Seh'n oder Nichtseh'n

■ ZDF: „Europas Sterne strahlen“: Verleihung des 1. Europäischen Filmpreises in Berlin

„Wenn nicht alles so ganz korrekt war, verzeihen Sie uns. Beim 50. Mal machen wir es alle besser“, flüsterte Sabine Sauer, den ganzen Abend unsichtbar aus der Journalistenloge im Berliner Theater des Westens kommentierend, allwo am Samstag abend mit pannenreichem, Tusch-lastigem Rumtata zum ersten Mal der „Europäische Filmpreis“ verliehen worden ist. Und das ist ja hierzulande oft die einzige Sorge: daß es korrekt vonstatten gehe.„Berlin sagt: Gute Nacht, Europa“, juchzte hingegen Desiree Nosbusch mit zittrig-bewegter Stimme von der Bühne herunter, und irgendwo dazwischen lag die Show-Substanz dieser ehrgeizigen Preisverleihungsfeierlichkeit: Gute Nacht, Professionalität.

Zwölfmal für verschiedene filmische Leistungen wurde ein knittriges, sechs Kilo schweres Bronzemännchen mit einem Schnabeltier im Arm an europäische Filmschaffende verliehen, und zwar jeweils paarweise, manchmal auch einzeln, von hochberühmten Stars des europäischen Kinos, die grade mal zwei, drei lobende, kollegiale oder bewundernde Sätze von mitgebrachten Zettelchen ablesen konnten - schon mußten sie wieder dem korrekten Ablauf weichen: Die nächsten Hochberühmtheiten drängten vors Mikrofon.

Unverkennbar natürlich: Die Imitation der „Oscar -Preisverleihung“, denn es gilt ja, der dominanten Hollywood -Film-Unkultur die Stirn zu bieten und statt der Vereinigten -Staaten-Sterne „Europas Sterne strahlen“ zu lassen. Aber wir haben nun mal keine Entertainer, die einer so großkotzigen Show gewachsen wären. Bei uns kommen im Unterhaltungs-Fernsehen entweder Vereins-Kassenwarts-Typen hoch wie Elstner, Thoelke, Schanze, Schautzer, oder die treuherzig-dämlichen Mädi-und Bubi-Typen mit Drang ins Licht der Internationalität, wie Sabine Sauer, Desiree Nosbusch und Jan Niklas - der übrigens seine Kollegin Nosbusch geradezu schmierig betatschen mußte und ihr ins Dekollete hineinfiel. Die deutschen Damen dagegen taten sich vor allem dadurch hervor, daß sie vor Rührung andauernd nah am Weinen waren und dies auch unentwegt verkündeten. „Es ist schön, daß es wasserfeste Wimperntusche gibt“, sagte Desiree Nosbusch, und Nastassja Kinski, die Ingmar Bergmann für sein Lebenswerk das bronzefaltenreiche Männchen überreichte, konnte außer infantilem Stammeln und rotäugiger Kleinmädchenschnieferei gleich gar nichts bieten. Wo große Stars professionell in Rührungstränen schwimmen - wie Marcello Mastroianni, der peinlicherweise ebenfalls für sein Lebenswerk preisgekrönt wurde, obwohl er noch in den allerbesten Jahren ist -, werden die kleinen Geschwister aus der Bundesrepublik zu exhibitionistisch rotzelnden Pubertären.

Natürlich: Wim Wenders wurde schon wieder für seinen „Himmel über Berlin“ gepriesen - beste Regie und daher Bronzemännchen. In der Kategorie „bester Film“ wurde „Ein kurzer Film über das Töten“ aus Polen ausgezeichnet. „Die Klarheit macht betroffen“, interpretierte Sabine Sauer aus ihrer Loge, und dann sah man einen Schnipsel aus dem Film. Überhaupt war das Verhältnis dieser Show zum Film, dem eigentlichen Thema, wie man ja denken könnte, rein schnipselhaft, verächtlich, im höchsten Maße unsensibel und verworren. Der Film blieb reines Beiwerk - am übelsten zeigte sich das in einem Bigband-Potpourri aus Filmmusik, bei dem in rasender Geschwindigkeit kleine Ausschnitte einander jagten, gefolgt von einem erbärmlichen Bildsalat. In Erinnerung bleiben Momente, für die man nicht den provinziellen Show-Organisatoren danken muß, sondern Filmpersönlichkeiten wie Ingmar Bergmann, Marcello Mastroianni und Curt Bois. Wenn allerdings in Sabine Sauers Mund Curt Bois „ein wunderbarer alter Mann ist für diesen wunderbaren Preis“, dann ist des Wunderns über die bare Hirnlosigkeit kein Ende mehr.

Sybille Simon-Zülch