Wackersdorf-Urteil kann HTR in Hamm kippen

Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zur WAA stellt den Weiterbetrieb des Hochtemperaturreaktors THTR 300 in Hamm in Frage / Genehmigungsverfahren für neues Zwischenlager auf dem Kraftwerksgelände muß voraussichtlich neu aufgerollt werden  ■  Von Gerd Rosenkranz

Berlin (taz) - Die Sorgen der Betreiber und Genehmiger von Atomanlagen mit der Entsorgung derselben sind Legende. Am Beispiel des THTR in Hamm-Uentrop wird gerade dokumentiert, wie wenig selbst ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts - eine sogenannte „höchstrichterliche Instanz“ - sowohl den nordrhein -westfälischen Wirtschaftsminister Jochimsen als auch den Bundesreaktorminister Töpfer interessiert, von den Betreibern ganz zu schweigen. Der Gegenstand der sich abzeichnenden Auseinandersetzung, die auch innerhalb der SPD noch Wellen schlagen könnte, dreht sich um einen Flachbau, in dem die Hammer Atomer ihren radioaktiven Müll „zwischen„lagern wollen. Um dieses Lager möglichst reibungslos über die Bühne zu bringen, schlug eine Koalition aus Landesregierung und Betreibern den Tenor eines Bundesverwaltungsgerichts-Urteils in den Wind, das eine Beteiligung der Öffentlichkeit bei der Genehmigung einer derartigen Anlage am Beispiel WAA zwingend vorschrieb. Auch für Hamm muß gelten, was in Wackersdorf verlangt wird. Der nächste Konflikt zwischen der nordrhein-westfälischen Landesregierung und dem Bonner Umweltministerium ist schon vorprogrammiert.

Als Horst Sendler, Präsident des Bundesverwaltungsgerichts, am 4.Juli „im Namen des Volkes“ alle Hoffnungen auf einen Baustopp in Wackersdorf zunichte machte, rieben sich die Herren der Atomgemeinde erfreut die Hände. Einmal mehr waren die Gegner der Wiederaufarbeitungsanlage vor Gericht aufgelaufen. Doch seit die höchstrichterliche Entscheidung (AZ: BVerwG 7 C 88.87) schriftlich vorliegt, hat sich das Blatt gewendet.

Auf dem Gelände des Hammer Prototyp- und Vorzeigereaktors, in dem seit etwa drei Jahren einige hunderttausend „Brennelement-Kugeln“ auf Probe und mehr schlecht als recht Atomstrom erzeugen, haben die Betreiber einen turnhallengroßen Bau errichtet. Darin soll ab 1989 ein Großteil des beim Betrieb des Meilers anfallenden Atommülls verschwinden. Genauer: etwa 300.000 inzwischen angestaute tennisballgroße, schwach- und mittelradioaktive Kugeln, die im Kern des Reaktors als sogenannte Absorber- und Moderatorelemente dienen, aber auch - wie es in den Genehmigungsunterlagen heißt - „geringste Spuren“ an Uran und Plutonium. Dieses Zwischenlager gehört zu jenen Notmaßnahmen, mit denen die Atomwirtschaft die schleppende Umsetzung der Töpferschen Entsorgungspläne auffangen will.

Was dem Bauwerk - die Betreiber tauften es wortgewaltig und irreführend „Transportbereitstellungshalle“ - fehlt, ist die Betriebsgenehmigung. Die sollte, darin waren sich die THTR -Betreiber und die in Sachen Schneller Brüter schwer zerstrittenen Regierungen in Bonn und Düsseldorf einig, möglichst geräuschlos und vor allem möglichst rasch über die Bühne gehen. Die Zeit drängt, weil der THTR voraussichtlich in der ersten Hälfte des kommenden Jahres jene Grenze von 600 sogenannten „Vollasttagen“ erreicht hat, nach denen Nordrhein-Westfalens Wirtschaftsminister Jochimsen seine 1985 erstmals erteilte vorläufige Betriebserlaubnis erneuern muß. Ohne den Zusatzstauraum für die radioaktive Hinterlassenschaft geht in Hamm dann nichts mehr, weil der „Entsorgungsnachweis“ fehlt.

Unter Berufung auf höchstrichterliche Entscheidungen unter anderem das Wyhl-Urteil des Bundesverwaltungsgerichts von 1986 - entschied sich die Düsseldorfer Landesregierung im Einvernehmen mit den Betreibern des Hochtemperaturreaktors gegen das sonst übliche aufwendige atomrechtliche Genehmigungsverfahren mit verbindlicher Beteiligung der Öffentlichkeit. Statt dessen sollte die Halle nach den Bestimmungen der Strahlenschutzverordnung genehmigt und in Betrieb genommen werden. Zuständig wurde auf diese Weise Richard Grünschläger, Regierungspräsident im sauerländischen Arnsberg. Seine Behörde ist direkt dem Düsseldorfer Arbeitsminister Heinemann unterstellt.

Daß alles ganz anders kam, war zunächst das Verdienst einer ausgesprochen rührigen AKW-Gegnerschaft in der Region. Bürgerinitiativen, Grüne und die SPD-regierte Stadt Hamm forderten vehement ein atomrechtliches Genehmigungsverfahren. Schließlich erlitt Hermann Heinemann, der auch dem mitgliederstarken SPD-Bezirk westliches Westfalen vorsitzt, im Juni dieses Jahres eine herbe Niederlage, als sich sein eigener SPD-Bezirk mit überwältigender Mehrheit den Forderungen der AKW-Gegner anschloß. Was folgte, war eine Befriedungsaktion, in deren Verlauf die Düsseldorfer Landesregierung eine nach der Strahlenschutzverordnung nicht vorgesehene, freiwillige Öffentlichkeitsbeteiligung und die Auslegung der Antragsunterlagen in Arnsberg zusagte. Mehr, schrieb Heinemann noch am 31.August bedauernd an die Genossin und Hammer Oberbürgermeisterin'Sabine Zech, mehr sei leider „aus Rechtsgründen“ nicht drin gewesen.

Das Bundesverwaltungsgericht sieht das nun ganz anders. In der Wackersdorf-Entscheidung vom 4.Juli bestehen die Berliner Richter - übrigens im vollen Einvernehmen mit den Betreibern der WAA - auf einer atomrechtlichen Genehmigung für das sogenannte Brennelemente-Eingangslager, für die Anlagenwache und sogar für die Befestigungsanlagen in der Oberpfalz. In seiner Begründung definiert das Gericht so präzise wie nie zuvor, was gemeint ist, wenn im Atomgesetz der Begriff „Anlage“ auftaucht. „Der Schutzzweck des Atomgesetzes verlangt, den gesamten auf Erzeugung, Bearbeitung, Verarbeitung, Spaltung oder (Wieder-) Aufarbeitung von Kernbrennstoffen gerichteten Arbeitsprozeß mit jeweils allen nuklearspezifisch gefährlichen Arbeitsschritten, auch vorbereitenden und nachbereitenden wie der Lagerung (Hervorhebung der Red.), und die diesen Aufgaben dienenden Einrichtungen der einheitlichen atomrechtlichen Anlagengenehmigung (...) zu unterwerfen.“ Für „bedenklich“ halten es die Berliner Richter, „eine zu einem bestimmten Zweck verbundene (Gesamt-)Anlage“, von „verschiedenen Behörden genehmigen“ zu lassen.

Konsequenzen aus dem eindeutigen Spruch des Bundesverwaltungsgerichts hat bisher allein Hermann Heinemann gezogen, der dem Druck der „Basis“ hautnah ausgesetzt ist. Es spreche „nun sehr viel dafür“, erklärte sein Gruppenleiter Dieter Fischbach gegenüber der taz, daß eine „rechtssichere“ Genehmigung der umstrittenen Halle nur noch nach Atomgesetz erfolgen könne. Diesen Sinneswandel habe man auch dem Reaktorminister in Bonn mitgeteilt. Doch aus dem Hause Töpfer tönt es ausgesprochen schroff zurück: Das Berliner Urteil enthalte „keine für die Fachwelt überraschend neuen Auslegungskriterien für den Anlagenbegriff“, teilte Töpfers Staatssekretär Clemens Stroetmann dem Düsseldorfer Arbeitsminister mit Datum vom 6.Oktober mit. Man möge, bitteschön, im Genehmigungsverfahren fortfahren wie geplant. Dieser Auffassung ist auch (noch) Heinemanns Kabinettskollege, Wirtschaftsminister Reimut Jochimsen. Das beantragte Zwischenlager stehe „nicht im direkten Sicherheitszusammenhang mit dem Kraftwerk“, heißt es in seinem Ministerium. Deshalb reiche zur Genehmigung die Strahlenschutzverordnung. Pikant daran: Die Argumentation wiederholt präzise die des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, dessen Urteil die höchsten Richter in Berlin mit ihrer Entscheidung vom Juli kassierten.

Sollten Töpfer (CDU) und Jochimsen (SPD) den Sinneswandel in Heinemanns Ministeriums nicht doch noch nachvollziehen, wird die „Transportbereitstellungshalle“ unweigerlich die Gerichte beschäftigen. „Wir werden alle rechtlichen Möglichkeiten ausschöpfen“, sagt Christa Bredner. Die Gegnerin des Hammer Atommeilers sitzt mit Hermann Heinemann im SPD-Berirksparteivorstand westliches Westfalen.