TRÜMMERMÄNNER

■ „Stakkato“ im Kaufhaus Kato

Seit einigen Jahren gehören die Konzerte im ehemaligen Kaufhaus Kato zur festen Einrichtung. In den Gewölben unterhalb der U-Bahngleise am Schlesischen Tor nisten sich ab und an die Verfechter der freien und improvisierten Musik ein. Unter zugigen Eisenbahnbrücken Saxophon zu üben gehört in diesem Genre zur Pflicht, sei es, um zeternden Nachbarinnen zu entkommen oder um die günstige Akustik dieser Bauten auszunutzen.

Die „European Cones“, eine dreiköpfige Bläsergruppe, scheinen mit diesen Gegebenheiten bestens vertraut zu sein. Hinter einer Mauer versteckt beginnen sie zu blasen, ein Echo bahnt sich den Weg, bevor die Musiker sichtbar werden. Der Waldhornist steckt seine Faust in die Öffnung des Instrument, dessen Klang an das Prusten eines Elefanten erinnert, der die Zoobesucher mit Wasser aus seinem Rüssel bespritzt.

Die Mitmusikanten an Tuba und Sopransaxophon kommentieren mit tiefen Stöhnlauten und warmem Wasser-Plätschern. Man improvisiert die Tonskala rauf und runter, alles klingt sehr gekonnt, aber die rechte Begeisterung will sich nicht einstellen. Jeder der drei scheint in erster Linie seinen persönlichen Leidenschaften nachzugehen, der Hörer hat die mitunter undankbare Aufgabe, das Klangkonglomerat zusammenzufügen; die Anstrengung dieser Übung wird nicht angemessen entlohnt, die Lust am Zuhören wirkt gequält. Das liegt sicherlich nicht an der mangelnden Qualität der einzelnen Darbietung, sondern eher am fast schon wieder starren Muster der „freien“ Improvisation, die das Gemeinsame hinter dem Individuellen kaum sichtbar werden läßt.

Mit solchen Problemen hat der Saxophonsolist John Tschicai, der das zweite Konzert des Abends bestreitet, nichts zu tun. In den Sechzigern lebte und spielte er in New York mit Jazzkoryphäen wie John Coltrane, Albert Ayler und Carla Bley. Heute ist er weitestgehend unbekannt, wohnt in Dänemark und läßt sich nur selten in der europäischen Jazzszene blicken.

Im Kato steht er allein auf den Brettern, er beginnt zaghaft zu blasen, probiert ein paar Töne, hält kurz ein, überlegt sich etwas anderes, greift nach einem Thema. Es braucht Zeit, bis sich etwas zusammenfügt, zunächst hört man nur Einzelteile, Trümmer, die nicht recht wissen, wo sie hingehören. Tschicai trägt die Trümmer herbei, zerlegt und zerkleinert sie immer weiter, bis er aus dem Staub etwas Unscheinbares, Neues formt. Ohne großes Aufsehen zu erregen, schafft er Klangfolgen, kleine Melodielinien, die eine harmonische Klarheit ausstrahlen.

In seiner Körperhaltung erahnt man die Quelle dieser Töne, er beugt sich weit nach vorn, über sein Saxophon, als erstrebe er eine Einheit mit dem Instrument.

Als dritte Gruppe des Abends bauen fünf Schwarze aus Senegal und Ghana ihre Trommeln auf. Das Quartett des Sängers und tanzenden Trommlers Mamadou Mbaye erobert sich sofort die hüpfenden Herzen der Zuschauer. Afrikanische Rhythmen locken nicht nur wegen des gerade angesagten Ethno -Pops die Leute hinterm Kachelofen hervor. Man tanzt, lächelt und versetzt sich in orientalische Spielfilmphantasien. Endlich ein paar Schwarze direkt vor der Haustür, die ganz Kreuzberg wachtrommeln könnten. Nichts gegen ausgelassene Stimmung, aber solche Unternehmen tragen immer auch den Beigeschmack einer original afrikanischen Fotosafari in sich, inklusive Auftritt einer Trachtengruppe in original Stanmmeskleidung.

Danach verzieht man sich in den gemütlichen Club -Mediterrane-Bungalow, und die Schwarzen dürfen ihre Jeans wieder anlegen. Wie wäre es einmal mit einer Tournee einer bayerischen Blaskapelle quer durch Afrika, mit anschließendem Sauerkraut-Essen, veranstaltet vom Goethe -Institut?

Andreas Becker