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Kolumbien schnupft sich eine goldene Nase

Kokain ist zum größten Export-Produkt des Landes geworden / Geringe Auslandsverschuldung durch „Narco-Dollar“ / Die Koka-Mafia investiert nicht nur in Großgrundbesitz, sondern auch in Zukunftsbranchen / Guerillas sorgen für gerechten Tausch zwischen Bauern und Kokainbaronen  ■  Aus Bogota Ciro Krauthausen

Gott schickt den verstorbenen Taschendieb schnurstracks in die Hölle. Dort wird er von einem freundlichen Teufel auf ein rotes Plüschsofa gebeten, eine Whiskyflasche wird herangetragen und schon bald umringen ihn schöne Frauen. Ob er nicht aus Versehen in das Paradies geraten sei, fragt der verdutzte Taschendieb den in eine blau-goldene Portiersuniform gehüllten Teufel. Die Antwort: „Sie sind hier schon richtig. Es ist nur gemütlicher, seitdem die Drogenmafia alles aufgekauft hat.“

Wie in dem kolumbianischen Witz, geht es auch für die nordamerikanischen Behörden im Kokaingeschäft „teuflisch“ zu. Den illegalen Kokainhandel, der etwa 25 Millionen US -Schnupfer versorgt, erklärte die Reagan-Regierung zu „einer Frage der nationalen Sicherheit“. Einen „spektakulären multinationalen Wirtschaftszweig“ nennt ein deutscher Soziologe das Geschäft mit dem Kokain: Produktion und Vertrieb in Lateinamerika, Absatz in den Industrieländern. Zwei kolumbianische Klans, das „Kartell Medellin“ und das „Kartell Cali“, kontrollieren rund 75 Prozent des Kokainmarktes. Und die kolumbianische Wirtschaft fährt nicht schlecht dabei.

Dabei wird das in die USA und Europa geschickte Kokain nur zum kleineren Teil in Kolumbien produziert. Vielmehr importieren die Mafiosi eines der Vorprodukte des Kokains, die Coca-Paste, aus Peru und Bolivien, verarbeiten sie in kolumbianischen Labors zu hochwertigem Kokain und übernehmen den Vertrieb. Ausschlaggebend für die Vormachtsstellung der hiesigen Mafiosi ist Kolumbiens geographische Lage - sein Zugang zu zwei Ozeanen, und die Nähe zu den Vereinigten Staaten - sowie die Erfahrungen, die Kolumbiens Untergrund -Unternehmer schon auf anderen Märkten - Smaragde und Marihuana - sammeln konnte.

Homo oeconomicus

Aber auch in Kolumbien gibt es Coca-Anbau. So etwa in der Sierra La Macarena, einem einzigartigen Naturschutzgebiet im Osten des Landes. Dort tauchten - nach einem raschen Marihuana-Boom -1978 die ersten Mafiosi auf, um die verarmten Siedler zum Coca-Anbau zu überreden. Das Angebot war verlockend, denn bisher hatten die Kleinbauern für ihre spärlichen Bananen-, Mais- und Obsternten kaum Absatzwege und Märkte gefunden. So stürzte sich alles auf die Coca -Pflanzen. Heute sind die Preise wegen der Überproduktion gefallen, und jene Siedler, die höchstens fünf Hektar bebauen, verdienen gerade genug, um nicht abzuspringen. „Im Moment warten dort alle ab, wie sich das Kokaingeschäft weiterentwickelt“, meint Oscar Arcilla, ein Wirtschaftswissenschaftler der Nationaluniversität.

Alle haben in der Sierra La Macarena vom Coca-Anbau profitiert und tun es auch heute noch. Scharen von Geschäftsleuten, Abenteurern und Prostituierten strömten in das Gebiet, um von dem plötzlichen Reichtum ihren Anteil abzubekommen. Damit die Polizei und das Militär ein Auge zudrücken, werden ihnen saftige Schmiergelder zugesteckt. Die kommunistischen Guerilleros der FARC - in der Sierra sehr stark vertreten - fordern von den Kleinbauern ein Zehntel ihrer Erlöse. Die Gegenleistung der Guerilleros: sie passen darauf auf, daß keiner übers Ohr gehauen wird und die Drogenkapos die Bauern nicht allzusehr ausbeuten.

Weißer Schnee und schwarze Zahlen

Die Sierra La Macarena zeigt im Kleinen, wie sich in ganz Kolumbien fast alle Gesellschaftsschichten um das phänomenale Geschäft geschart haben. Wieviel von den Gewinnen der Kokainbarone zurück in die heimische Wirtschaft fließt, ist schwer zu schätzen, doch es dürfte sich jährlich um Summen zwischen einer und zwei Milliarden Dollar handeln. Das sind erkleckliche Erlöse - besonders wenn man auf Kolumbiens größtes „legales“ Exportprodukt blickt, den Kaffe, der 1987 an die 1,7 Milliarden Dollar einbrachte. Die „Narcos“, wie die Mafiosi in Kolumbien genannt werden, „waschen“ ihre Dollars durch legalen Devisentausch in der „Bank der Republik“, und durch die Einfuhr von geschmuggelten Waren, die mit Kokaingeld gekauft und in Kolumbien unter Marktpreis wieder verkauft werden.

„Der Wirtschaft geht es gut, und dem Land schlecht“, erklärte 1987 Fabio Echeverry Correa, Präsident der ANDI, eines mächtigen Industriellengremiums. Er bezog sich dabei hauptsächlich auf einen vorübergehenden Kaffee- und Erdölboom. Doch der markante Spruch, der in Kolumbien für viel Wirbel sorgte, läßt sich auch auf das Kokaingeschäft beziehen. Kolumbiens relativ niedrige Auslandsverschuldung, die für 1988 auf rund 16 Milliarden Dollar geschätzt wird, hält sich auch wegen der Kokainmilliarden in Grenzen.

Ursprüngliche Akkumulation

Geld stecken die „Narcos“ in so verschiedene Bereiche wie eigene Killertrupps, Fußballmannschaften, Hotel- und Ladenketten, Banken, luxuriöse Wohnungen, Liebhaberinnen, schnelle Autos und wahnwitzige Feten. „Die Narcos wünschen, in Kolumbien wie in Miami zu leben“, berichtet der spitzzüngige Publizist Jorge Child. Ein Freund von ihm, Mariano Arango, stellte bei 20 Drogenmafiosi eine kleine Umfrage an. Das Ergebnis: am liebsten investieren die Kokainbarone in Grundbesitz. Der Agrarexperte und bekannte Wirtschaftswissenschaftler Salomon Kalmanovitz schätzt, daß die Mafia in den letzten Jahren rund eine Million Hektar an Ländereien kaufte. Selbst Regierungsvertreter reden von einer „Gegen-Agrarreform“. Die neuen Großgrundbesitzer investieren riesige Summen in die modernste Technologie, auch wenn das erst auf längere Sicht hin gewinnbringend ist. Und sie gehen mit brachial-kapitalistischen Methoden gegen Gewerkschaften, Guerillabewegungen und deren soziale Basis vor. So wird immer deutlicher, daß die „Narcos“, zusammen mit dem Militär und den althergebrachten Großgrundbesitzern, ihre Hände bei den rechtsradikalen Todesschwadronen im Spiel haben. „Ohne Drogenmafia gäbe es auch Todesschwadronen, aber nicht so viele und derart gut bewaffnete“, kommentiert Salomon Kalmanovitz.

Derzeit scheint einiges für eine schwere Krise im kolumbianischen Kokaingeschäft zu sprechen. Kostete das Kilo Kokain zum Großhandelspreis in Miami noch 1983 40.000 Dollar, so sind es heute weniger als 10.000 Dollar. Die lange vereint handelnde kolumbianische Drogenmafia hat sich in zwei Fraktionen gespalten - die aus Medellin und die aus Cali -, und heftige „Vendettas“ sind sowohl in den USA als auch in Kolumbien im Gange. Streitpunkte: die Aufteilung des US-Marktes und die Expansion nach Europa. Dabei ist gut möglich, daß andere lateinamerikanische Mafien - wie etwa die aus Brasilien - die kolumbianische bald überrunden. Denn die Kolumbianer haben am stärksten unter der Repression der nordamerikanischen Behörden zu leiden und sind ja letztendlich weniger Produzenten als Vermittler. Dies mag auch ein Grund dafür sein, daß einige Kokainbarone damit beginnen, sich nach anderen Drogenmärkten umzusehen. Ende August entdeckte die kolumbianische Drogenpolizei zehn Hektar Mohnblumen zur Produktion von Heroin...

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