SAG MIR WARUM...

■ Senatsrockwettbewerb, 5. Teil: Kulturgenuß oder Diskussionsrunde?

Am letzten Freitag, genaugenommen am 25.November diesen Jahres und überdies im Quartier Latin (wie jedes Jahr übrigens) hatte ich irgendwie das Gefühl, als ob die drei Bands, die auftraten, gar nicht so öd waren. Womit nicht gesagt sei, daß alle anderen Gruppen, die sich freiwillig der öffentlichen Betrachtung mit den darauffolgenden Konsequenzen preisgaben, langweilig waren. Ausnahmen gibt es immer, nur rar sind sie, verdammt rar.

Nehmen wir zum Beispiel „The Big Light“. Bei netter Bühnenbeleuchtung und überdurchschnittlich gefülltem Saal brodelte es ungefähr so im Kopf: Nicht schlecht, die fünf Jungs. Machen sich über den standardisierten Pop-Rock her, wie ein Chirurg über eine desinfizierte OP-Stelle. Nichts Schräges, nichts Anstrengendes. Mensch, und die Leute, wie die sich vom Sound aufpeitschen lassen, also die Stimmung spricht Bände - entweder über die Qualität des Rocknachwuchses oder des Hörergeschmacks. Ein Gesang, sage ich, der geht so warm und feucht und schnell runter wie Öl. Und nichts gegen die Akkordfolgen, kein aufzippender Reißverschluß kommt gegen diese rrrratsch-Geräusche an.

Kaum draußen, gerät in Vergessenheit, was sich drinnen abspielte. Dafür gesellt sich ein erst barscher, im Laufe des Gesprächs dann immer entspannter werdender Juror Schulz zu mir und rächt die mutwillig zerstörten Karrierechancen musizierender Menschen mit einem verbalen Frontalangriff: daß ich sie quäle mit der Macht des geschriebenen Wortes, bös‘ und gemein bin; zwar überzeuge ich ihn vom Gegenteil, komme aber kontemplativ zur Schlußfolgerung, die Musikerseelen haben es nicht verdient, ihr Karma durch mich abtragen zu dürfen.

Und da schickt mir der Herr doch glatt „Rasca Cocous“, an denen ich mir nicht die Finger schmutzig machen muß. Vier smarte Jungs unter zwanzig in unverbrauchtem und sichtbar positiv eingestelltem Zustand schänden die Ohren nicht mit selbstgeilem Gedröhne, sondern spielen gitarrenorientierten Pop-Rock in verschiedenen Gefühlslagen: treibend, kraftvoll, melodisch, schmachtend, gut. Der Leadgitarrist kriegt ein „Sehr gut“, weil er den Hand-und -Fuß-Rhythmus mit rasanten Tonfolgen unterstützt. Eins ist sicher: Die haben sich mit ein paar tausend Mark von der Gewinnersumme schon jetzt das Taschengeld aufgebessert. Auch der Gesang ist nicht ohne: Der Bursche hat den Stimmbruch mit einem knackig-markanten Timbre überlebt. Erfüllt mit Besitzerstolz (ich höre doch noch Unterschiede), kann ich kaum „The Benjamins„ abwarten. Dort scheiden sich jedoch wieder die Geschmäcker: An Soul und Sixties-Beat habe ich mich nun mal satt gehört, auch wenn es in extravagant -witziger Form, nämlich mit mehrstimmigem Gesang und minimalistischer Instrumentierung, abgefeiert wird. Immerhin gebe ich den vier Pilzköpfen den Sozialbonus, weil sie als einzige Band des Abends eine Frau auf der Bühne dulden und das Publikum unterhalten haben.

P.S.: Aufgrund der immensen Statementforderungen in diesem Jahr überlege ich, eine wöchentlich Sprechstunde einzuführen. Dann aber bitte mit gruppentherapeutischen Elementen.

Connie Kolb