ZWISCHEN DEN RILLEN

 ■  Die erste echte Sandie Shaw

Oh, it's so funny to be seein‘ you after so long, girl“, eine Zeile aus einem Costello-Stück, die mir sofort einfiel. Sandie Shaw, liest man, reagiert allergisch, wenn sie auf ihre Vergangenheit angesprochen wird. Verständlich, daß sie nicht ewig „Puppet On A String“ bleiben will. Obwohl nichts von dem, was sie heute ist, möglich wäre ohne die Swinging Sixties. Ohne Mary Quant, Modesty Blaise und Emma Peel keine Verwandlung von punch-card operator Sandra Goodrich in Sandie Shaw, den Sixties-Inbegriff von GIRL, eine Ikone britischer Camp-Ästhetik.

Nach langen Jahren, in denen Elvis Costello mitfühlend von traurigen „Party Girls“ und „Shabby Dolls“ sang, hat Sandie Shaw jetzt ein seltsam antizyklisches Album gemacht. Kein Comeback soll es sein, sondern ein Coming-out. „This time I really want people to hear the blood rushing through my veins.“ Was das heißt, macht gleich der erste Song klar. Mundharmonika, klingelnde Gitarren, dann ZORN: Billige Scherze seien gemacht worden auf ihre Kosten. Mit all den schönen lautmalerischen Wörtern, die es im Englischen dafür gibt, wird das ausgekostet („Ragged and torn... haggard and drawn... tattered and torn... shattered and worn out“), natürlich nur, um im Gegenzug mit ebenso magischen Wörtern die stolze Seele zu beschwören: „Oh how you sparkle, Oh how you glow“, ein funkelnder Rubin sei so jemand, ein Diamant, „and you're nothing less than brilliant in my eyes“.

Im Grunde ist es das schon. Der Rest von Hello Angel variiert dieses Thema. „We may be hidden by rags / But we have something they'll never have“ (Hand in Glove, der Smiths-Sing, der der LP vorausging). Wenn Sandie Shaw Cool About You von The Jesus & Mary Chain singt, merkt man erst, was für ein uncooler Song das ist. Stimme und Intonation machen das, nicht erst das Pizzicato der Geigen im Hintergrund. Die Arrangements stellen sich ganz in ihren Dienst, egal ob Schlager-Rumba (Take him) oder dramatisch verhaltenes Gitarren-Backing (Strange Bedfellows, das Stück, das sich noch am ehesten sophisticated gibt: „I read Kant and you read Germaine Greer“). Nur selten gestattet sie ein Solo wie auf A Girl Named Johnny (dem Waterboys-Stück), und auch dann erst an dem Punkt, wo der Song vor Pathos zu bersten droht. Da darf die Gitarre mit viel Sustain etwas Kühlung fächeln.

Komponist der meisten Stücke ist übrigens Chris „Yesterday Man“ Andrews, das Texten hat die Shaw selbst in die Hand genommen. Die neue, die erste echte Sandie Shaw präsentiert sich mit leichtem Domina-Touch, Schulterklappenzacken und Peace-Zeichen am Revers. Eine Gratwanderung. Immer wieder treiben die Beteuerungen, jedes Gefühl bei ihr sei echter als echt, das Projekt an die Grenze dessen, was Zeichen vertragen. Überschritten wird sie in Comrade in Arms, einem Song über einen Aids-Toten. „No one can choose“, armer Bruder, trage dein Päckchen... Peinlich! I will remain erinnert stark an Evita von Andrew Lloyd Webber. Ein falscher Schritt, und schon befindet man sich in fiesester Nachbarschaft. Meist aber schafft Sandie Shaw den Abschied von ihrer Girlie-Vergangenheit, ohne gleich wieder als Diva oder Grand Old Lady kassiert zu werden. Am souveränsten ironischerweise in dem Stück, das die Sixties hochleben läßt, dem schlagerhaften Please Help The Cause Against Loneliness. So schön können Terzen sein.

Thomas Groß

Sandie Shaw, „Hello Angel“, Rongh Trade