DIE THERAPIE DER THERAPIE

■ „Die Toscana-Therapie“ von Robert Gernhardt im „Freien Schauspiel“

Gerhard: „Was stellst du dir unter einer Brücke vor?“

Silvia: „Unter einer Brücke?“

Gerhard: „Einen Dampfer. Ich stell mir unter einer Brücke einen Dampfer vor.“

Silvia: „Wieso?“

Gerhard: „Andersrum: Was verstehst du unter einer Brücke?“

Silvia: „Keine Ahnung.“

Gerhard: „Gar nichts. Weil doch gerade der Dampfer unter der Brücke durchfährt und tutet.“

Silvia: „Tutet? Wieso?“

Gerhard: „Damit man nichts versteht.“

Silvia: „Und warum soll man nichts verstehen?“

Gerhard: „Damit der Witz funktioniert.“

Silvia: „Welcher Witz?“

Gerhard: „Der Witz: Was verstehst du unter einer Brücke?“

Silvia: „Das verstehe ich nicht.“

Diese Szene aus Robert Gernhardts Toscana-Therapie von der allmählichen Verfertigung (und Zerstörung) eines Witzes beim Erklären desselben läßt sich umstandslos auch auf die Inszenierung im Freien Schauspiel anwenden. Wenn das Stück über den deutschen Intellektuellen-Urlaub in der natürlich natürlichsten Region südlich der Alpen beim Lesen eine zwerchfellreizenden Komik entfaltet, dann liegt das daran, daß der 'Titanic'-Autor seine Witze einfach gut erzählen kann. Wenn uns aber auf der Bühne die Witze von der ersten Minute an mit jeder Geste und jeder Betonung bis zum Überdruß „erklärt“ werden, statt das ganz alltägliche Risiko eines jeden Witzeerzählers einzugehen, daß mal wieder keiner lacht, dann liegt der Fehlzündungsfrust wie ein bleierner Amüsierzwang über dem ganzen Abend, und es lacht bestimmt keiner.

Und so war es leider auch. Da verleben Gerhard und Karin ihre Ferien zum Freundschaftspreis von 20 Mark pro Tag in dem Landhaus ihres Freundes und Analytiker-Übervaters Dieter. Entgegen der Abmachung und mit entsprechend schlechtem Gewissen beherbergen sie Victor, einen versoffenen amerikanischen Schriftsteller, dessen anzügliche Wortspiele aus vorgeblichem Nichtverstehen des Deutschen schon im Text derbe Kalauer sind. Der Bühnen-Victor (Lothar Mann) buchstabiert diese Wortspiele (zum „Fortspülen“) so lauthals und überdeutlich, daß man penetrant zum Lachen gezwungen wird, was der geschätzten Spontaneität und erst recht dem Charme abträglich ist.

Als der Urlaubsalptraum von Gerhard (Uwe Büschken als glaubhaft wissenschaftlicher Assistent) und Karin (Elke Latusek etwas zu unsicher als die Frau an seiner Seite) durch das Auftauchen von Leuten, die behaupten, den Besitzer des Ferienhauses gut zu kennen und deshalb mit zusammengebissenen Zähnen geduldet werden, wahr wird, auch da klingen die durchgehend schiefen Töne des Spiels durch.

Florian (Guido Schmitt) und seine Freundin Silvia (Brankatsch) gehören einer anderen Generation an als unser akademisches 68er-Ehepaar. Die beiden haben erstens mit nichts ein Problem und zweitens nicht die geringste Sensibilität für andere. Silvia findet alles unheimlich irgendwie. Ihr Freund Florian legt eine geradezu beängstigend kaltschnäuzige Zielstrebigkeit an den Tag. Kaum hört er, daß der zum Abendessen und Dämmerschoppen geladene Studienfreund aus alten Tagen beim 'FAZ'-Magazin arbeitet, ist er durch nichts und keine Peinlichkeit davon abzuhalten, diesem Menschen seine „konzeptuellen“ Fotos - das Motiv ist, wie originell, die Toscana - unter die Augen zu rücken. Das geschieht vor dem Essen, beim Essen und nach dem Essen, welches übrigens, wie das ganze Stück, in dem schönen Bühnenbild von Andrej Woron gegeben wird. Dort alleine finden die theatralischen Verwandlungen statt. Durch Jalousien und Beleuchtungstechnik wird aus dem Toscana-Licht des Tages die Dämmerung der Nacht, in der endlich auch die Therapie zu Ende geht.

Susanne Raubold

„Die Toscana-Therapie“ im „Freien Schauspiel“, Pflügerstr. 3, 1/44, bis zum 18.12.88 und ab 15.1.89, jeweils Do. bis So., Beginn 20 Uhr.