Dioxin-Kippe vor Gericht

■ Zum ersten Mal muß die völlige Beseitigung einer Gitfmüll-Deponie verhandelt werden / Stadt Rehburg-Loccum klagt auf Rekultivierung der Deponie Münchehagen

Nicht zum ersten Mal muß sich in dieser Woche das Verwaltungsgericht Hannover mit der Sondermülldeponie Münchehagen beschäftigen. Bundesweit erstmalig ist allerdings der Gegenstand der Verhandlung. Die überregional bekannt gewordene Giftkippe im Süden des Landkreises Nienburg an der niedersächsischen Landesgrenze zu Nordrhein -Westfalen, die 1983 per Gerichtsbeschluß dichtgemacht wurde, soll vollständig beseitigt und rekultiviert werden.

Dieses kostspielige Unterfangen verlangen per Klage die Stadt Rehburg-Loccum, zu der Münchehagen gehört, ein unweit der Deponie wohnender Landwirt und die nordrhein -westfälische Stadt Petershagen, die ihr Trinkwassergebiet durch unterirdisch austretende Gifte bedroht sieht. Klagevertreter in dem Prozeß, der am Donnerstag in Hannover beginnt, ist der Berliner Rechtsanwalt Reiner Geulen, der seinerzeit auch die Stillegung erwirkte. Der Prozeß sei auch für andere Städte und Gemeinden von Bedeutung, sagt Geulen, da erstmals gerichtlich eine vollständige Be

seitigung einer Mülldeponie durchgesetzt werden soll.

Beklagte sind formal der Landkreis Nienburg und die Bezirksregierung Hannover als unmittelbar zuständige Behörden, die nach Erkenntnissen der Kriminalpolizei auch für die jahrelangen ungenehmigten Einlagerungen hochgiftiger Industrieabfälle mitverantwortlich sind. Von der Gerichtsentscheidung direkt betroffen wäre vor allem die niedersächsische Landesregierung, namentlich das zur Zeit von Werner Remmers (CDU) geführte Umweltministerium.

Denn die Klage soll auch das von der Landesregierung finanzierte und begonnene Sicherungskonzept für Münchehagen stoppen. Nach allen Seiten und so gut wie technisch möglich will Remmers die Deponie abgedichten lassen. Die jüngste Bestätigung einer geologischen Störung unmittelbar unterhalb der Deponie, die für unterirdische Gifttransporte im rissigen Untergrund verantwortlich sein könnte, warf allerdings neue Fragezeichen auf. Rechtsanwalt Geulen sieht das Sicherungskonzept bereits als ge

scheitert an.

Schon die Genehmigung der Sondermülldeponie aus dem Jahre 1976 erwies sich als unrechtmäßig. Zuvor war von 1968 bis 1973 bereits ein kleiner Teil des Geländes als Deponie genutzt worden, die Altdeponie. Auch zu dieser Zeit gab es erste Gutachten, die auf die Durchlässigkeit des Tons und Wasserprobleme hinwiesen. Sie wurden aber nie beachtet.

Ein Erfolg der Beseitigungsklage hieße auch, daß doch noch einmal ans Tageslicht käme, welche brisanten Stoffe in den Tongruben schlummern. Jahre hat es gedauert, spektakuläre Giftaustritte, Aktionen der Bürgerinitiativen und ein parlamentarischer Untersuchungsausschuß waren nötig, ehe offiziell zugegeben wurde, daß beispielsweise dioxinhaltige Abfälle in Münchehagen illegal verscharrt wurden. Hier wurde vor gut drei Jahren in einer Öllache die weltweit höchste Konzentration des sogenannten Seveso-Dioxins gemessen.

Die Bewohner der Region machen sich Sorgen um ihre Gesundheit. Spuren von Dioxinen, Fura

nen und verwandter organischer Chemikalien sind inzwischen in der näheren Deponieumgebung auf Acker-, Wald- und Wiesenböden nachgewiesen worden.

Die Landesregierung hatte 1987 die Aushebung der rund 400.000 Kubikmeter Giftmüll verworfen. Nicht nur aus Kostengründen, sondern auch, weil nicht geklärt ist, wo man mit dieser immensen Menge bleiben soll. Für Sondermüll fehlen ohnehin Entsorgungskapazitäten. Münchehagen-Müll wäre nirgends deponiefähig. Verbrennungsöfen sind nicht vorhanden, außerdem umstritten. Blieben oberirdische Zwischenlager, die es bisher nicht gibt.

Beobachter gehen allerdings davon aus, daß die vollständige Beseitigung nicht kurzfristig zur Diskussion steht. Egal, wie das Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover ausfallen wird, mindestens das Oberverwaltungsgericht in Lüneburg, wenn nicht sogar das Bundesverwaltungsgericht Berlin, werden sich auf Antrag der jeweils unterlegenen Partei mit Münchehagen befassen müssen.

Andreas Möser (dpa)