Berliner Amt völlig außer Verfassung

■ Der Verfassungsschutz arbeitet in Berlin noch unkontrollierter und abgeschirmter als in jedem anderen Bundesland

Als die taz im Januar dieses Jahres in einer Serie über den Berliner Verfassungsschutz (VS), „die (un-) heimliche Behörde“, berichtete, schloß der erste Artikel mit einem Grußwort an den Chef des Amtes: „Guten Morgen, Herr Wagner!“ Der Autor des Berichts war davon ausgegangen, daß der Artikel, wie alle anderen auch, in denen der Verfassungsschutz genannt wird, dem Chef des Amtes vorgelegt wird. Daß dieser Umweg gar nicht nötig war, weil der VS durch direkten „Zugang“ zur taz ohnehin über alles Wesentliche unterrichtet war, das bleibt bittere Erkenntnis dieses grauen Novembers.

Der Berliner Verfassungsschutz: Was wissen wir von dieser im Dunkeln operierenden Behörde? Was wissen wir von der zweifelhaften Verfassung des Amtes? Wir wissen zunächst weniger, als in jedem anderen Bundesland bekannt ist. Denn in Berlin arbeitet das Amt noch abgeschirmter und unkontrollierter als sonst schon üblich. Selbst der Verfassungsschutzbericht, der als Legitimationsfunktion alle Jahre wieder die Gefahr durch die Verfassungsfeinde beschwört und zumindest eine grobe Abschätzung der Arbeitsschwerpunkte zuläßt, wird in Berlin nicht veröffentlicht. Er bleibt im großen schwarzen Sack in der Clayallee, der Residenz des VS.

Sonderrecht genießt der Berliner VS auch bei Telefon -Überwachungen. Seit knapp 20 Jahren verweigern die Allierten ihre Zustimmung zu der sonst üblichen Vorschrift, wonach Lauschangriffe nur auf richterliche Anordnung durchgeführt werden dürfen. Ob, wann und von wem im Berlin abgehört wird, bleibt Sache der drei West-Alliierten, fernab jeder richterlichen Genehmigung.

Kontrolle außer Kontrolle

Selbst die sonst übliche parlamentarische Kommission zur Kontrolle des Verfassungsschutzes ist in Berlin außer Kraft gesetzt worden. Nach dem Einzug der Alternativen Liste ins Abgeordnetenhaus 1981 wurde auch dieses bescheidene Kontroll -Organ gekippt und erst 1987 als Reaktion auf die kriminellen Machenschaften des VS im Fall Schmücker wieder etabliert.

Gegründet wurde der Berliner VS 1952, rund zwei Jahre nach dem Kölner Bundesamt. Auf 250 bis 300 Beamte wird die Personalstärke des Amtes geschätzt. Von ihnen sind etwa 60 bis 80 Mitarbeiter nur mit Observationsaufgaben betraut. Der Jahresetat des Amtes wird - rekonstruiert aus dem Haushalt des Innensenators - auf 20 Millionen Mark geschätzt.

Die Skandal-Chronik des Amtes ist üppig. Fast genau vor einem Jahr war der letzte große Coup der Berliner Lausch -Behörde aufgeflogen. Die Herren aus der Clay-Allee hatten ein Dossier über die Alternative Liste angelegt und die Partei und einzelne Abgeordnete überwacht. Auch die Berliner Sozialdemokraten hatte der VS ins Herz geschlossen. Um sie so die späte Rechtfertigung - vor einer „Unterwanderung durch die kommunistische SEW“ zu schützen, wurde das Amt aktiv. Sieben Berichte waren über die SPD angefertigt worden, bevor die Praxis ruchbar wurde. Als die SPD monierte, daß sie vor der Unterwanderung nur durch konkrete Informationen über die angeblichen Unterwanderer geschützt werden könne, bis heute aber keinerlei Angaben erhalten habe, herrschte Funkstille in der Clay-Allee.

Der Fall Schmücker

Der wichtigste Punkt in der Skandal-Chronik des VS ist aber der Fall Schmücker. Hier offenbarte sich die Skrupellosigkeit dieser Behörde im düsteren Karussel von Mord und verschwundenen Beweismitteln, Mitwisserschaft oder Tatbeteiligung. Bis heute stehen hier ungeklärt schwerste Vorwürfe gegen den VS im Raum.

Schmücker, der zeitweise für den VS arbeitete und zwischen Verfassungsschutz und militanter Szene zerrieben wurde, ist

-nach allen bis heute vorliegenden Erkenntnissen - im Beisein von V-Männern ermordet worden. Der VS hatte Schmücker rund um die Uhr beobachten lassen und war deshalb mit am Tatort gewesen. Auch das Verschwinden der Tatwaffe wird als Arbeit des VS angesehen. Die heutige Einschätzung der Affäre Schmücker: Der Verfassungsschutz hat offenbar einen Spitzel „geopfert“, um an andere wichtigere Personen heranzukommen; er hat kaltlächelnd zugesehen, wie sein eigener Mann ermordet wurde.

Schon der Fall Urbach hatte zuvor die Arbeitsweise der Berliner Verfassungsschützer offengelegt. Peter Urbach („S -Bahn-Peter“) war in die APO eingeschleust worden. Hier ging er nicht nur ständig mit Schußwaffen hausieren, sondern wurde auch selbst aktiv. Nach dem Attentat auf Rudi Dutschke schleppte er Molotow-Cocktails vor das Springer-Hochhaus, und im März 1969 versteckte er einen Sprengkörper auf der Toilette der Kommune 1. Zufällig erschien der Staatsschutz der Kripo am gleichen Tag zu einer Hausdurchsuchung und „fand“ die Bombe, Kunzelmann und Langhans wanderten für fünf Monate nach Moabit.

Auch in der Hausbesetzer-Szene ist die Arbeit des VS Anfang der achtziger Jahre aktenkundig geworden. In einem internen Papier des Amtes - von den Behörden als Fälschung zurückgewiesen - wurden die V-Leute gedrängt, die Szene zu gewalttätigen und zersplitternden Aktionen zu bewegen. Als V -Mann und Agent Provocateur wurde auch Peter Kleina („Waffen -Pit“) enttarnt, der mehrere Aktenordner von Honorarabrechnungen für den VS hinterließ und die Erinnerung an einen stets furchtlosen Streetfighter in der ersten Reihe.

Der letzte Fall der Skandal-Chronik ist gerade einen Monat alt. Im September versuchte der VS offenbar mehrere Personen in die Anti-IWF-Kampagne einzuschleusen. Als letzte Woche ein Steinewerfer der Anti-IWF-Demonstration zu einem Jahr auf Bewährung verurteilt wurde, wurde ruchbar, daß der Mann für den VS gearbeitet haben soll.

Manfred Kriener Siehe auch Seite 2