Vorläufiger Datenschrott

■ Berlins Innensenator Kewenig stellt vorläufige Ergebnisse der Volkszählung '87 vor / Über 2 Millionen EinwohnerInnen / 30.000 AusländerInnen weniger als erwartet / „Wohnungssituation“ ausgespart / „Krasser Mißerfolg“ für Boykotteure / AL: Alles Datenschrott

Mehr als anderthalb Jahre nach dem Stichtag zur Volkszählung (25. Mai '87) wartete Innensenator Kewenig gestern mit „vorläufigen“ Ergebnissen auf. Demnach leben in Berlin jetzt mehr Menschen, als die amtliche Bevölkerungsfortschreibung bisher ausgewiesen hatte: 2.014.121 Menschen haben hier ihren Hauptwohnsitz.

Daß Berlin nun die Zwei-Millionen-Grenze überschritten hat und deshalb rund 91 Millionen Mark mehr vom Bund erhält, bezeichnete Kewenig ebenso als „erfreuliches Ergebnis“ wie den geringeren Anteil von AusländerInnen in der Stadt. 223.569 wohnen hier, das sind rund 30.000 beziehungsweise 11,1 Prozent weniger, als nach dem Einwohnerregister bisher angenommen. Als „besonders erfreulich“ wertete Kewenig, daß Berlin, „was das Mitmachen angeht, an der Spitze liegt“. Nur 4.000 Berliner, beziehungsweise 0,2 Prozent hätten die Abgabe der Bögen verweigert. Außerdem gebe es in Berlin keine Anhaltspunkte, daß durch das Falschausfüllen die Qualität der Volkszählung beeinflußt worden sei.

Positiv hob der Innensenator Kreuzberg hervor, das mittlerweile zum „jüngsten Bezirk“ mit den relativ meisten Kindern und „extrem niedrigen Anteilen“ an alten Leuten avanciert ist. Über die Hälfte der Kreuzberger sind zwischen 15 und 45 Jahre alt. Bei den Erwerbslosen deckt sich die Volkszählungsstatistik weitgehend mit den Zahlen des Arbeitsamtes: 93.542 Personen sind demnach in Berlin zur Zeit ohne Arbeitsplatz.

Die Problembereiche würdigte gestern der Innensenator mit keinem Wort. Obwohl ein bundeseinheitliches Veröffentlichungsverfahren abgesprochen war, gab es keine Informationen zur Wohnungssituation und Arbeitsstättenzählung. Während in anderen Bundesländern mit den Zahlen aus der Volkszählung die allgemeine Wohnungsnot beklagt wird, soll dieses Problem in Berlin vorerst unter den Teppich gekehrt werden.

„Wir wollen hier nur Zahlen präsentieren, über die wir sicher sind“, so Innensenator Kewenig. Der Präsident des Statistischen Landesamtes (Sta La), Appl, räumte ein, daß es „in der Tendenz weniger Wohnungen gibt, als man meint“. Detaillierte Zahlen wolle man später vorlegen.

Die Volkszählung, so Kewenig mit Blick auf die Zukunft, habe „verläßliche und überraschend neue Grundlagen für eine vernünftige und planende Sozial- und Arbeitsmarktpolitik“ geschaffen. Ob dies allerdings mit dem kürzlich verabschiedeten Haushaltsetat zu vereinbaren ist, dazu äußerte sich der Innensenator nur vage. Angesichts der größeren Bevölkerungszahl müßten die Haushaltsdaten wohl „überdacht“ werden.

In einem Bereich aber wird alles beim alten bleiben: „Die Tatsache, daß es weniger Ausländer gibt, wird keine Änderung in der Ausländer- und Asylpolitik mit sich bringen“, erklärte Innensenator Kewenig. Die AL nannte die Ergebnisse gestern „gesammelten Datenschrott“. Daß Berlin im Gegensatz zu den Bundesländern keine Daten zur Wohnungs- und Arbeitsstättenzählung veröffentlicht habe, sei ein Beweis für das Scheitern der Volkszählung. Mit den vorgelegten Eckdaten wolle man von dieser Tatsache nur ablenken.

bim