Wenn Kinder und Enkel nicht mehr kommen...

■ ...gibt es viel Arbeit für die ambulante Altenpflege / Aus dem Alltag einer Sozialarbeiterin in der Neuen Vahr Nord / Personalrat fordert 10,5 neue Planstellen gegen die Arbeitsüberlastung / Senat soll kommende Woche entscheiden

Montag morgen kurz vor neun Uhr im Büro des Amtes für Soziale Dienste in der Neuen Vahr-Nord. Mechthild Amman, Sozialarbeiterin und zuständig für die Betreuung alter, pflegebedürftiger Menschen, bereitet sich auf die Hausbesuche vor. Hausbesuche machen nur einen Teil ihrer Arbeitszeit aus: Ansonsten sitzt sie am Schreibtisch, koordiniert die Betreuung der Alten, beantragt Pflegegelder, führt Statistiken.

Und die Statistiken sind eindeutig: In Bremen leben etwa 124.500 Menschen über 60 Jahre, 46.000 sind älter als 75 und dementsprechend auf Hilfe angewiesen. Bis zum Jahr 2005 wird der Anteil der über 60jährigen, heute 23 Prozent der Gesamtbevölkerung, gar auf 32,5 Prozent ansteigen.

Der erste Weg führt Frau Amman an diesem Morgen zu einer 85jährigen Frau, die in einem heruntergekommenen Hochhaus lebt. Frau M. leidet an der Alzheimerschen Krankheit, eine altersbedingte Gehirnschwäche, die sich in Sprachstörungen, Desorientierung, und zunehmender Demenz (Schwachsinn) äußert, und mit der völligen Geistesabwesenheit, eventuellen Lähmungen und versiegendem Lebenswillen endet. Ihre Umgebung nimmt sie nicht mehr wahr, auch nicht die Tochter, die sie zusmmen mit ihrem Ehemann seit fast zehn Jahren pflegt.

Das Ehepaar, selber schon Ende Fünfzig, ist mittlerweile ausgelaugt von der Rund-um-die-Uhr-Betreuung. Da Frau M. keinen Tagesrhytmus hat, nachts wie tags schläft oder wach ist, haben ihre Tochter und deren Mann

keine Ruhe. Nun hat das Ehepaar eine Pflegehilfe benachrichtigt, um endlich mal „raus zu kommen“. Frau Amman stellt Fragen, füllt Formulare aus, die den Zustand der kranken Frau festhalten. 750 Mark pro Monat unabhängig von vorhandenem Vermögen und Einkommen, zahlt das Sozialamt für eine solche, zusätzliche Betreuung.

Frau M. ist nur ein Beispiel für die fast 50.000 Menschen in Bremen über 60 Jahre, die mit Angehörigen zusammenleben und mehr oder weniger auf deren Hilfe angewiesen sind. Mehr als die Hälfte der alten Menschen aber lebt allein - mit zunehmender Tendenz. Für diese Menschen ist der öffentliche ambulante Sozialdienst der geradezu lebenswichtige Ersatz für die Familie.

Zum Beispiel die 91 Jahre alte Frau K., nächste Adresse für die Sozialarbeiterin Amman. Sie leidet außer an altersbedingten Gebrechen an keiner Krankheit. Frau K. hat das Glück, daß sich Frau Kasper, eine Nachbarschaftshelferin, täglich mehrere Stunden um sie kümmert, „wie eine Tochter oder besser Enkelin“, sagt die alte Frau. Frau Kasper ist schon geübt, da sie ihre eigene Mutter bis zum Tod gepflegt hat; ihre Kinder sind aus dem Haus, und sie wollte wieder etwas Wichtiges tun. So hat sie sich beim Sozialdienst für ältere Menschen gemeldet und geriet an Frau K. Ein Glücksfall für diese, denn gerade für Alte, die alleine leben ist es wichtig, daß die Pflegerinnen persönlichen Kontakt hegen, da sie oft einzige Ansprechpartnerin sind und die alten Menschen vor der Vereinsamung bewahren können.

Die Kinder und Enkel hingegen kommen immer seltener. „Was sollen die auch schon bei einer alten Frau“, sagt Frau K. mit Verbitterung. So wäre sie ohne

ihre Helferin schon völlig vereinsamt, hätte keine Ansprechpartnerin müßte in ein Alterheim. Ein Gedanke gegen den sie sich sträubt. Denn Altersheim, das

steht für sie wie für viele andere alte Menschen für Abschieben und Isolation.

Ziel des Amtes für Soziale Dienste ist es, möglichst vielen

alten Menschen ein Leben wie Frau K. in ihrer gewohnten Umgebung zu ermöglichen. Das geht nur mit Hilfe von angestellten PflegerInnen und NachbarschaftshelferInnen. Letztere sind schwer zu finden und verdienen auch nur 9 bis 11 Mark netto die Stunde.

Auch in der Sozialbehörde selbst gibt es viel zu wenig Stellen, meint der Personalrat. Seit die sozialen Dienste 1987 neu geordnet wurden, kommt auf 6.200 alte Menschen lediglich eine Sozialarbeiterin, das ist eine Fachkraft je Stadtteil. Daß der Sozialdienst bisher noch nicht zusammen gebrochen ist, liege daran, daß „die SozialarbeiterInnen weit über ihre Arbeitszeit hinaus den pflegebedürftigen alten Menschen zur Seite standen.“

Deshalb fordern die Personalräte zur Absicherung der dringend notwendigen Betreuung der zum großen Teil über 80 Jahre alten und körperlich stark behinderten Menschen mindestens 10,5 neue Stellen. Dies sei gerade die Absicherung der notwendigsten Betreuung in jedem Stadtteil. Sozialsenator Scherf hat die Forderung an den Senat weitergegeben. In der kommenden Woche soll darüber entschieden werden.

An der grundsätzlichen Arbeitssituation von Frau Amman wird dies aber wenig ändern. Ehe sie am nachmittag wieder in ihrem Büro sitzt, sind noch einige Hausbesuche zu absolvieren. Die Vielfalt der Arbeit, die sie bis zur Neuordnung der sozialen Dienste hatte, als sie nicht nur mit Alten, sondern auch mit Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen zu tun hatte, ist endgültig vorbei.

Anke Dücker