VERFREMDUNG MUß SEIN

■ Roy Lichtenstein im Amerika-Haus und bei Silvia Menzel

Die drei Federn stehen vom grinsenden Mondgesicht ab, wie bei einem gerupften Huhn, zwei Pfeile fuchteln als Arme durch die Gegend, als Oberkörper schlenkert ein Dreieck, die Beine sind etwas bananenartig ausgefallen. „Indianer“, eine Zeichnung von Roy Lichtenstein von 1951. Die Linien des Zeltes schwanken unsicher und betrunken: Ddas ganze Strichgerüst droht zusammenzukrachen. Scheinbar mit der Ungerechtigkeit eines Kindes, das die Zunge in den Mundwinkel geklemmt, fest auf den Bleistift drückend seine Strichmännchen entwirft, hat Lichtenstein wilde Indianer und Ritter in klapprigen Rüstungen gezeichnet. Doch seine Imitationen ursprünglicher, primitiver und archaischer Zeichenkunst sind geschickt in halbabstrakte, konstruktive Kompositionen gefügt. Klee und Picasso lassen grüßen.

Das Amerika-Haus Berlin zeigt Lichtensteins frühe Werke aus den Jahren 1944-1960. Die Herkunft des späteren Pop-Artisten ist hier bisher wenig bekannt.

Lichtenstein, 1923 in New York geboren, studierte 1940-1942 bei Professor Hoyt L. Shermann, der eine spezielle Methode des Zeichenunterrichts entwickelt hatte. Bei dem „Zeichnen im Dunkeln“ ging es um das möglichst schnelle Ausbilden ganzheitlicher Visionen von nur kurz beleuchteten Gegenständen. Dies war ein äußerst pragmatisches und radikales Training, um die Kommunikation zwischen Auge und Hand zu schulen. Die Suche nach der ökonomischsten Kurzformel für einen Gegenstand taucht in Lichtensteins Rückgriffen auf die Zeichensprache der Comics und der Werbung wieder auf.

Von 1951 bis 1957 arbeitete er als Graphiker, technischer Zeichner und Designer für Fenster und Eisenbleche. In dieser Zeit begann er mit der ironischen Verfremdung gedruckter Vorlagen. Aus Illustrierten und Büchern suchte er sich die emotional geladene amerikanische Historienmalerei für seine Demontagen. In seinen Versionen ist dem „Tod des General Wolfe“ und den „Indianern verfolgt von der amerikanischen Kavallerie“ jeder Heroismus genommen. Er verkürzt und vereinfacht die Figuren in ein paar tanzenden schwankenden Strichen und flicht daraus ein neues, oft sehr komplexes Gefüge von Linien und Flächen. Aus den großartigen Erzählungen der Historienbilder werden holprige Abzählverse, deren Melodie man nicht mehr aus dem Ohr verliert.

Abstrakte Farbkompositionen, informelle Kritzeleien und schließlich zwei expressive Zeichnungen von Bugs Bunny und Mickey Mouse leiten Ende der fünfziger Jahre zu einer neuen Periode über. Deren Produkte aus der Blütezeit der Pop-Art sind bei Silvia Menzel zu sehen. Die vergrößerten Comics trafen in ihrer unverschleierten Banalität den elitären Anspruch von Kunst wie ein Schlag in die Magengrube. Doch Lichtenstein ging es nicht nur um die Provokation; die Bildinhalte waren durch ihre Austauschbarkeit beliebig geworden - ebenso wie auf Comic-Bilder konnte er auch zu Tode reproduzierte Werke von Picasso, Marc oder Matisse als Material verwenden. Immer reiner kristallisierte er dabei die Formen der Gestaltung heraus. In einer Serie von drei Bildern „Cow with abstract landscape“ ist zuerst die Kuh schwarz-gestreift, ihr Schatten schwarz, die Berge weiß, die Wiese gelb, der Himmel blau-gestreift. Dann würfelt er diese Elemente, ohne ihre anteilige Mischung zu verändern, zu einem abstrakten Bild um. Man sieht noch dasselbe austarierte Ensemble und sieht es doch nicht mehr. Montagen aus Siebdruck und Metallfolie markieren den Höhepunkt an dekorativer Form und inhaltlicher Entleerung.

Lichtenstein hat ein besonderes technisches Verfahren für seine Gemälde entwickelt. Kleine Entwurfszeichnungen, mit verschiedenen Codes für die Farben, für die gerasterten und gestreiften Flächen legt er auf ein Episkop und projeziert sie auf die Leinwand. Das Verhältnis der Linien und Flächen verändert sich bei der Übertragung der Zeichnung zum Gemälde nicht, sondern wird in seinen Proportionen beibehalten. Bevor er mit dem Ausmalen der Flächen beginnt, schneidet ein Assistent aus Papier, das mit Lichtensteins standardisierten Farben bemalt ist, passende Stücke zu, um die Wirkung des Endproduktes zu testen. Schon in dieser kontrollierenden Methode widerspricht Lichtenstein dem Bild vom um den Ausdruck ringenden Maler und setzt damit seine Zitate aus der vorgefundenen Flut medialer Abziehbilder adäquat um.

Kathrin Bettina Müller

Roy Lichtenstein. Frühe Werke 1944-1960 im Amerika-Haus, bis 12. Januar, sowie Roy Lichtenstein in der Galerie Silvia Menzel, bis 24. Januar.

P.S. Wer im Amerika-Haus einen Katalog zur Ausstellung erbittet, wird mit der Auskunft beschieden, ein Buch von A. Busche zum Preis von 140,-DM zu erwerben.