Antarktis: Bohrturm oder Pinguin?

■ Rohstoff-Abkommen der Antarktis-Staaten wird unterzeichnet / 25. November als Stichtag für den Südpol

Der kälteste, trockenste, sauberste und der von jeder Zivilisation entfernteste Kontinent der Erde steht zur Disposition. Hier herrschen Temperaturen bis zu 80 Grad minus; hier wachsen Flechten und Moose, hier leben Pinguine und Seevögel, hier findet man Algen, Krill und Schwämme, Wale, Robben, Fische und Quallen. Nur einer war hier nie vorgesehen: der Mensch. Das könnte bald anders werden. Mit dem Rohstoffabkommen wird jetzt der Abbau der Rohstoffe am Südpol geregelt.

Seit Freitag liegt im neuseeländischen Wellington ein knapp 100seitiges Dokument in fünf Sprachen zur Unterschrift aus: die „Konvention zur Regelung der auf antarktische Bodenschätze gerichteten Aktivitäten“. Hinter diesem qualvollen Titel verbirgt sich eine gesetzliche Grundlage für den Abbau von Mineralien auf dem antarktischen Kontinent. Nun sind also wir (die Menschen) oder sie (die Multis und Regierungen) dabei, die gierigen Hände nach den letzten weitgehend unberührten Landschaften dieser Erde auszustrecken. Steht die Vernichtung antarktischer Ökosysteme unmittelbar bevor?

Um Sinn und Konsequenzen der Konvention einschätzen zu können, muß man die politische Geschichte menschlicher Aktivitäten in der Antarktis betrachten.

Ein erfolgreicher Vertrag

Im Gefolge von Entdeckungsreisen und Expeditionen in den eisigen Kontinent erhoben bis Mitte dieses Jahrhunderts sieben Staaten territoriale Ansprüche auf ein mehr oder weniger großes Stück aus dem antarktischen Kuchen. Zusätzlich behielten sich die beiden Supermächte USA und UdSSR einen zukünftigen Gebietsanspruch vor, während die restlichen Staaten der Welt bis heute keinerlei Souveränitätsrechte über antarktischen Territorium anerkennen. Die Begründung solcher Ansprüche sind so einfallsreich wie antiquiert, auf jeden Fall haben sie einen potentiell blutigen Charakter (der Falklandkrieg ist noch in Erinnerung). 1952 wurden in der Antarktis die ersten Warnschüsse abgefeuert.

Im 2. Weltkrieg war der Gedanke einer militärischen Nutzung der Antarktis aufgekommen und während des Kalten Krieges wuchsen Befürchtungen einer Stationierung von Atomwaffen oder gar eines Kriegsschauplatzes im Süden.

Während des Internationalen geophysikalischen Jahres 1957/58 arbeiteten GeowissenschaftlerInnen aus aller Welt in der Antarktis eng zusammen und lieferten damit das Modell für den Antarktisvertrag, den die Staaten mit Gebietsansprüchen, die Supermächte und dazu Belgien, Japan und Südafrika 1959 miteinander abschlossen.

Dieser Vertrag verbietet jede militärische Nutzung, deklariert die erste atomwaffenfreie Zone der Welt, verbietet die Lagerung von Atommüll, verpflichtet die Parteien zu engen Konsultationen und wissenschaftliche Zusammenarbeit und erlaubt die gegenseitige Inspektion. Alle Territorialansprüche wurden eingefroren. Diese Regelung hat sich 30 Jahre lang bewährt.

Damals wurde jedoch die Frage einer möglichen wirtschaftlichen Nutzung der Antarktis bewußt ausgeklammert. Im Laufe der regelmäßigen Konsultationen wurden verschiedene Zusatzabkommen und Empfehlungen einstimmig angenommen, mehr und mehr Staaten schlossen sich dem Vertragswerk an. 1983 kam auch die BRD dazu.

Verhandlungen

über Bodenschätze

Es war jedoch bald klar, daß auch der eventuelle Abbau von Bodenschätzen einer Regelung bedurfte, und zwar möglichst, bevor solche Bodenschätze entdeckt und prospektiert sind. Es gab in den späten siebziger Jahren erste Anfragen von Ölfirmen an die US-Regierung, es gab bereits Probebohrungen der Japaner, und es gab Befürchtungen, die UNO könnte analog zur Seerechtsfrage ein eigenes internationales Rohstoffregime installieren und damit die Staaten des Antarktisvertrages ausbooten.

Für ein grundsätzliches Verbot des Bodenschatzabbaus machte sich keiner der inzwischen 18 Staten mit Konsultativstatus stark. Die Verhandlungen zogen sich über mehrere Jahre hin, was nicht verwundert, wenn man weiß, daß mindestens drei fundamentale Interessenkonflikte gelöst werden sollten: die interne Abstimmung zwischen Staaten mit und ohne Besitzansprüche, zwischen Industrie- und Drittweltländern, die externe Abstimmung zwischen den Unterzeichnern des Vertrages und anderen Staaten, die Balance zwischen der Freigabe von Abbaumöglichkeiten, die vor allem den USA und Japan am Herzen liegt und dem Schutz des einzigartigen, weitgehend unberührten antarktischen Ökosystems.

Dieser letzte Punkt hat unter dem Druck internationaler Umweltorganisationen im Laufe der achtziger Jahre eine wachsende, zum Schluß überragende Rolle gespielt. Durch diesen Druck wurde in dem Abkommen letztlich ein Standard festgeschrieben, der weitgehender ist als die nationalen Umweltgesetze. Nach der Konvention muß die Ausweisung eines Gebietes als geeignet für den Bodenschatzabbau einstimmig erfolgen. Dieser Entscheidung muß eine Konsultation aller (auch der nichtstimmberechtigten) Vertragsparteien, sowie eine Umweltverträglichkeitsprüfung vorausgehen, die vor der Aufnahme von Erkundungsmaßnahmen und dem eigentlichen Abbau jeweils wiederholt wird. Abbauende Staaten oder Firmen sind für alle Schäden nach dem Verursacherprinzip regreßpflichtig. Sie sollen sogar nach Ende ihrer Aktivitäten den „ursprünglichen Zustand“ wiederherstellen. Sie müssen laut Vertrag jährlich berichten und jederzeit Inspektionen dulden.

Der Einfluß der Rohstoff-Ausbeutung auf die Umwelt soll vollständig überwacht werden. Wenn nötig, sollen Auflagen erlassen oder der Abbruch angeordnet werden. Wer abbauen will, soll schon im Vorfeld nachweisen, daß er erfahren und potent genug ist, Schäden zu vermeiden oder sie im Unglücksfall einzudämmen. Dabei definiert die Konvention den Begriff „Schaden“ sehr weitgehend als „jeden Einfluß auf lebende oder nichtlebende Teile der antarktischen Umwelt oder davon abhängiger oder in Bezug stehender Ökosysteme (incl. der Schädigung von Luft-, Wasser- und Seelebewesen), der nicht vernachlässigbar oder akzeptabel ist“.

Hier zeigt sich allerdings deutlich die Janusköpfigkeit der Konvention: Selbstverständlich erlaubt es diese Passage, jeden Abbauantrag von vornherein abzubügeln, denn der Betrieb beispielsweise einer Bohrinsel samt Abtransport von Rohöl kann selbst unter günstigen Umständen nicht ohne schädliche Einflüsse auf die Umwelt vor sich gehen, von einem Unfall ganz zu schweigen. Aber eine solch konsequente Interpretation der Konvention setzt voraus, daß unter den vertragschließenden Parteien der politische Wille vorhanden ist, die eigenen Bestimmungen auch ernst und beim Wort zu nehmen, und die mit Sicherheit drohenden Schäden nicht als „vernachlässigbar“ oder „annehmbar“ einzustufen.

Anders als die Interessen der Staaten mit territorialen Ansprüchen oder die der Entwicklungsländer sind die Interessen der Natur in der Konvention nicht abgesichert (Umweltorganisationen können bestenfalls Beobachterstatus erlangen). Die Umwelt hat also keine Lobby, sie ist darauf angewiesen, daß die Regierungen sich für sie einsetzen. Diese Rolle hat bei den Verhandlungen zur Konvention vor allem Neuseeland übernommen. Aber nach allen Erfahrungen kann sich niemand darauf verlassen, daß diese Wächterrolle auf Dauer energisch genug durchgehalten wird. Wenn es um die Wurst geht, falls also Bodenschätze gefunden werden sollten, deren Abbau sich lohnt, dürften - so die allgemeine Befürchtung - die hehren Grundsätze schnell auf dem Altar der Ökonomie geopfert werden.

Sollte man das Rohstoffabkommen grundsätzlich ablehnen mit dem Argument, daß es den Rohstoffabbau überhaupt und erstmalig vorsieht und in absehbarer Zeit auch ermöglichen wird? Diese Haltung ist sicherlich berechtigt und konsequent. Ein solches Engagement gegen die Konvention geht allerdings das Risiko ein, daß für den Fall von Rohstofffunden auch ohne internationale Absprachen ein Abbau stattfinden wird unter Bedingungen, auf die Dritte dann keinen Einfluß mehr hätten.

Wer mit mir der Meinung ist, daß hier versucht wird, eine Abdeckung bereitzustellen, bevor das Kind in den Brunnen gefallen ist, wird sich für eine strikte Auslegung des Vertrages einsetzen. Doch damit die Abdeckung auch wirksam wird, muß nach ihrem Inkrafttreten ein detailliertes Schadenshaftungsprotokoll ausgehandelt werden. Es sollte möglichst drakonisch und abschreckend ausfallen. Dazu braucht es den Druck der Ökologiebewegung; schon jetzt eine öffentliche Meinung geschaffen werden, die den Rohstoffabbau in der Antarktis ablehnt, auch wenn er als Technologieschub, Sachzwang internationaler Konkurrenzfähigkeit oder als Arbeitsplatzbeschaffungsmaßnahme verkauft werden sollte.

Fazit: Die Bodenschatz-Konvention ist zwiespältig, Machtfragen stehen vor der Tür. Aber es ist dieses Mal nicht fünf vor oder gar fünf nach zwölf. In der Antarktis wird es auf den langen Atem des Engagements ankommen.

Jan Wüster, Diplomand beim Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung