... und Italiens Gewerkschaften vor einem Scherbenhaufen

Nach dem Rücktritt des Chefs der größten Gewerkschaft CGIL laufen die Mitglieder davon, die Jugend kommt erst gar nicht / Verschlafene Entwicklungen und falsche Allianzen  ■  Aus Rom Werner Raith

„Der arme Kerl“, befand Italiens nicht gerade gewerkschaftsfreundliche Tageszeitung 'La Repubblica‘, „mußte so ziemlich alles ausbaden, was ihm sein großer Vorgänger eingebrockt hat.“ Der „arme Kerl“, das ist der eben zurückgetretene Vorsitzende der größten italienischen Gewerkschaft CGIL, Antonio Pizzinato (56), und der „große Vorgänger“, das ist der ewig pfeifenrauchende, mittlerweile zum Senatsvizepräsidenten aufgestiegene ehemalige Gewerkschaftsboß Luciano Lama. Der galt den Italienern als das Symbol des manager- und industriefreundlichen Arbeitervertreters, bewährt in zarten Verhandlungen mit dem Kapital, dem er - faktisch Lamas einzige Großtat - einst die „scala mobile“ abgehandelt hatte, den automatischen Inflationsausgleich in der Lohntüte. Ansonsten hatte er allenfalls in spektakulären Scharmützeln gegen die 68er Studenten von sich reden gemacht. Unter Lamas Ägide war die CGIL ganz nach rechts abgedriftet, treu im Gefolge der regierungsfrommen, stets auf Ämter hoffenden Kommunisten.

Doch nun ist Lama schon seit zweieinhalb Jahren weg und damit die charismatische Einigungsfigur, und sein Sachwalter Pizzinato hat den Laden weder recht noch schlecht zusammenhalten können. Reihenweise sind ihm die Einzelgewerkschaften weggekippt, bei Fiat haben sie den von ihm gutgeheißenen Vertrag nicht unterschrieben, im Hafen von Genua haben sie seine Abgesandten hochkant hinausgeworfen, weil die nicht radikal genug waren; die „Comitati di base“, autonome Basiskomitees vorwiegend im öffentlichen Dienstsektor, setzen seit Jahren mit einer Handvoll Streikender wirkungsvollere Blockaden durch als Pizzinatos Generalausstände - und die Mitglieder verließen und verlassen in ganzen Hundertschaften die Gewerkschaft: Mehr als eine der einst über drei Millionen Aktiven ist futsch, und, schlimmer noch, kaum ein Jugendlicher tritt mehr ein. Das war und ist zwar bei den anderen Großgewerkschaften auch nicht viel besser, doch diese, den Christdemokraten (CISL) und den Sozialisten (UIL) nahestehend, hatten seit eh und je eine weniger bedeutende Funktion als die GCIL - dessen Kämpen nämlich bildeten zusammen mit dem PCI-Mitgliederstamm das Fußvolk, das in Wahl- und anderen Kampagnen Plakate klebte, Flugblätter verteilte und Omas und Opas zu den Demonstranten karrte.

Spätestens hier gingen nicht nur in den Gewerkschaftszentralen die Alarmlichter an - auch im kommunistischen Parteihauptquartier klingelte es Sturm. So zog das Zentralkomitee denn vom glücklosen Pizzinato die schützende Hand weg, und dem blieb am Ende, nach monatelangem Betteln um Verbleib und Hoffen auf bessere Zeiten, nichts als der Rücktritt.

Die Arbeiterklasse

läuft davon

Dabei spiegelt der desolate Zustand der CGIL nichts anderes wider als die Krise der kommunistischen Linken als solcher. Während sich die DC-nahe CISL und die von den Sozialisten bestimmte UTL längst auf neue Klientel eingerichtet haben, Facharbeiter, High-Tech-Personal und Manager zu sich heranziehen, phantasieren CGIL-Obere auch heute noch von der „Einheit der Arbeiterklasse“ und den „gemeinsamen Interessen aller Werktätigen“. Tatsächlich ist die CGIL-Geschichte der letzten zehn Jahre jedoch eine einzige Kette von Mißgriffen, verfehlten Allianzen und noch verfehlteren Gegnerschaften. So geriet den - damals noch nach außen hin einigen Gewerkschaften CGIL, CISL und UIL 1980 ein Generalstreik bei Fiat zum regelrechten Fiasko: 40.000 Werktätige zogen durch die Straßen Turins und demonstrierten - gegen die Gewerkschaften. CSIL und UIL verzichteten fortan auf solche Machtproben, die CGIL verkündete: „Die Zeit der Massenausstände ist vorbei, wir werden nur sektoral zuschlagen“ - und rief prompt kurz danach erneut zum Generalstreik auf, der ebenfalls zusammenbrach. Da sie gegen die Industriebosse nichts ausrichten konnten, legten sich die CGIL-Gewerkschafter nun mit einem Ersatzfeind an - den kleinen Kaufleuten und Selbständigen, denen sie gesellschaftsschädigende Steuerflucht vorwarfen.

Tatsächlich zahlen diese Gruppen kaum Einkommenssteuer, weil sie stur ihre Bilanzen fälschen und die Steuerbehörden nicht in der Lage sind, das nachzukontrollieren. Da andererseits aber die Arbeiter ihre Steuern brav bezahlen sie werden ihnen ja vom Lohn abgezogen - setzte die CGIL die Regierung so unter Druck, daß diese massive Kontrollen gegen die Selbständigen durchsetzte. Doch Hunterttausende sind im Grunde nur Langzeitarbeitslose, die irgendein winziges Lädchen oder eine Espressobar aufgemacht haben, um wenigstens irgend etwas zu tun - die Steuerkontrollen haben viele von ihnen runiert. Konsequenz: Als 1984 der erste sozialistische Ministerpräsident Bettino Craxi die Zustimmung der Industrie zu seiner Wahl mit der Abschaffung der gleitenden Lohnanpassung honorierte und der PCI zusammen mit der CGIL ein Referendum dagegen anstrengte, wandten sich die Selbständigen und Kaufleute rachsüchtig dagegen - und kippten so das Volksbegehren. Andererseits verschlief die CGIL-Führung dann, soweit möglich, alle wichtigen neuen Themen:

Umweltschützer empfand der große Lama ebenso wie sein kleinerer Nachfolger Pizzinato und ein Großteil der Funktionäre als lästige Läuse im Pelz der Beschäftigungspolitik, Frauenfragen endeten regelmäßig auf rein deklamatorischer Ebene, für die Massenarbeitslosigkeit von Jugendlichen (derzeit zwei der drei Millionen „disoccopati“) hat die CGIL genausowenig Rezepte wie die Regierung.

Da sollen nun geistige Frischzellen dem CGIL auf die Sprünge helfen. Ein Rat von vier „Weisen“ soll dem Direktorium sagen, wo es tunlichst langgehen soll, und ein neuer Mann nebst teilerneuerter Führungsspitze soll die ausgebrüteten Ideen realisieren. Wer dabei allerdings an den allfälligen Generationenwechsel gedacht hat, irrt; Bruno Trentin, designierter Nachfolger Pizzinatos und bisher Föderationssekretär, ist volle sechs Jahre älter als der bisherige Boss. Innerhalb der politischen Landschaft wird er dem PCI-Linken Ingrao zugeordnet; doch wie sich das in der künftigen Gewerkschaftsarbeit materialisieren soll, darüber weiß noch niemand etwas Genaues. Trentin jedenfalls schweigt sich darüber aus. „Der Mann“, erklärte einer seiner Kollegen uns Journalisten, „spricht einfach nicht gern zum Volk.“ So recht ein Mann für eine Massenbewegung...