WollsockenRevoluzzer on the run

■ „Flucht ins Ungewisse“ von Sidney Lumet steht in der guten alten Tradition der Hollywood-Unterhaltungsfilme, nähert sich des „american way of life“ an

Es ist nicht alles „kapitalistischer Schrott“, was uns die amerikanische Filmindustrie mit ihren Hollywood-Produktionen verkaufen will, manchmal bekommen wir auch anderthalb Stunden solide Unterhaltung für unsere Kinokarte geliefert.

Sidney Lumet, 73, ein Altmeister dieses Genres, hat mit Flucht ins Ungewisse die ganze Bandbreite des „american way of life“ abgetastet, allerdings aus der gesellschaftlichen Froschperspektive. Das Ehepaar Pope (Christine Lahti, Judd Hirsch) war vor Jahren mal das, was sie selbst als revolutionäre Basis des amerikanischen Volkes, die Durchschnittsbürger aber wohl einfach als „kommunistische Terroristen“ bezeichnet hätten. Denn im Jahre 1971 legten die beiden in einer Napalmfabrik eine Bombe, den Vietnamkrieg galt es zu beenden, ganz egal wie. Für das FBI war die Sache sonnenklar. Doch das alternative Paar dachte gar nicht daran, sich in die verwahrerische Obhut des Staates zu begeben. So veränderten sie ihr Aussehen, wechselten häufig die Adressen und schlugen den verhaßten Häschern ein ums andere Mal ein Schnippchen.

Daß ein solches Verhalten zum automatisierten Schema verkom

men kann, erlebt der gerade dem Jugendalter entwachsende Sohn Danny (River Phoenix) hautnah. Vom Baseballspiel zurück, erkennt er in den beiden unauffälligen Autos sofort die Bundespolizei und schon spult er das gesamte konspirative Programm ab. Hund und kleiner Bruder werden kurzerhand eingesackt, die Eltern von einer Anti -Atommüllgruppe geholt und ohne einen Blick zurück geht die Flucht von Neuem los. Ins Ungewisse eben.

In einer Kleinstadt auf dem Wege gibt ein Blick ins Sterberegister Aufschluß über die Verwendungsfähigkeit fremder Identitäten und danach ist es nur noch eine Frage der Haarfarbe und des Lerndrills mit neuen Namen, um wieder einmal ein bißchen Sicherheit auf Zeit zu haben. Genau dieser gebrochene Umgang miteinander macht die Hauptfiguren so liebenswert. „Wissen die Lehrer mehr als Du?“, will Vater Artie/Paul vom Sohnemann zweideutig wissen und postuliert damit zumindest einen Bildungsanspruch. Als Danny in der Kammermusik seine kulturelle und lebensperspektivische Erfüllung sucht, schmettert ihn der vegetarische Dad mit verbaler Radikalität ab. So etwas sei für „weiße degenerierte reaktionäre Affen“ brüllt

er, dabei vergessend, daß er selbst nun nicht gerade ein Paradebeispiel farbpigmentierter Haut ist. Sonst müssen sich er und Ehefrau Cynthia reichlich bescheiden, ihr Leben ist liebevoll aber arm und gar nicht mehr revolutionär. Da bedarf es schon mal einer Auszeit im Suff, um den Realitäten wieder ins Auge blicken zu können.

So leicht kann es sich Danny nicht machen. Aufs Klassenphoto darf er nicht, er könnte schließlich erkannt werden, das Klavierspiel soll nicht seine Passion werden und seine erblühende Liebschaft zu Lorna, der Tochter seines Musiklehrers, steht auf wackeligem Grund. Aber, und hier trifft uns happyendverwöhntes Publikum die satte Professionalität einer US-Produktion, das Leben besteht nicht nur aus Entbehrungen. Der Weg zum Glück ist zwar kurvenreich und mitunter voller Tränen, aber Regisseur Lumet sorgt rührungssicher für einen entspannten Abschluß des Filmabends. Und diese gute alte Tradition amerikanischen Unterhaltungskinos ist noch viel älter, als es Artie einmal gutgelaunt formuliert, nämlich „seit einem besonders guten LSD Trip im Jahre 1968“.

Jürgen Francke

City 2, 15, 17.45, 20.30