigkeit, mit der er Namen nannte und Kontakte vermittelte, war auch ein Stück der Versuchs, sich nicht von Paranoia die Lebensform vorschreiben zu lassen.

Er hat sein phänomenales Gedächtnis genutzt, um bei Diskussionen (mir fällt gerade die über Terrorismus ein) Namen und Ereignisse zu erwähnen, die seine Gegenspieler so gern vergessen wollten, und um zu helfen, wo immer er konnte. Auch Freunde, die sich nicht oft gemeldet hatten, kannte er, wußte von den Lebensumständen und fragte (meist besorgt), wie es denn mit der Beziehung geht, was der Freund/die Freudin macht, weil er bei allem politischen Engagement das „persönliche Glück“ noch immer am allerwichtigsten fand. Er war so altmodisch, daß er an all den Idealen festhielt, die nach und nach unzeitgemäß wurden. Das Zusammengehören von Politik hie und Liebe da, Kommunismus und Kunst, Moral und Analyse haben ihn besonders geprägt und beschäftigt, seit er als junger Schriftsteller im Exil von der kommunistischen Partei zum Agitprop verdonnert werden sollte und sich dagegen gewehrt hat.

Natürlich ist er als Festredner und Aushängeschild benutzt worden - na und? Er war immer noch ein paar Grade ketzerischer, als es diejenigen vertrugen, die ihn als belebendes Element einbauen wollten.

Jetzt sieht man vor allem diese Rolle als allseits bekannter Sprecher für die Politik, die Moral, das Gedicht, den Habitus, die eben nur noch bei einzelnen Leuten, nicht mehr in Gruppen oder gar einer sozialen Bewegung zu finden sind. Die Rolle ist ihm erst nach 1968 zugewachsen. Davor hat erjahrelang - weit weniger beachtet und gar nicht geehrt - in London gesessen und ist auch schon von verschiedenen Seiten exkommuniziert worden. Von den vielen Eigenschaften, die ihn zu einem Vorbild werden ließen, das kritisiert werden mußte, wollte, sollte, ist im Moment, mit dem Block auf den Gedenkstein, am wichtigsten: Er ist nicht zynisch geworden, er ist nicht bitter geworden, er hat Freundschaften und Liebe gepflegt, er hat sich immer engagiert, er hat an seinen Vorstellungen von einem Sozialismus mit menschlichem Antlitz immer gearbeitet, ohne zu resigieren - trotz der vielen Gründe, die er auch dafür hatte. Jeder Anlaß zur Verzweiflung hat seine Phantasie provoziert, immer wieder einen Weg zu finden, um an seiner Vorstellung festzuhalten.

Er war schon weit über fünfzig, als er mir als Replik auf eine ärztliche Diagnose, die mir Erwachsen-Werden vorschreiben wollte, sagte: „Ich hab immer noch eine spätpubertäre Neurose, sei doch froh.“

Wir werden versuchen, so gut wir es können, die kantigen, problematischen, schwerverdaulichen Eigenschaften weiter zu pflegen.