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Mit dem Teufel am Tisch

■ Über Kultur und Niveau der Zensoren Südafrikas

Adewale Maja-Pearce

Vor einigen Monaten fragte ich den Direktor des South -African-Publications-Appeal-Board (der Revisionsausschuß der südafrikanischen Zensurbehörde), Professor J.C.W. van Rooyen, ob er sich vielleicht vorstellen könnte, einen Artikel für uns zu schreiben. Eine Antwort erwartete ich nicht. Ich hatte mit demselben Gefühl ohnmächtiger Wut geschrieben, mit dem ich irgendwann einmal die Südafrikanische Botschaft in London angerufen hatte, um dort schließlich nur einen dieser Speichellecker anzubrüllen, nachdem ich einen Artikel über die 14jährige Happy Cleopatra gelesen hatte, die ohne konkreten Tatvorwurf drei Monate im Gefängnis festgehalten wurde - nach Paragraph 29 des Gesetzes zur Inneren Sicherheit von 1982.

Hinter meiner Wut steckte Oberflächlichkeit, die verletzen sollte - Seichtigkeit führt zu schnellen Resultaten, und wie erwartet verlor der Botschaftsangestellte sofort die Contenance. Ich war höchst irritiert durch das vor mir liegende Text-material der Appealboard-Entscheidungen, das eine Auswahl verschiedenster Publikationen betraf, von Pornoheften über politische Schriften und literarisch ernstzunehmende Romane bis zu Unterrichtsfilmen. Und was mich an ihnen irritierte war nicht nur, daß die Differenziertheit des Urteils es unmöglich machte, die Zensoren als Banausen abzutun, sondern auch, daß genau diese Zensoren auf einer (sauber-)offiziellen Ebene teilhatten an einem politischen System, das schlicht unmenschlich war.

Aber der Reinfall war ganz auf meiner Seite. Ich hätte eben nicht glauben dürfen, daß Regierungszensoren, nur weil sie tun, was sie tun, intellektuell Zurückgebliebene sind, wie verführerisch - und tröstlich - diese Vorstellung im Zusammenhang mit Südafrika auch wäre, und wie angemessen es auch die politische Wirklichkeit der Apartheid gespiegelt hätte. Ich wußte immerhin schon - durch die einige Jahre zurückliegende Lektüre des Urteils über Solschenizyns Der erste Kreis vom Sekretariat der sowjetischen Schriftstellervereinigung -, daß man zwar dem Apparat offizieller Zensur gegenüber sehr reserviert sein, aber dennoch für die literarischen Urteile dieser Beamten einige Sympathie haben kann. Zum Beispiel stimmte ich mit dem Urteil des Sekretariats völlig überein, daß Solschenizyns Stalinbild „jämmerlich naiv und simpel“ ist, auch wenn ich weiterhin fand, daß die Gesamteinschätzung des Romans als „antihumanistisch“ purer Unsinn war.

Nun ist der Fall Südafrikas etwas komplizierter, auch weil die ideologischen Probleme des Ost-West-Gegensatzes hier nicht existieren. Ansichten über die Sowjetunion - oder eben die Vereinigten Staaten - hängen größtenteils von der politischen Position ab, die man hat. Auf Südafrika dagegen reagiert man moralisch. Apartheid ist böse, Punkt. Da ist kein Platz für Beschönigungsformeln und noch weniger für solcherart Semantik, mit der der Appealboard Handel treibt, angefangen bei seiner eigenen Definition dessen, was Zensur ist: „Zu der Methode der Entfernung von Teilen eines Buches wird nur gegriffen, wenn Vertreiber anbieten, dies zu tun oder es ohne Widerstand akzeptieren. Vertreiber dazu zu zwingen, Teile eines Buches zu entfernen, wäre Zensur im vollen Umfang des Wortes, eine Praxis, die dem Geist der Publikationskontrolle in Friedenszeiten zuwiderlaufen würde.“

Sich auf eine abstruse intellektuelle Debatte einzulassen, zu der das oben Zitierte verlocken könnte, wäre obszön angesichts des 14jährigen Mädchens, das drei Monate gefangengehalten wird, damit andere einen gewissen Lebensstandard aufrechterhalten können: Swimmingpools, Autos und Häuser mit Dienerschaft, die ihre Unterwäsche wäscht und für sie kocht.

Was einem jedoch wirklich quer in der Kehle stecken bleibt, ist die Tatsache, daß südafrikanische Zensoren differenzierte und kluge Urteile über Literatur fällen können, obwoh doch das politische System, dem sie dienen und wenn auch nur aus Ignoranz („Ich tue nur meinen Job“) -, auf der Grundlagegesetzlicher Diskriminierung von Menschen funktioniert.

Es fing schon mit der Enttäuschung darüber an, daß man es hier nicht mit einer Bande von Stiernacken zu tun hatte, die bei der Erwähnung des Wortes „Sex“ gleich Anfälle kriegen enttäuschend deshalb, weil wir so gerne eine bestimmte Form sexueller Repression auf dieselbe Stufe stellen wie unangenehmere Formen politischer Reaktion. Der Zensor Südafrikas konnte sogar mit dem Problem homosexueller Prostitution, wie es schien, ganz unparteiisch umgehen wie im Falle des Filmes Christiane F., der aufgrund seiner Behandlung dieses Themas kaum „für Prostitution oder Homosexualität wirbt“ und daher als „nicht erwünscht“ klassifiziert wurde. Auch ein Buch über weibliche Masturbation, A Woman's Experience of Sex, wurde zugelassen, da es, nach Meinung des Zensors, „höchst informativ ist, in einem ernsthaften Ton geschrieben und in jeder Hinsicht für Frauen hilfreich zu sein scheint“.

Die Zensoren waren sogar in der Lage, einen Unterschied zu machen zwischen Intention und Ergebnis. Um ehrlich zu sein: ihre Besessenheit von „erigierten Brustwarzen“ und „entblößtem Schamhaar“ in der Beurteilung eines Foto-Buches von australischen Stränden mag etwas absurd scheinen; wenn sie aber darauf hinweisen, daß der Leser von Life's a Beach zum Voyeur gemacht wird, da die Fotografierten offenbar nichts von der Kamera wußten, erkennt man, daß es genau dieses voyeuristische Element ist - und die tiefere Schicht von Korruption, die es impliziert -, das der Pornographie ihren besonderen Charakter von Häßlichkeit verleiht. Wichtiger für unsere Zwecke noch ist der Vergleich, der im selben Urteil angestellt wird, Bo von John Derek - ein weiteres Buch dieser Art -, dessen „hoher künstlerischer Wert“ trotz erigierter Brustwarzen und entblößtem Schamhaar im zusammenfassenden Urteil entschieden verteidigt wird.

Und vielleicht muß man sogar sagen, daß wir selbst schon zu gleichgültig geworden sind gegenüber all den Softpornos, die in den Regalen unserer Zeitungsläden ausliegen - zwischen 'Yachting Monthly‘ und 'Classic Motor Cars‘, als wäre alles das ein und dasselbe. Ich bin kein bißchen überzeugt davon, daß ich meinen Töchtern zumuten will, sich jedesmal als Objekt männlicher Phantasie sehen zu müssen, sobald sie Süßigkeiten kaufen gehen; und ich sehe auch nicht, daß die europäische Versteifung auf solche entwürdigenden und aufreizenden Bilder dieser Gesellschaften „liberaler“ und „toleranter“ macht gegenüber jenen, in denen solche Zeitschriften verboten sind. Der Appealboard spricht, in einem Urteil, vom Widerwillen über „die krasse Schamlosigkeit (oder Widerlichkeit) des Eingriffes in die Intimsphäre des weiblichen Körpers“, und es ist zumindest fragwürdig, ob nicht bereits eine relativ „harmlose“ Publikation wie der 'Playboy‘ einen solchen schamlosen Eingriff darstellt. Wie dem auch sei, wir wissen, daß Hugh Hefner von keinem höheren Ideal getrieben ist als dem des Geldmachens, die raison d'etre des professionellen Pornographen. Ich jedenfalls möchte mich nicht gern in der Position befinden, für sein Recht auf Publikation seiner Zeitschrift zu kämpfen - und vielleicht könnte man mich gar von den Gründen überzeugen, warum sie verboten gehört.

Der südafrikanische Zensor ist nicht einmal mehr irritiert durch Darstellungen von „Sex across the colour line“ - wie altmodisch das klingt! -, wie man am Fall der Verbotsaufhebung für das Buch Sexual Life Between Blacks and Whites sehen kann. Voller Naivität hat man verständlicherweise angenommen, daß zumindest auf diesem Gebiet die Ausschußmitglieder der kollektive Schlaganfall treffen würde - sie sind alle gute Afrikaner: Mr. JJH Malherbe (Vorsitzender), Reverend PR van der Merwe, Professor CE Pretorius, Reverend JJ de Jager; und dennoch findet man hier unerwartetes Lob für den „nüchternen und unemotionalen Stil“ des Buches und seine „einwandfreie Sprache“.

Noch erstaunlicher ist es, beim Durchblättern des Buches eine ähnliche Raffinesse in der Behandlung politischer Angelegenheiten zu finden. Ein ursprüngliches Verbot hatte sich auf die in dem fraglichen Buch enthaltene Forderung nach „immer mehr Freiheit“ gegründet. Der Revisionsausschuß nun wies dieses Argument mit der Frage zurück, warum eine solche Forderung „als im mindesten moralisch verwerflich beurteilt werden solle“.

Auf dieser Ebene politischer Feinheiten bewegt sich ein Urteil nach dem anderen. Der Vertrieb einer Ausgabe der Zeitschrift 'Peace‘ zum Beispiel, die ein Treffen zwischen dem früheren Präsidenten Südafrikas, BJ Vorster, und dem ermordeten Black-Consciousnes-Politiker Steve Biko satirisch vorführt, wurde mit der Begründung wieder erlaubt, daß „bissige und emotionale Sprache ein typisches Merkmal südafrikanischer Politik (sei) und ein gewisses Maß von Großzügigkeit für politische Diskussion, Kritik und Veränderungswünsche erlaubt sein muß“. An anderer Stelle wird das Verbot einer Schallplatte wieder aufgehoben, deren Liedtexte zuvor als subversiv gegolten haben („We will fight for the right to be free! We will build our own society“), da nach Meinung des Revisionsausschusses „die Sicherheit des Staates kein so zerbrechliches Gut ist, ...daß ein triviales Lied voller Klischees ihm schaden kann“.

Natürlich hat der Ausschuß ganz recht: die Texte sind trivial und voller Klischees, und es wäre wirklich absurd zu glauben, man würde durchs Zuhören anfällig für Gewalttaten. Außerdem spielt der Ausschuß durch die Zulassung der Schallplatte sein eigenes, schlaues Spielchen in der Politik - und sei es nur, indem er solche Produktionen nicht ernstnimmt. Man kam damit einer fruchtlosen Diskussion zuvor, indem man die Opposition entwaffnete, noch bevor sie ihrer Wut Luft machen konnte; so zum Beispiel im Fall des Romans A Separate Development von Christopher Hope, in dem man argumentierte, „einen Ruf nach Subversion und Aufruf hierin zu lesen, würde bedeuten, einen Ernst in die Lektüre des Romans zu legen, die der Roman selbst nicht rechtfertigt, oder ihm eine Wirkung zuzuschreiben, die er einfach nicht erreicht“.

Beim Lesen dieser Texte mußte ich wieder an ein Fernseh -Interview denken; da wurde ein Scheriff irgendeiner hinterwäldlerischen Kleinstadt im amerikanischen Süden während der Menschenrechtsbewegung der späten fünfziger und frühen sechziger Jahre befragt. Nach allem unartikulierten Gegrunze anderer Scheriffs aus anderen Kleinstädten im Süden, dem wir bis dahin ausgesetzt worden waren, konfronierte man uns hier plötzlich mit einem Mann, der seelenruhig erklärte, er habe alle Reden von Mahatma Gandhi und Martin Luther King gelesen, um besser mit dieser neuen Bedrohung der herrschenen sozialen Ordnung umgehen zu können. Und er ging mit ihr um: „Hör mal zu, Junge“, hatte dieser Scheriff zu einem der „boys“ gesagt, die er hinter Schloß und Riegel gesteckt hatte, „dies hier ist ein Fall von mind over matter: I don't mind and you don't matter“ (ein nicht zu übersetzendes Sprachspiel; etwa: „Ein Fall von Bewußtsein-bestimmt-das-Sein: mir macht's nichts und du bist nichts.“ A.d.Ü.).

In der Tat - nichts weiter Persönliches: er hatte seinen Job zu tun, und er tat ihn. Woanders schlugen seine Kollegen den Leuten die Schädel ein und erreichten damit das genaue Gegenteil von dem, was sie erreichen wollten.

Die unheimliche Mischung aus Pragmatismus, Zynismus und mitleidloser Intelligenz dieses Sheriffs geht über das rein Menschliche hinaus. Und indem er dieselbe Mischung von Charakteristika auch von seinen Gegnern erwartete, leugnete er das Recht, auf das man sein Anliegen letztlich immer zurückführt: die Menschlichkeit selbst. Martin Luther King konnte die Gründungsväter so oft zitieren, wie er wollte, das brachte ebensoviel wie der Versuch, Professor van Rooyen klarzumachen, daß Apartheid eine Sünde ist.

Welchen Reim sollte ich mir also auf die Antwort machen, die ich zwei Monate nach meinem Brief erhielt?

Sehr geehrter Herr,

für Ihren Brief vom 16.Juni 1988 haben Sie vielen Dank. Ich habe 'Index on Cenorship‘ abonniert und finde es eine interessante Lektüre. Als Justizbeamter kann ich jedoch nicht mit einem Artikel dazu beitragen.

Freundliche Grüße

Professor JCW van Rooyen

Das stand sauber getippt auf einem offiziellen blaßblauen Briefbogen mit der Aufschrift „Republik Südafrika“ in Englisch und Afrikaans rechts und links des Landeswappens. Falls es meine Intention gewesen sein sollte, ihn zu reizen oder wenigstens aus dem Tritt zu bringen - wie flüchtig auch immer: selbst das winzigste Gefühl des Zweifels hätte mir schon genügt -, dann hatte ich mich eindeutig verkalkuliert; und falls der übertriebene Respekt seiner Anrede, „Sehr geehrter Herr“, keine Beleidung sein sollte, dann war die Höflichkeit, mit der er auf meine feinsinnigen Kränkungen antwortete („für Ihren Brief haben Sie vielen Dank“) mindestens beunruhigend.

Ich fühlte mich ein bißchen wie der nigerianische Schriftsteller Wole Soyinka, der eines Abends zufällig über Radio South Africa stolperte und seinen Namen neben anderen von afrikanischen - nicht aber südafrikanischen Schriftstellern genannt hörte: Mister Lenrie Peters, Mister Ngugi wa Thiong'o, Mister Wole Soyinka usw. usw. Da wurde reichlich viel protokollarisches Gewicht gelegt auf diesen doch so gewöhnlichen Aufputz egalitärer Distanziertheit, und demonstrative Abwehr von jeglicher herablassender Familiarität war spürbar... Es hieß eben genau nicht Mister Alex La Guma, der „farbige“ Romanschriftsteller, der im kubanischen Exil starb. Alex La Guma war effektiv unsichtbar geworden - eindeutig wieder ein Fall von mind over matter -, ebenso, wie die Einkerkerung von Happy Cleopatra durch die differenzierten Äußerungen des Zensurdirektoriums implizit geleugnet wurden.

Es kann in der Tat keine Antwort auf Professor van Rooyens Brief geben, genausowenig wie es einen Dialog mit dem South African Publications Appeal Board auf dieser Seite der Apartheid geben kann. Der südafrikanische Zensor versucht, eine moralische Position mit politischen Begriffen zu verteidigen - und das ist die unausgesprochene Lüge im Kern seines Briefes. Eine Debatte zu führen hieße selbst schon, am Bösen teilzuhaben, das man verdammt.

Publications Appeal Boards, Digest of Decisions, hg. von G. Marcus und L. Mangan (Centre for Advanced Legal Studies, University of the Witwatersrand), 28 May 1988

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