IWF-Massenkontrollen füllen BKA-Dateien

Die vom Bundesgerichtshof gerügten bundesweiten Kontrollstellen im Vorfeld der IWF-Tagung in Berlin brachten der Bundesanwaltschaft ein Bewegungsbild der Szene / Polizeiliche Beobachtung in rechtlicher Grauzone / Gespeicherte Daten sollen nicht gelöscht werden  ■  Von Jürgen Gottschlich

Berlin (taz) - Am Montag dieser Woche hat der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe die Rechtmäßigkeit der auf Antrag von Generalbundesanwalt Rebmann durchgeführten Massenkontrollen bezweifelt. Neben der Frage, unter welchen Voraussetzungen zukünftig Kontrollstellen eingerichtet werden dürfen, ist nun vor allem strittig, was mit den Daten passiert, die die Polizei bei den vergangenen Kontrollen erhoben hat. Für den Sprecher der Karlsruher Bundesanwaltschaft, Prechtel, stellt sich dieses Problem erst gar nicht: „Weder auf Anordnung der Bundesanwaltschaft noch des Ermittlungsrichters am Bundesgerichtshof ist der Paragraph 163d Absatz eins der Strafprozeßordnung (die sogenannte Schleppnetzfahndung, die zur Speicherung der Kontrollierten ermächtigt) zur Anwendung gekommen. Also sind keine Daten erhoben worden, folglich brauchen auch keine gelöscht werden.“ Eine klare Auskunft, mit der eine Geschichte als erledigt angesehen werden könnte, die durch die spektakuläre Stellungnahme des Bundesgerichtshofs Anfang der Woche noch einmal ins allgemeine Bewußtsein gerückt wurde.

Worum geht's? Am Montag hat der Bundesgerichtshof eine Stellungnahme veröffentlicht, in der die Entscheidung eines Ermittlungsrichters desselben Gerichts, bundesweite Kontrollstellen auf Antrag der Bundesanwaltschaft für die Zeit vom 24.Mai bis 2.Oktober dieses Jahres zuzulassen, als falsch eingestuft wurde. Die Entscheidung des Richters sei mit dem Gesetzeszweck des Paragraphen 111 Strafprozeßordnung „kaum zu vereinbaren“. Zweck dieses Paragraphen ist es, im Anschluß an ein Attentat, das vermutlich von einer „terroristischen Vereinigung“ ausgeführt wurde, Bundesanwaltschaft und Polizei die Möglichkeit zu geben, Kontrollstellen einzurichten, um die Fahndung zu unterstützen. Deshalb hatte Generalbundesanwalt Rebmann seinen Wunsch nach Massenkontrollen an jedem beliebigen Ort der BRD mit der Fahndung nach Mitgliedern der RAF, namentlich Horst und Barbara Meyer, begründet. Nach Auskunft der Bundesregierung vom 17.Oktober war aber der zeitliche Rahmen der Kontrollen „insbesondere durch den IWF-Kongreß und die Vorbereitungsdauer für dagegen gerichtete Aktionen bestimmt“. Genau diesen Zusammenhang hatte die Bundesanwaltschaft immer bestritten.

Doch nicht nur die Auskunft der Bundesregierung, auch die Fakten sprechen gegen Rebmann. Die Stellungnahme des BGH geht auf die Beschwerde eines Bürgers zurück, der am 8.Juni in Gelsenkirchen in eine Kontrollmaßnahme geriet. Der Beschwerdefüher Michael Voregger zur taz: „Am 8.Juni besuchte ich in Gelsenkirchen eine Veranstaltung, in der über die Rolle der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds für die Dritte Welt informiert wurde. Im Anschluß an die Veranstaltung wurde mein Auto von Zivilpolizei gestoppt und durchsucht. Auf mehrmaliges Nachfragen wurde mir erklärt, ich sei in eine Terroristenfahndung geraten, die die Bundesanwaltschaft auf Grundlage des Paragraphen 111 Strafprozeßordnung veranlaßt hätte. Ich wurde durchsucht und meine Personalien in ein mobiles Computerterminal eingegeben.“ Später erfuhr Michael Voregger, daß die Veranstaltung bereits durch Zivilpolizei observiert worden war und mehrere Teilnehmer im Anschluß kontrolliert wurden. Er könne sich kaum vorstellen, so Voregger zur taz, daß die Polizei damit gerechnet hat, auf einer öffentlichen Veranstaltung Mitglieder der RAF verhaften zu können.

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage nach den im Rahmen der Kontrollen erhobenen Daten in einem anderen Licht. Tatsächlich sind entsprechend den Angaben der Bundesanwaltschaft nicht sämtliche Daten aller kontrollierten Personen gespeichert worden. Dazu hätte es der zusätzlichen Genehmigung zur Anwendung eben jenes „Schleppnetzparagraphen“ 163d StPO bedurft, dessen Gebrauch vom Gesetzgeber jedoch sehr restriktiv bestimmt wurde. Für die Intention der Bundesanwaltschaft war diese massenweise Datenerhebung aber auch gar nicht notwendig. In einer Sitzung des Berliner Innenauschusses am 17.Oktober machte der Berliner Landespolizeidirektor Kittlaus, zuständig für die Koordination der Polizeieinsätze anläßlich der IWF -Tagung, deutlich, worum es eigentlich ging: Durch den Abgleich der bei den Kontrollstellen erhobenen Daten mit den Dateien des BKA, so Kittlaus, seien in Berlin bei etwa 100 Personen „Treffer“ erzielt worden. Diese Personen wurden dann in der „Arbeitsdatei PIOS - politisch motivierte Straftaten“, die das BKA im Auftrag Berlins eingerichtet hatte, „eingestellt“. Nach Auskunft des Berliner Datenschutzbeauftragten Kerkau enthielt diese Datei Ende September 3.000 personenbezogene Datensätze. Die Datei ist ein Unterpunkt der BKA PIOS-Datei - Landfriedensbruch und verwandte Straftaten (APLF) - die „Störerdatei“, in der das BKA die sogenannten „reisenden Chaoten“ registriert. Treffer gab es demnach immer dann, wenn eine der im Rahmen der Massenkontrollen überprüften Personen bereits zur polizeilichen Beobachtung ausgeschrieben war beziehungsweise als Begleitperson einer der ausgeschriebenen Personen auftauchte. Ein Verfahren, das der Hamburger Datenschutzbeauftragte Schapper für „höchst problematisch“ hält. Bislang, so Schapper zur taz, geschieht die polizeiliche Beobachtung „ohne rechtliche Grundlage in einer breiten Grauzone“.

Das Ergebnis dieser polizeilichen Arbeit in der „Grauzone“ ist leicht vorstellbar. Durch die ab Mai im Bundesgebiet und Berlin durchgeführten Kontrollen wolle sich die Bundesanwaltschaft einen Überblick über das zu erwartende „Störerpotential“ verschaffen, mit dem Ende September in Berlin zu rechnen war. Zwar nimmt der Berliner Datenschutzbeauftragte Kerkau an, daß die Unterdatei mittlerweile wieder gelöscht ist - man muß aber davon ausgehen, daß die „Treffer“ mit einem IWF-Vermerk in der ständigen APLF-Datei registriert sind. Das BKA will sich dazu nicht äußern. Auskunftsbefugt sei nur der Sprecher der Bundesanwaltschaft, Prechtel. Doch wie bereits erwähnt existiert für Prechtel das Problem gar nicht. Da angeblich nicht gespeichert wurde, braucht auch über die Löschung der Daten nicht verhandelt zu werden.