Pressefreiheit in Berlin

■ das Berliner Landesamt für Verfassungsschutz den Staat im Staate

Abgehörte Telefone, geöffnete Post, vom Verfassungsschutz angeworbene Journalisten - für Berlins Innensenator und seinen Chef vom Verfassungsschutz ist die Pressefreiheit eine durchaus disponible Größe. Erleichtert wird den Berliner Schnüfflern die Arbeit durch den Status der Stadt. Ob es um Abhöraktionen oder die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses geht - im Zweifel kann man sich immer hinter den Aliierten verstecken. Der gesetzliche Schutz für die Betroffenen findet hier regelmäßig seine Grenze.

„Herr Gottschlich, sie müssen verstehen, daß ich Ihnen jetzt dazu nichts sagen kann. Sie wissen doch, daß ihr Telefon abgehört wird.“ Der sicherheitspolitische Sprecher der SPD, Erich Pätzold, weiß, wovon er redet. Seit die taz vor genau einem Jahr, am 30.November '87, aufdeckte, daß der Verfassungsschutz die Alternative Liste, immerhin drittstärkste Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, systematisch bespitzelt, gehört er zu den Leuten, die am hartnäckigsten Licht in das Dunkel des Berliner Verfassungsschutzes brachten.

So verwunderte es auch kaum, als bereits daß bereits in der Sitzung des Innenausschusses des Berliner Abgeordnetenhauses, am 7.Dezember, erstmals ruchbar wurde, daß auch die taz vom Verfassungsschutz abgehört wird. Pätzold damals im Innenausschuß: „Es gibt diese Information und im weiteren Verlauf der Untersuchung wird das auch noch klar herauskommen.“ Zunächst jedoch mauerten Innensenator Kewenig, sein Staatssekretär Müllenbrock und der Chef des Berliner Verfassungsschutzes, Wagner, wo sie nur konnten. Vollmundig ließ Kewenig per Presseerklärung verbreiten, „die Beobachtung der taz (durch den Verfassungsschutz), einzelner ihrer Mitarbeiter oder Besucher gehört zweifelsfrei in das Reich der Fabeln.“ Zweifel an dieser Behauptung waren jedoch schon lange angebracht und selbst an eingestandenen Lauschangriffen und Verstößen gegen das Postgeheimnis fehlt es nicht.

So wurde der taz beispielsweise amtlich bestätigt, daß ihre Telefone über einen längeren Zeitraum im Anschluß an die Todesschüsse an der Startbahn-West abgehört wurden. Diese Mitteilung im Anschluß an eine Abhöraktion ist nach dem Gesetz vorgeschrieben und erfolgte gegenüber unserer Frankfurter Redaktion. Daß die Berliner Zentralredaktion eine solche Mitteilung nie bekommen wird, hat einen besonderen Grund: Das sogenannte G-10-Gesetz, nachdem Telefonabhöraktionen geregelt sind, gilt für Berlin nicht. Hinter dem Rücken der Alliierten operiert der Berliner Verfassungsschutz im rechtsfreien Raum und braucht auch im nachhinein niemanden über eine erfolgte Abhöraktion zu unterrichten. So verwundert es nicht, daß eine Redakteurin nach einem Telefonat mit einem Organisator des Volkszählungsboykotts von diesem erzählt bekam, daß, als er nach dem Gespräch den Hörer abhob, plötzlich eine Stimme in der Leitung war, die einer dritten Person mitteilte, das sei doch gerade die Gaserow von der taz gewesen.

Zum Teil spielt auch die Technik den Observanten einen Streich. Erst vor zwei Wochen wurde die Aufzeichnung eines Gesprächs, das zwei Mitarbeiter der taz von ihren jeweiligen Privattelefonen führten, ihnen versehendlich noch in das laufende Gespräch hineingespielt, quasi als Echo der Sätze, die sie wenige Minuten zuvor gesagt hatten. Ein Indiz für die „totale Überwachung“ der taz. Auf dem Höhepunkt der Volkszählungskampagne gingen die angeblichen Verfassungsschützer aber auch ganz ungeniert zu Werke. Über Tage kam die gesamte taz-Post bereits geöffnet in der Redaktion an.

Angesichts dieser Vorfälle ließ sich denn auch das Versteckspiel des Innensenats nicht auf Dauer durchhalten. Kurz vor einer entscheidenden Innenausschußsitzung Ende Februar dieses Jahres machte Innensenator Kewenig in einem Schreiben an den Landesvorstand der SPD erste Zugeständnisse. Er räumte ein, daß Mitglieder der Alternativen Liste (AL) mit nachrichtendienstlichen Mitteln angegangen wurden, und einzelne RedakteurInnen der taz unter Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel (Telefon und Postüberwachung) bespitzelt werden. Dies, so Kewenig damals, geschehe allerdings nicht in den Räumen, in denen die Personen tätig sind. Den Einsatz von V-Leuten gegen die taz mochte Kewenig zwar nicht bestätigen, doch seien Angebote des Verfassungsschutzes an Journalisten „vollkommen legitim“.

Als daraufhin in Berlin ein Sturm der Entrüstung losbrach, trat Kewenig die Flucht nach vorn an: Der Verfassungsschutz, so ließ er erklären, habe keine Journalisten angeworben. Diese Behauptung war kaum einen Tag alt, als wiederum SPD -Experte Pätzold dem Innensenator einen konkreten Fall präsentierte: Er wisse von einem Journalisten, der für den VS arbeite. Dieser sei angeworben worden, als er noch Student war. Kewenig habe sich nur herausgeredet.

Seit Frühjahr dieses Jahres versuchte die Opposition nun, nachdem die SPD lange geschwankt hatte, einen parlamentarischen Untersuchungsausschuß zum Verfassungsschutz zu installieren. Der Versuch scheiterte nach schier endlosem Hin und Her wahrscheinlich wiederum am dezenten Einspruch der Alliierten hinter den Kulissen.

Die jetzt infrage stehende totale Ausspähung der taz wäre technisch kein großes Problem. Die taz ist schon ihrem Selbstverständnis nach ein offenes Haus. Eingangskontrollen wie bei Rundfunk, 'Spiegel‘ oder 'stern‘ finden bei uns nicht statt. Redaktionssitzungen sind quasi öffentlich und die Redaktionsräume gegen unbefugtes Eindringen nur mäßig gesichert. Eine Telefonüberwachung gegen einzelne RedakteurInnen ist praktisch dagegen kaum möglich: da alle Gespräche über eine Haustelefonzentrale gehen, muß man schon alles mitschneiden, auch wenn der Angriff bestimmten Personen gilt. Darüberhinaus residiert die taz in einem großen Gewerbehof, der Möglichkeiten für die Plazierung von Richtmikrophonen in gegenüberliegenden Gebäuden in Hülle und Fülle liefert. Bisher waren wir allerdings auch davon ausgegangen, daß die Freiheit der Presse und ihrer Informanten auf anderem Weg geschützt ist, als durch einen Hausinternen Sicherheitsdienst und die Einführung abhörsicherer Telefonleitungen.

Jürgen Gottschlich