St.- Jürgen geht an die Nieren

■ Am Zentralkrankenhaus St.-Jürgen-Straße können von Montag ab Nieren transplantiert werden / Transplantate rar Freiwillige bieten Nieren gegen Bares an / Transplantation ist „ärztliche Routinearbeit“

Hohe Geldbeträge und das Zentralkrankenhaus St.Jürgen-Straße - diese Kombination riecht nach Skandal und Korruption. Aber diesmal ist das Geld wohl besser angelegt als auf den Konten des ehemaligen Verwaltungsdirektors Galla: Rund 2,7 Millionen Mark hat das erste Bremer Organtransplantations -Zentrum gekostet, das Gesundheitssenatorin Vera Rüdiger am Montag in den neu errichteten Räumen im Zentralkrankenhaus St.-Jürgen-Straße eröffnen wird. Anfang Dezember soll hier zum ersten Mal eine Niere ihren Besitzer wechseln.

Dann brauchen die EmpfängerInnen aus Bremen und Umland nicht mehr nach Hamburg, Hannover oder Kiel zu reisen, um diese Operation vornehmen lassen zu können. Nach Auskunft von Professor Kurt Drei

korn, aus Heidelberg „importierter“ Experte für Nierentransplantationen und Direktor der Urologischen Klinik in der St.-Jürgen-Straße, sind derartige Organübertragungen mittlerweile zur ärztlichen Routinearbeit geworden.

In mehr als der Hälfte aller Transplantationen wird von einer Funktionsdauer des Organs von über 10 Jahren ausgegangen. In aller Regel werden die Nieren aus frisch Verstorbenen entnommen. Übertragung von Lebenden kommen selten vor. Damit die Niere vom Empfänger nicht „abgestoßen“ wird, müssen die Blutzusammensetzungen von SpenderIn und EmpfängerIn weitestgehend übereinstimmen.

Die häufigsten Ursachen für Nierenversagen sind chronische Entzündungen in diesem Organ, zystische Veränderungen oder angeborene Störungen. Die mei

sten PatientInnen werden heute durch die sogenannte künstliche Niere, das Dialysegerät, behandelt und können damit am Leben erhalten werden. Diese Dialysebehandlung, bei der unter anderem erhöhte Reststickstoffe aus dem Blutkreislauf entfernt werden, muß dreimal wöchentlich erfolgen und dauert mehrere Stunden. Sie ist anstrengend und bindet die PatientInnen an einen Ort.

Diese Probleme können durch eine Nierentransplantation verhindert werden. Darüber hinaus gibt es eine Zahl von NierenpatientInnen, die die Dialysebehandlung nicht vertragen können. Aber auch mit einer Transplantation sind die Probleme einer Nierenkrankheit nicht völlig in den Griff zu bekommen. Eine lebenslange ärztliche Betreuung bleibt trotzdem notwendig, die Abstoßreaktion des Körpers muß mit

Medikamenten unterdrückt werden.

Aber es gibt noch ein weiteres Problem: Es gibt nicht genug Spendernieren. Jährlich kommen 2.500 bis 3.000 PatientInnen, die sich eine neue Niere wünschen, in die Arztpraxen und Krankenhäuser der Bundesrepublik. Demgegenüber standen im vergangenen Jahr lediglich 1.711 Spendernieren zur Verfügung. Dreikorn bezeichnet dies als zentrales Problem der Transplantationsmedizin: “ Die Anzahl der auf eine Transplantation wartenden PatientInnen nimmt viel rascher zu als die Transplantationsfrequenz. Dies hat zu durchschnittlichen Wartezeiten von zwei bis drei Jahren geführt.“

Desinformationen und Vorurteile führen zu weitgehender Zurückhaltung gegenüber dem Organspenden. Viele Menschen ha

ben Angst, bei einem Unfall nicht weitestgehend medizinisch versorgt zu werden, wenn sie sich vorher als Organspender gemeldet haben. „Absoluten Unsinn“ nennt Dreikorn diese Befürchtungen und versichert: „Zur Erhaltung von Menschenleben wird alles medizinisch Mögliche getan. Organentnahmen finden nur dann statt, wenn der Gehirntod des Patienten eingetreten ist.“ Dies ist der irreversible und totale Funktionsausfall des Hirns. Dieser Zeitpunkt, medizinisch eindeutig bestimmbar, wird von MedizinerInnen festgestellt, die nicht dem Transplantationsteam angehören. Verstorbene Menschen, die keine OrganspenderInnen sind, können von den Hinterbliebenen zur Organentnahme freigegeben werden.

Nach den Erfahrungen von Dreikorn müssen bei den Gesprä

chen mit Hinterbliebenen in solchen Fällen oft erhebliche emotionale Vorbehalte überwunden werden. Der Mediziner wünscht sich mehr Aufgeschlossenheit gegenüber diesem Problem

Nicht ganz unerwartete, aber unerwünschte Hilfe wird Dreikorn von Leuten angeboten, die mit ihren Organen Geld machen wollen. „Wöchentlich gibt es mehrere Anrufe von Leuten, die uns ihre Organe zum Kauf anbieten.“ Das sind zum Teil auch Menschen, die derzeit in Gefängnissen sitzen und mit einem solchen Verkauf einen Neuanfang begründen wollen. Die „Angebote“ liegen zwischen mehreren Tausend und eineinhalb Millionen Mark. Aber zu entsprechenden Geschäften kommt es nicht. Dreikorn lehnt solche Geschäfte grundsätzlich ab.

Heino Schomaker