Seh'n oder Nichtseh'n

■ Nach der 5. Folge der Vorabendserie „Zirkus Humberto“ (noch sieben Folgen)

Das regionale Vorabendprogramm schleppt einen miserablen Ruf mit sich herum: Zwischen 18 und 20 Uhr von Montag bis Samstag herrschen die „Werbeblöcke“, und die werden in sogenannte „Vorabendserien“ hinein-, besser gesagt um sie herumgepflanzt. Also erwartet man von den Vorabendserien eigentlich nicht viel mehr als Einschaltquoten, und zwar um es mal platt und daher nicht ganz zutreffend zu formulieren - für eine Fernsehserienästhetik, die sich an Werbespotästhetik orientiert, ihr zumindest nicht zuwiderläuft. Das heißt: Die Nebenbei-Konsumierbarkeit der Vorabendserien ist im großen Ganzen ästhetisches Programm. Hinzu kommt, daß das Gros des Fernsehpublikums um 18 Uhr noch nicht vor dem Bildschirm hockt. Um diese Zeit erreicht man hauptsächlich Kinder, Arbeitslose, Hausfrauen, und für diese Zielgruppen werden erfahrungsgemäß nicht grade die größten Programm-Anstrengungen unternommen. Umso verblüffender, daß es dann immer noch Fernsehanstalten gibt, die im eigenen Haus gegen den eingekauften Einschaltquotenschund tapfer anproduzieren. Zum Beispiel Radio Bremen mit „Teufelsmoor“ und „Sommer in Lesmona“, der WDR mit dem „Fahnder“ oder der Bayerische Rundfunk mit seinem „Millionenbauer“. Und da die Vorabendproduktionen durch alle Anstalten wandern, bekommt man eben hin und wieder um diese Zeit Serien zu sehen, bei denen man bedauern muß, daß sie nur relativ wenige Zuschauer erreichen.

Dazu gehört „Zirkus Humberto“, eine zwölfteilige Co -Produktion vom Südwestfunk mit dem Westdeutschen Werbefernsehen und dem tschechischen Fernsehen. Gestern lief im Bremer Vorabendprogramm, von 18 bis 19 Uhr, die fünfte Folge, und daß erst jetzt von dieser Serie die Rede ist, liegt daran, daß auch ich normalerweise nicht schon um 18 Uhr meine Saugnäpfe gen Bildschirm fluppen lasse - leider, in diesem Fall. Aber für unsereinen gibt es zum Glück Möglichkeiten, nachträglich und im Vorlauf fernzusehen, so daß die kleine Lobeshymne, die hier allmählich vorbereitet werden soll, eine größere Basis hat als nur die 50 Zirkusminuten gestern vorabend.

Es ist die Geschichte einer Zirkusfamilie, von den Anfängen des Wanderzirkus „Humberto“ 1826 bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts, als der Zirkus nur noch eine Enkelin vorzuweisen hat, die als Tänzerin nach Berlin geht. Ihr Großvater ist in der gestrigen Folge als kleiner - und zum Verlieben entzückender - Junge mit seinem arbeitslosen Vater zum Zirkus gestoßen und sofort dieser Faszination verfallen. Aber was ist nun so schön, so anrührend an dieser Serie? Es ist die geruhsam-genaue Erzählweise, die sich der Vorabend -Hektik souverän verweigert; es sind die Bilder, die mit unendlich liebevoller Langsamkeit den romantischen Kindertraum vom Zirkus in Szene setzen, ohne im bloßen Romantizismus zu verharren. Jede Folge, die ich gesehen habe, bereitet einen Auftritt vor, mit aller körperlichen Qual, dem Ehrgeiz, auch der Eifersucht und Eitelkeit, die dem Glanz des Auftritts nicht mehr anzusehen sind. Die Menschen im „Zirkus Humberto“ begegnen uns nicht als pittoreskes Wandervölkchen - sie sind sorgsam gezeichnet als Menschen mit einer ganz besonderen Leidenschaft, die von sanfter Melancholie überschattet und von leisem Humor getragen wird. Schade nur, daß durch die Synchronisation der tschechischen Schauspieler manchmal ein zu pathetischer Ton durch dieses poetische Wirklichkeitsmärchen fegt.

Sybille Simon-Zülch